Wirtschaftsweise:Machtkampf im Sachverständigenrat

Konjunkturprognose 2019/2020

Wie läuft die Konjunktur? Wie hoch soll sich Deutschland verschulden? Der Sachverständigenrat kümmert sich um ökonomische Fragen. Bei der Frage nach seiner Besetzung geht es aber auch um eines: Politik.

(Foto: Sebastian Widmann/dpa)

Im wichtigsten wirtschaftlichen Beratergremium der Bundesregierung tobt eine erbitterte Auseinandersetzung um den Vorsitz. Wahrscheinlich ist, dass am Ende des Streits eine Frau den Sachverständigenrat führt.

Von Marc Beise und Alexander Hagelüken

Nächsten Mittwoch haben die Sachverständigen wieder einen wichtigen Termin. Dann stellen die so genannten Wirtschaftsweisen der Bundeskanzlerin ihre neue Prognose vor: Wie schlägt sich Deutschland im Corona-Jahr 2021? Die Bundesbürger erfahren, ob sich die Wirtschaft trotz des immer längeren Lockdowns dieses Jahr erholt. In den Termin mit Angela Merkel gehen die vier Ökonom(inn)en allerdings ein wenig kopflos, wenn man das so salopp sagen darf. Denn nach Informationen der Süddeutschen Zeitung wogt im Gremium gerade eine spannende Personalfrage.

Im Februar schlug es hohe Wellen, dass die Bundesregierung den bisherigen Weisen-Chef Lars Feld verabschiedete. Die SPD wollte keine dritte Amtszeit für den marktliberalen Professor. Die Union wollte aber keinen der SPD-Kandidaten wie etwa Jens Südekum als Nachfolger akzeptieren. Deshalb hat das wichtigste wirtschaftliche Beratergremium der Regierung derzeit nur vier Mitglieder - und keinen Chef.

Volker Wieland

Auch der Frankfurter Wirtschaftswissenschaftler Volker Wieland hat Ambitionen, zumal er der dienstälteste Sachverständige des Rates ist.

(Foto: Sebastian Gollnow/picture alliance)

Für diesen Posten hält sich der Finanzexperte Volker Wieland für geeignet. Der Frankfurter Professor amtiert von den vier Sachverständigen am längsten. Wieland fühlte nach Felds Abgang bei den zwei Ökonominnen im Gremium vor, ob sie ihn an die Spitze wählen wollten. Allerdings mehren sich inzwischen die Stimmen, die sagen: Muss es wirklich wieder ein Mann an der Spitze sein?

Nirgends im Gesetz steht, dass der Weisen-Chef ein Mann sein muss

Die Regierung hat den Sachverständigenrat vor fast 60 Jahren eingerichtet. Im Gesetz steht: Zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung. Und damit sich Politiker und Öffentlichkeit ein Urteil über Wirtschaftsfragen bilden können. Weiter heißt es: "Der Rat besteht aus fünf Mitgliedern, die über besondere wirtschaftswissenschaftliche Kenntnisse und volkswirtschaftliche Erfahrungen verfügen müssen." Nirgends im Gesetz steht, dass der Weisen-Chef ein Mann sein muss. Trotzdem stand in sechs Jahrzehnten nie eine Ökonomin oben.

Veronika Grimm

Veronika Grimm ist Professorin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

(Foto: Giulia Iannicelli/picture alliance/dpa)

Die ersten 40 Jahre war unter den fünf Mitgliedern sogar keine einzige Frau. Diese Zeiten sind vorbei. Seit 2020 gehören dem Gremium erstmals zwei Ökonominnen an - Veronika Grimm und Monika Schnitzer. Beide sind in der Zunft anerkannt und in der Politikberatung erfahren, aber nicht dogmatisch. Das wurde als willkommener Pluralismus für den Rat gewertet, der zuvor eindeutig marktliberal für staatliches Sparen oder gegen Mindestlöhne argumentierte - während Forscher international offener diskutieren.

Mit zwei Ökonominnen im Rat liegt es nahe, nach 60 Jahren erstmals eine Frau an die Spitze zu berufen. Da sowohl Grimm als auch Schnitzer parteipolitisch wenig festgelegt sind, würde das die Wogen der letzten Wochen glätten. Die Abberufung von Lars Feld war ja ein Streit zwischen SPD und Union. Käme nun der marktliberale Volker Wieland an die Spitze, den einst die Arbeitgeber für den Rat nominierten, sähe das wie ein nachträglicher Sieg für die Union aus. Damit setzte sich die Politisierung fort, die den Rat als von Parteien gesteuert erscheinen lässt - dabei sollen die Ökonomen doch unabhängig urteilen. Den Keynesianer Achim Truger an die Spitze zu wählen, den die Gewerkschaften für den Rat nominierten, würde wie ein Sieg der SPD aussehen.

´Wirtschaftsweise" Schnitzer gegen technologieoffene Kaufprämien

Die Münchner Professorin Monika Schnitzer galt als Favoritin für den Vorsitz des Sachverständigenrats.

(Foto: Peter Kneffel/picture alliance/dpa)

Es gibt noch ein weiteres Argument gegen die beiden Männer: Traditionell kam kein Sachverständiger an die Spitze, der von Arbeitgebern oder Arbeitnehmern für den Rat nominiert war. Von dieser Tradition gibt es nur Ausnahmen, etwa den zuerst von den Arbeitnehmern und dann von den Arbeitgebern nominierten Wolfgang Franz.

Aus all diesen Gründen wäre eigentlich der Weg frei für die erste weibliche Spitze des Rates. Allerdings gibt es bei der Wahl, über die die Ökonomen selbst entscheiden, nun ein Patt. Zwar redet keiner der Beteiligten, aber aus der Politik sickert es durch. Wieland soll die Zustimmung von Veronika Grimm für seine Wahl gesichert haben. Achim Truger soll Monika Schnitzer als Chefin unterstützen, die schon dem Verein für Socialpolitik vorstand. Das bedeutet bei den Stimmen 2:2 - und keine Entscheidung. Veronika Grimm brachte wohl als Kompromiss sich selbst ins Spiel, unterstützt von Wieland. Aber das änderte nichts am Ergebnis 2:2. Sieht nach Machtkampf aus. Nun sind Modelle wie eine Doppelspitze denkbar. Mancher drängt nun zur Eile: Am Mittwoch ist ja der Termin mit der Kanzlerin.

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