Süddeutsche Zeitung

Wirtschaft:Unmut über Einreisebeschränkungen für Helfer

  • Der dramatische Einbruch bei Saisonkräften stellt die Landwirtschaft aber auch viele Bereiche in der Pflege vor große Probleme.
  • Viele Helfer strandeten zuletzt auf dem Weg nach Deutschland an geschlossenen Grenzen.
  • Andere treten die Reise gar nicht erst an, weil sie Quarantäne-Auflagen bei der Rückkehr fürchten.

Von Michael Bauchmüller, Constanze von Bullion und Kristiana Ludwig, Berlin

In der Union wächst der Unmut über die Einreisebeschränkungen für Erntehelfer. Es gebe eine "verzweifelte Situation in den Saisonbetrieben der Landwirtschaft und im Gartenbau", warnten die Agrarpolitiker der Union in einem Schreiben an die Bundeskanzlerin. Betroffene Betriebe bräuchten "zwingend eine weitere Unterstützung durch Saisonarbeitskräfte aus anderen Mitgliedstaaten", heißt es in dem Schreiben, das die Unionsabgeordneten Gitta Connemann und Albert Stegemann unterschrieben haben. Das Einreiseverbot sei "unverzüglich aufzuheben".

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Hintergrund ist ein dramatischer Einbruch bei Saisonkräften. Viele strandeten auf dem Weg nach Deutschland an geschlossenen Grenzen. Andere traten die Reise gar nicht erst an, weil sie - wie in Polen - Quarantäne-Auflagen bei der Rückkehr fürchten. Die Lage verschärfte sich noch durch einen Einreisestopp, den das Bundesinnenministerium vorige Woche für Saisonarbeitskräfte aus Staaten außerhalb des Schengenraumes erließ. "Der Einreisestopp stellt die Bauern vor massive Probleme", sagte Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Bauernverbandes. Betroffen sind neben Ukrainern auch Arbeitskräfte aus Rumänien. Von dort kamen zuletzt die meisten der knapp 300 000 Erntehelfer in Deutschland. Für Kontroversen sorgt aber auch deren Unterbringung in Sammelunterkünften. Hier soll das Robert-Koch-Institut nun Leitlinien erarbeiten, um Infektionsgefahren zu mindern. Die Betriebe seien "selbstverständlich" bereit, auch zusätzliche Auflagen zu erfüllen, so Krüsken.

"Wir werden auf Saisonarbeitskräfte nicht verzichten können", sagte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) in der ARD. Sie sei mit Innenminister Horst Seehofer (CSU) im Gespräch, wie de r Infektionsschutz der Bevölkerung mit Erntesicherung vereinbart werden könne. Nach Seehofers Einreisestopp für bestimmte Erntehelfer hatte Klöckner vorgeschlagen, Asylbewerber in der Landwirtschaft einzusetzen und deren Arbeitsverbote zu lockern. Auch die EU-Kommission forderte, Erntehelfer einreisen zu lassen.

Im Innenministerium hieß es, man prüfe den Wunsch aus Brüssel. Aus Polen, Tschechien und der Slowakei könnten Arbeiter ohnehin einreisen. Hier gebe es keine Grenzkontrollen. Klöckners Vorschlag, die Arbeitsverbote für Asylbewerber zu lockern, um Arbeitskräfte zu gewinnen, will Seehofer nicht nachgeben. Das sei unnötig. In Deutschland lebten rund 156 000 anerkannte und arbeitslose Flüchtlinge, die keinem Arbeitsverbot unterlägen. Das gelte auch für 100 000 Asylbewerber.

Die Grenzkontrollen bringen auch die häusliche Pflege in Not. Viele osteuropäische Pflegerinnen bleiben wegen Corona fern. Andere haben ihre Verträge noch einmal verlängert, vorläufig. "Ich gehe davon aus, dass bald ein Zeitpunkt kommen wird, an dem die Betreuerinnen zurück nach Polen fahren müssen", sagt Justyna Oblacewicz, die beim Deutschen Gewerkschaftsbund Pflegerinnen berät. Einige Bundesländer zahlten neuerdings Tagegelder, damit alte Menschen nicht zurückgelassen werden.

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SZ vom 02.04.2020/hgn
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