Süddeutsche Zeitung

Sammelklagen von Verbrauchern:Kampf um ein mächtiges Instrument

EU-Justizkommissarin Reding schiebt Pläne für "Sammelklagen nach US-Vorbild" auf. Dabei geht es gar nicht um das amerikanische Modell - sondern um die Frage, ob es überhaupt zu einer Gesetzesinitiative für Sammelklagen kommt.

Johannes Aumüller

Die Zahlen, mit denen die Vertreter der Wirtschaft operieren, klingen gewaltig. Auf 255 Milliarden Dollar jährlich beliefen sich die Kosten amerikanischer Firmen in Folge von Sammelklagen. Jedes dritte US-Unternehmen, gegen das kollektiv geklagt wurde, sei daran zerbrochen. Und entsprechend ziehen die Wirtschaftsvertreter die Schlussfolgerung, dass sich die Europäische Union bloß davor hüten solle, dieses mächtige Verbraucherinstrument per Gesetz zu ermöglichen. Ansonsten drohe eine "Klage-Maschinerie" wie in den USA.

Insofern klingt es richtungsweisend, wenn EU-Justizkommissarin Viviane Reding in einem Gespräch mit der Financial Times Deutschland erklärt, eine Gesetzesinitiative für Sammelklagen nach US-Vorbild stehe in Brüssel "nicht mehr auf der Tagesordnung", sowohl für das Kartell- als auch für das Verbraucherrecht.

Die in den USA als class action weit verbreitete Sammelklage macht es Bürgern einfacher, gegen Unternehmen vorzugehen. Bei einer gemeinsamen Klage wird die Situation auf einmal und für alle einheitlich entschieden. Im Erfolgsfall profitieren nicht nur die Kläger selbst, sondern alle Betroffenen von der juristischen Entscheidung - ohne Nachweise für den eigenen Schaden vorbringen zu müssen. Nur: Im Prinzip steht eine Gesetzesinitiative für Sammelklagen nach US-Vorbild schon länger nicht mehr auf der Tagesordnung.

Als die damalige Verbraucherschutz-Kommissarin Meglena Kuneva im November 2008 erstmals ein EU-Diskussionspapier zum Verbraucherrecht vorstellte, betonte sie, dass die Europäische Kommission das amerikanische Sammelklagen-Modell nicht kopieren wolle. Und als Reding und der Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia 2010 neu in ihre Ämter kamen, bestätigten sie diese Haltung.

"Niemand will eine Sammelklage-Möglichkeit nach US-Vorbild, auch wir nicht", sagt Cornelia Tausch, Mitglied im Verbraucherbeirat der Europäischen Kommission zu sueddeutsche.de. "Denn davon profitieren ja nicht die Verbraucher, sondern die Anwälte" - in den USA kommt im Schnitt nur ein Drittel der Schadenersatzsumme den Verbrauchern zugute.

Unternehmen fürchten im US-Modell beispielweise die sogenannten punitive damages. Dabei handelt es sich um Extra-Strafen, welche die Firmen als Bußgeld an die Staatskasse überweisen müssen und die oftmals ein Vielfaches des eigentlichen Schadenersatzes ausmachen.

Doch in der Diskussion um die EU-Richtlinie zur Sammelklage spielt dieser Gedanke, schon aus juristischen Gründen, keine Rolle. Stattdessen geht es um verfahrensrechtliche Fragen und das sogenannte Opt-Out-Modell. Das bedeutet, dass bei einer Klage alle Betroffenen mit einbezogen werden und individuell erklären müssen, dass sie das nicht wünschen. Beim gegenteiligen Ansatz, dem Opt-In-Modell, müssen sich die Betroffenen selbst melden, um zur Klagegruppe zu zählen. Daher befürchten Verbraucherschützer, dass mit den ständigen Hinweisen auf das US-Vorbild die Sammelklage-Idee als solche torpediert werden soll.

In der Tat verzögern sich die Ausarbeitungen einer Gesetzesinitiative enorm. Die frühere Wettbewerbskommissarin Nelly Kroes hatte 2009 einen Entwurf für eine Richtlinie ausgearbeitet und viel Gegenwind bekommen. Sowohl das EU-Parlament als auch wichtige Staaten wie Frankreich oder Deutschland kritisierten Kroes' Pläne - und kaum war die neue Kommission im Amt, kündigte sie auch eine Entschärfung an. Und nun vertagte Reding die Präsentation der Richtlinie noch einmal. "Wir schauen uns das Thema weiter an, sind aber überhaupt nicht getrieben, hier schnell etwas übers Knie zu brechen", sagte die Justizkommissarin. Im Sommer 2011 wolle man eine Rechtsanalyse vorlegen.

Dass sich das Thema so lange hinzieht, hängt auch mit der Haltung der deutschen Bundesregierung zusammen. "Die Einführung von Sammelklagen national und europaweit lehnen wir ab", heißt es im Koalitionsvertrag. In anderen europäischen Ländern gibt es bereits die Möglichkeit zu gemeinschaftlichen Klagen, beispielsweise in Italien - allerdings ohne punitive damages, dafür inklusive Verbot von Erfolgshonoraren für Anwälte.

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