Sagen Sie mal ...:Sind die Banken zu blauäugig?

Die Mechanik der Kreditkrise und die größten Irrtümer der Investoren erläutert Jochen Felsenheimer, Chef der Kreditanalyse bei der Unicredit.

Hans von der Hagen

sueddeutsche.de: In den USA heißen sie die Ninjas. No income, no job and assets. Kein Einkommen, kein Job, kein Vermögen. Trotzdem haben sie Kredit zum Kauf von Immobilien bekommen. Hatten die Banken vor der Krise zu viel Geld?

Sagen Sie mal ...: Jochen Felsenheimer ist Chef der Kreditanalyse bei der Unicredit.

Jochen Felsenheimer ist Chef der Kreditanalyse bei der Unicredit.

(Foto: Foto: privat)

Jochen Felsenheimer: Das kann man so sagen. Die US-Notenbank hatte in den vergangenen Jahren den Markt mit Geld zugeschüttet und wenn Geld zu billig ist, fließt es in die falschen Anlagen: Man investiert dort, wo das Risiko groß ist, ohne sich mit einer entsprechenden Prämie dafür bezahlen zu lassen.

sueddeutsche.de: Schwer vorstellbar, dass die Banken über ihre eigene Großzügigkeit gestolpert sein sollen. War die Gier so groß?

Felsenheimer: Die Banken versuchten händeringend, die wachsenden Renditeforderungen der Investoren zu erfüllen. Darum wurden die Vergabebedingungen zu sehr gelockert. Es war wie am Ende eines Aktienbooms: Zum Schluss kaufen die Leute selbst das, was sie besser nicht kaufen sollten. Und das fliegt ihnen als Erstes um die Ohren, sobald sich die Anzeichen eines Endes des Booms mehren.

sueddeutsche.de: Aber erklärt allein die laxe Vergabepraxis das gewaltige Ausmaß der Krise? Was ist der Unterschied zu früheren Krisen?

Felsenheimer: In dieser Krise gibt es tatsächlich noch einige Besonderheiten. Eine von ihnen ist die 2/28-Finanzierungsstruktur, die es etwa seit dem Jahr 2005 gibt.

sueddeutsche.de: Das Lockzinsangebot?

Felsenheimer: Es ist verhängnisvoll: In den ersten zwei Jahre haben die Kreditnehmer nur eine sehr niedrige Rate - zuletzt lag der Zins oft nur zwischen einem und zwei Prozent. Aber nach den zwei Jahren wird der Zins variabel, springt auf das aktuelle Niveau und bleibt dort für die restlichen 28 Jahre. Zwei Dinge haben den Käufern nun einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Zinsen sind zwischenzeitlich weiter gestiegen - und die Immobilienpreise entgegen den Erwartungen gefallen. Die Besitzer haben jetzt also zwei Probleme: Sie können die hohen Raten nicht mehr begleichen und ihre Häuser sind weniger wert.

sueddeutsche.de: Hat die 2/28-Regel die Kreditkrise mit ausgelöst?

Felsenheimer: Sie war jedenfalls einer der Gründe. Doch ein weiterer kam noch hinzu: Die schwachen Kreditnehmer wurden ganz bewusst als Zielgruppe umworben. Auch das ist ein Unterschied zu früheren Krisen: Die Banken kalkulierten von vorneherein, dass sie die potentiell schlechten Kredite nicht in den Büchern halten mussten, sondern weiterverkaufen konnten.

sueddeutsche.de: Woher wussten die Banken, dass ihnen das jemand abkaufen würde?

Felsenheimer: Der Trick ist: Der Kredit wird nicht einzeln verkauft. Die Bank fasst viele Kredite zusammen und verkauft diese weiter.

sueddeutsche.de: Aber Schrottkredite werden im Bündel nicht attraktiver ...

Felsenheimer: Das Bündel wird nochmals unterteilt - vereinfacht gesagt in drei Schichten: Ganz unten ist die sogenannte Equity-Tranche. Man nennt es Equity, weil es bezüglich des Risikos Eigenkapitalcharakter hat. Das kaufen vor allem Hedgefonds, den meisten anderen Investoren ist es zu riskant. Oft verbleibt es auch beim Kreditgeber. Dann kommt die Mezzanine-Tranche, die ein mittleres Risiko-Ertrags-Profil aufweist und oben auf liegt die Senior-Tranche, deren Ausfallrisiko als gering angesehen wird. Das geht dann eher an die Versicherer. Oft sind diese Tranchen allerdings nur die Basis für weitere Wertpapierstrukturen.

sueddeutsche.de: Werden die Kredite einzeln bewertet und den Tranchen zugeordnet - oder wird von der Bank festgelegt, welche Tranche wie viel Risiko tragen muss?

