Süddeutsche Zeitung

Italien:Unternehmer sollten sich von Salvini abwenden

20 italienische Industrielle sprechen sich für eine Salvini-Regierung aus. Damit tun sie weder ihren Firmen noch ihren Beschäftigten einen Gefallen.

Kommentar von Ulrike Sauer

Vor zehn Tagen ließ Matteo Salvini seine Maske fallen und erhob Anspruch auf die "volle Macht". Zu dem Entschluss drängten den Lega-Chef neben seiner Partei auch 20 Spitzenkräfte der italienischen Wirtschaft, lautet die offizielle Version. Ob das so stimmt und wen Salvini angerufen hat, weiß er allein. Doch unbestreitbar genießt der Populist unter Italiens Unternehmern Sympathie. Und niemand ergriff das Wort, um sich die Vereinnahmung zu verbitten und öffentlich auf Distanz zu gehen.

Das ist leichtfertig. Eine wirtschaftliche Führungsklasse, die sich vor den Propagandakarren eines rechtsnationalistischen Populisten spannen lässt, verrät die Interessen ihrer Unternehmen, ihrer Beschäftigten und der Jugend des Landes. Salvinis hochsommerliche Irrfahrt ist keine der üblichen römischen Regierungskrisen. Dem Innenminister war nach 13 Monaten Regierung die Hegemonie in der Koalition mit den Cinque Stelle nicht mehr genug. Er will "freie Hand" haben und mit Italiens liberaldemokratischer Tradition brechen. Er versucht, Europas drittgrößte Volkswirtschaft aus ihrer Verankerung im Westen zu lösen. Er führt neue internationale Allianzen im Schilde. Er fühle sich in Moskau wohler als in einigen EU-Hauptstädten, sagte Salvini russischen Unternehmern. In Mailand versuchen Staatsanwälte, Licht in die Verhandlungen eines Lega-Vertreters mit Emissären Putins um die Parteifinanzierung zu bringen. Dazu passt, dass Salvinis Wirtschaftsberater entschiedene Gegner des Euro sind. "Wir werden die Steuern senken, egal was die EU dazu sagt", kündigte der Vize-Premier an. Sollten den Worten Taten folgen, ist der Weg zum Italexit kurz.

"Wir werden die Steuern senken, egal was die EU dazu sagt"

Sicher: Der Bruch mit den Cinque Stelle hat in der Wirtschaft Jubel ausgelöst. Mit ihrer Ahnungslosigkeit und Arroganz haben die Neulinge, die seit Juni 2018 an den wirtschaftspolitischen Schalthebeln sitzen, die Unternehmer zur Verzweiflung gebracht. Ihr dirigistischer, industriefeindlicher Kurs schlug private Investoren in die Flucht und beförderte das Comeback des Staates. Sie drehten die Arbeitsmarkt- und die Rentenreform zurück. Sie stoppten die erfolgreichen Innovations- und Exportoffensiven ihrer Vorgänger. Sie blockierten Infrastrukturprojekte und froren bewilligte Investitionen ein. In ihrem Machtrausch feuerten sie kompetente Leute in den Behörden und Wirtschaftsinstituten und legten so deren Aktivitäten lahm. Der Streit mit der EU um die Schuldenpolitik trieb die Zinskosten für Staatsanleihen in die Höhe. Das trug zur Lähmung des Wachstums und zur Isolation Italiens bei. Nur hatten Lega und Cinque Stelle all das so in ihrem Regierungsvertrag vereinbart und im Parlament stets gemeinsam verabschiedet. Dennoch sagte Industriellenchef Vincenzo Boccia im vergangenen Herbst noch: "Wir glauben in dieser Regierung fest an die Lega".

Nun ist es höchste Zeit für eine Operation Wahrheit. Italiens Unternehmer sollten Farbe bekennen. Die Wirtschaft wächst seit vier Quartalen nicht mehr. Die Unternehmen stemmen sich gegen das Abrutschen in die dritte Rezession in einem Jahrzehnt. Salvinis Koalitionsbruch erhöht die Unsicherheit. Er ist Gift in einer Situation, die von Ängsten vor einer neuen Schuldenkrise und vor den Verwerfungen im Welthandel überschattet wird.

Wer dem Rechtsextremisten erlaubt, den Italienern seine Nähe zur Wirtschaft vorzugaukeln, handelt fahrlässig. Wie ist Salvinis autarke Weltanschauung denn vereinbar mit den Interessen der zweitstärksten Exportwirtschaft Europas? Glauben die Industriellen auch an den "Plan B" von Salvinis ehemaligem Europaminister Paolo Savona, der den Euro-Austritt Italiens propagiert? Wie können Norditaliens Unternehmen, die eng in die Wertschöpfungsketten jenseits der Alpen integriert sind, einen Dauerkrieg gegen die EU überleben? Wie soll das Land in der Selbstisolation gegen die USA und China bestehen? Hilft das zugesagte Schutzschild kleinen Firmen, sich in der globalisierten Welt zu behaupten? Oder waren nicht die Wachstumsanreize der Vorgänger der klügere Weg? Die Industrie klagt laut über den Mangel an qualifiziertem Personal. Macht Salvinis systematische Volksverdummung die Gesellschaft für die Zukunft fit? Und: Kann man all das still in Kauf nehmen, nur weil die Lega Steuersenkungen und Steueramnestien verspricht? Mit genau dieser Haltung sind Italiens Unternehmer schon unter Berlusconi schlecht gefahren. Die Gefahr eines Durchmarsches des Lega-Chefs scheint vorerst gebannt. Aus der Welt ist sie nicht. Ihre Verantwortung müsste es Italiens Industriellen gebieten, der Realität heute ins Auge zu blicken. Bevor es zu spät ist.

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SZ vom 19.08.2019/vwu
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