Sachverständigenrat:Neue Töne bei den Wirtschaftsweisen

Die Sachverständigen verteilen ungewöhnliches Lob für die Regierung und den EU-Aufbaufonds.

Von Alexander Hagelüken

Das neue Gutachten der fünf Wirtschaftsweisen ist ein Novum: Erstmals haben es zwei Ökonominnen mitverfasst. Es wurde mit Spannung erwartet, wie sich die Neubesetzung des Rats mit den zwei empirisch orientierten, politisch wenig festgelegten Volkswirtinnen Veronika Grimm und Monika Schnitzer auswirkt. Denn die Wirtschaftsweisen galten bisher auch im internationalen Vergleich als ziemlich marktliberal. Doch schon beim Gutachten 2019 widersprachen die inzwischen zur EZB gewechselte Isabel Schnabel und der damals neu berufene Achim Truger der staatskritischen Tradition des Rats. Und siehe da: Auch beim Gutachten 2020 sind neue Töne zu hören.

Das fängt damit an, dass die Weisen, die früher die Regierung oft schwer kritisierten, diesmal die Krisenpolitik weitgehend gutheißen: "Der flächendeckende Einsatz von Kurzarbeit dürfte größere Beschäftigungsverluste verhindert haben", heißt es etwa. Auch stellen die Weisen anders als in der Vergangenheit nicht das Ziel nach vorne, den Solidaritätszuschlag komplett abzuschaffen. Die Regierung wird wegen der Haltung der SPD den Soli 2021 nur für 90 Prozent der Steuerzahler streichen.

Bemerkenswert erscheint, dass der Rat Positives am EU-Wiederaufbaufonds findet, nachdem er früher gern europäische Geldausgaben rügte. "Der Aufbaufonds könnte durch eine Steigerung der Produktivität das Wachstum stützen und die Widerstandsfähigkeit bei zukünftigen Krisen erhöhen." Schlecht sei, dass das Geld zu langsam fließe.

Monika Schnitzer beackert als Innovationsexpertin wie Veronika Grimm als Energieexpertin Themen, die bei den Weisen nun stärker im Fokus stehen. So heben sie etwa hervor, Wasserstoff biete hiesigen Firmen "attraktive Geschäftsmodelle", bei denen eine Abwanderung ins Ausland unwahrscheinlicher sei als bei der Fertigung von Solarzellen oder Batterien.

Insgesamt sehen die Wirtschaftsweisen Deutschland in ihrem mehr als 500-seitigen Gutachten vor großen Aufgaben nicht nur durch Corona. "Der Strukturwandel durch den technologischen Fortschritt, den demografischen Wandel und die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft ist eine große Herausforderung", heißt es. Da sei die Wirtschaftspolitik gefordert. An der Krisenreaktion der Regierung gibt es bei manchem Lob auch Kritik. So solle die Politik stärkere Anreize setzen, während der Kurzarbeit Beschäftigte weiterzubilden. Firmen sollten aktuelle Verluste stärker steuerlich mit früheren Gewinnen gegenrechnen dürfen als bisher. Und das Konjunkturpaket sei nicht überall zielgenau. So führe die Senkung der Mehrwertsteuer nur teilweise zu mehr Konsum.

Wie in anderen Jahren gibt es auch diesmal Minderheitsvoten gegen die Mehrheit, aber weniger als früher. Der keynesianisch orientierte Achim Truger spricht sich dagegen aus, die Schuldenbremse nach Corona zu schnell einzuhalten, weil dies die Konjunktur abwürgen könnte. Auch lehnt Truger eine baldige automatische Erhöhung des Rentenalters mit der steigenden Lebenserwartung ab und schlägt andere Reformen vor: Etwa die Ausweitung der Erwerbstätigkeit von Frauen, die dann Beiträge zahlen und so das Alterssystem stabilisieren.

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