Felsenheimer: Die Struktur wird so gestaltet, dass die unterschiedlichen Risikoklassen gewisse Risiko-Ertrags-Profile aufweisen. Dazu werden die zu erwartenden Verluste auf die verschiedenen Risikoklassen aufgeteilt. Die ersten Ausfälle trägt die Equity-Tranche, die Mezzanine-Schicht die nächsten und erst wenn dann noch weitere Ausfälle kommen, trifft es die Senior-Tranche.

Sind die Banken zu blauäugig?

sueddeutsche.de: Wer prüft die Tranchen?

Felsenheimer: Ratingagenturen wie Standard & Poor's oder Moody's. Die Anforderungen sind streng: Jede einzelne Tranche wird von den Ratingagenturen bewertet und mit einer Risikonote versehen. Und die Banken müssen laufend berichten, was sich in den Portfolios tut.

sueddeutsche.de: Welche Noten vergeben die Agenturen typischerweise?

Felsenheimer: In der Mezzanine-Tranche reichen die Bewertungen von AA bis A. Die Seniortranche bekommt in der Regel ein AAA-Rating. Das Triple-A ist die beste Note, die die Ratingagenturen zu vergeben haben.

sueddeutsche.de: Und schon sind aus Schrottkrediten erstklassige Papiere geworden?

Felsenheimer: So funktioniert der Markt für strukturierte Kreditprodukte. Aber ein Triple-A ist nicht gleich Triple-A. Hinter einem Triple-A können je nach Wertpapierkategorie völlig unterschiedliche Modelle stecken, die mit unterschiedlichen Ausfallrisiken verbunden sind. Die Ratings spiegeln keine allgemeingültige Masterskala wider. Wir hatten jetzt erst gerade den Fall, dass eine Triple-A-Struktur innerhalb von neun Monaten komplett ausgefallen ist - mit 90 Prozent Verlust.

sueddeutsche.de: War das der größte Irrtum in der Kreditkrise - die Illusion von Sicherheit? Haben sich zu viele auf das Triple-A verlassen?

Felsenheimer: Genau das ist passiert. Wer in großem Stil in solche Papiere investiert und weiß das Triple-A nicht richtig einzuschätzen, hat ein Problem. Allerdings haben auch die Ratingagenturen Fehler gemacht. Sie haben Ausfallrisiken unterschätzt und mit den falschen Parametern und Prognosen gerechnet. Die jetzt realisierten Ausfälle liegen weit über dem, was sie für möglich gehalten hatten.

sueddeutsche.de: Der Markt für Subprime-Kredite ist zusammengebrochen. Es gibt keine Preise mehr - wie können die Banken wissen, wie um sie steht?

Felsenheimer: Sie wissen es nicht. Die Risikoabteilungen der Banken brauchen aktuelle Marktpreise, um ihre Risikomanagementsysteme zu füttern. Aber weil es keinen Markt mehr gibt, werden seit Wochen und Monaten auch keine Preise mehr festgestellt. Die Banken kennen nicht den Wert der illiquiden Derivate und schon gar nicht den der Wertpapierkonstruktionen, die wiederum darauf aufbauen und noch viel illiquider sind.

sueddeutsche.de: Man schätzt also nur noch?

Felsenheimer: Die Banken versuchen, notdürftig die Preise zu kalkulieren. Dazu müssen sie aber Annahmen treffen, die auch schon falsch sind - stellt sich nur die Frage, wie falsch sie sind.

sueddeutsche.de: Wurden nicht schon vor der Krise die falschen Annahmen getroffen?

Felsenheimer: Sicher, sonst würden nicht die einen Banken besser und die anderen schlechter mit der Krise zurechtkommen. Aber Banken nehmen bewusst Risiken auf sich, das ist ihr Geschäftsmodell. Einige Banken und Hedgefonds hatten auf eine Kursverfall im Subprime-Markt gewettet - und einen Haufen Geld damit verdient.

Sind die Banken zu blauäugig?

sueddeutsche.de: Aber die Krise zeigt doch, dass sich das Gros der Banken mit dem Management des Risikos schwertut ...

Felsenheimer: Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder rechnen Banken die Risiken absichtlich klein, weil sie dann weniger Eigenkapital hinterlegen müssen und entsprechend höhere Renditen haben. Oder sie sind nicht in der Lage ihre Risiken adäquat zu berechnen.

sueddeutsche.de: Und, was sagen Sie?

Felsenheimer: Die meisten Banken dürften die Risiken absichtlicher kleingerechnet haben. Sie sind durchaus in der Lage die Risiken zu benennen - sind aber davon ausgegangen, dass sie sie außerhalb der Bilanz führen können. Jetzt gibt es keinen Markt mehr für die Produkte und sie müssen alles in die Bilanz aufnehmen. Das ist fatal, vor allem für die US-Investmentbanken. Die haben traditionell schmale Bilanzen, weil sie es gewöhnt sind, Risiken zu generieren und weiterzuverkaufen. Jetzt bleiben sie plötzlich darauf sitzen und haben die faulen Kreditstrukturen in den Büchern. Aber es gibt auch einige Institute, die wussten nicht, was sie tun und kauften wahllos Produkte. Das war am Markt bekannt.

sueddeutsche.de: Eigentlich gilt der Weiterverkauf von Krediten als Möglichkeit, Risiken auf viele Schultern zu verteilen und damit zu minimieren. Muss man jetzt nicht feststellen, dass sich die schöne Theorie in der Praxis ins Gegenteil verkehrt?

Felsenheimer: Seit Anfang der siebziger Jahre gibt es eine Diskussion darüber, ob Derivate die Märkte stabilisieren oder nicht. Und diese Diskussion spiegelt sich perfekt in der aktuellen Krise wider. In ruhigen Marktphasen tragen die Derivate zu höherer Transparenz bei, die Märkte werden effektiver. Aber: Sie schaffen mehr Risiken. Hinzu kommt, dass die Banken riskantere Geschäfte abschließen: Sie wissen, dass sie die Risiken weiterverkaufen können. In den Finanzmärkten steckt jetzt in der Summe mehr Risiko als vor Einführung der Derivate. Und das führt dazu, dass sich in unruhigen Marktphasen und außergewöhnlichen Situationen das Momentum, die Wucht der Krise verstärkt.

sueddeutsche.de: Gibt es demnach zu viele Derivate in der Welt?

Felsenheimer: Das ausstehende Volumen an Kreditderivaten ist in den letzten Jahren rasant gewachsen und darum mittlerweile tatsächlich unglaublich hoch: Es liegt bei fast 50.000 Milliarden Dollar. Das entspricht in etwa der Wirtschaftsleistung der gesamten Welt.

sueddeutsche.de: Wir setzen also alles, was wir im Jahr erwirtschaften, aufs Spiel?

Felsenheimer: Sie haben im Kreditderivatemarkt natürlich immer einen Kontrahenten, der die Gegenposition einnimmt. So gesehen kann man nicht sagen, dass wir das globale Bruttosozialprodukt auf Spiel setzen. Der Vergleich zeigt aber, welches immense Ausmaß der Handel mit Kreditderivaten und somit das ausstehende Kreditrisiko inzwischen eingenommen hat.

sueddeutsche.de: Wird sich die Krise weiter ausbreiten?

Felsenheimer: Kreditkrisen sind ganz normale Anpassungsprozesse, die von Zeit zu Teit auftreten und exzessive Tendenzen in den Märkten kompensieren. Es wird sie immer wieder geben. Inwiefern uns die Subprime-Krise noch weiterhin begleiten wird, wird sich im ersten Quartal 2008 entscheiden. Die Gefahr einer nachhaltigen Auswirkung auf die Realwirtschaft ist da und erste Signale dafür auch jetzt schon erkennbar. Der amerikanische Weg der Entschuldung funktioniert so: Erst wird das Haus verkauft, dann das Auto und zum Schluss der Fernseher. Zurzeit sehen wir viele Zahlungsrückstände im Autoleasinggeschäft: Es zeichnet sich also bereits eine neue Runde in der Kreditkrise ab.

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