Ryanair:Das Personal stellt plötzlich Forderungen

Ryanair-Mitarbeiter streiken in Spanien

Vor zwei Wochen in Madrid: Spanische Flugbegleiter streiken und protestieren gegen ihren Arbeitgeber.

(Foto: picture alliance/dpa)
  • Bei Ryanair stehen Streiks bevor. Es wären die ersten für die Fluglinie in Deutschland.
  • Seit Monaten schwelt ein Konflikt zwischen der Konzernleitung und den Arbeitnehmern.
  • Die Piloten fordern unter anderem eine andere Ausrichtung der Gehaltszusammensetzung: Mehr Festgehalt, weniger variable Gehaltsteile.

Von Detlef Esslinger

Es ist noch nicht mit letzter Gewissheit zu sagen, dass am kommenden Freitag die 400 Piloten von Ryanair in Deutschland tatsächlich streiken werden. Ihre Gewerkschaft, die Vereinigung Cockpit (VC), hat für Mittwoch eine Pressekonferenz angekündigt. Wäre es das erste Mal, dass das deutsche Personal der Firma die Arbeit niederlegen wird? Ja. Es sind nämlich seine ersten Tarifverhandlungen mit einem Arbeitgeber, der bisher mit jedem einzelnen Arbeitnehmer freihändig Verträge abschloss. Dürfen die Kunden annehmen, dass der mögliche Streik am Freitag die Ausnahme bleiben und sich vorerst nicht wiederholen wird? Eher nicht.

Europas größte Billigfluglinie befindet sich seit Monaten in einem Konflikt mit ihren Arbeitnehmern; es ist eine Auseinandersetzung, die komplizierter noch dadurch wird, dass es letztlich eine doppelte ist: eine mit den Piloten und eine mit den Flugbegleitern. Sie beschränkt sich zudem keineswegs auf Deutschland, sondern erstreckt sich auf mehrere Länder, in denen Ryanair Flugzeuge und Personal stationiert hat.

Im Juli gab es Streiks in Belgien, Irland, Italien, Spanien und Portugal; für Freitag haben Gewerkschaften bereits jetzt zu Streiks in Belgien, Irland und Schweden aufgerufen. Nachdem die deutschen Ryanair-Piloten in einer Urabstimmung zu 96 Prozent für Streiks votiert haben und weil die Gewerkschaften ihr Vorgehen international koordinieren, wäre es eine Überraschung, würde die VC am kommenden Freitag ihre Piloten fliegen lassen. Deren Sprecher Janis Schmitt sagt es auf SZ-Anfrage so: "Es könnte sein, dass es ab dieser Woche nicht nur in Deutschland zu Arbeitsniederlegungen kommen kann."

So hemdsärmelig, wie sich Ryanair-Chef Michael O'Leary in der Öffentlichkeit oft gibt, so hemdsärmelig geht es traditionell wohl auch in seinem Unternehmen zu. O'Leary, das ist der, der über seine deutschen Kunden einst sagte, für billige Tickets würden sie "nackt über Scherben kriechen". Die Forderungen seiner Piloten nannte er zu Jahresbeginn noch "lächerlich". Nun spricht er zwar davon, sich mit "diesen Gewerkschaften" zu einigen, lässt aber zugleich seine Manager die Verlegung von Flugzeugen und Jobs aus Irland nach Polen ankündigen - eben wegen der Streiks (siehe "In Deutschland seid ihr mehr an Streiks gewöhnt").

Die Piloten wollen vor allem höhere Grundgehälter - und nicht 900 Stunden fliegen

Den Piloten geht es nicht in erster Linie um mehr Gehalt; das zwar auch - vor allem wollen sie, dass die "niedrigen" Grundgehälter steigen und die variablen Gehaltsteile reduziert werden. "Bisher hängt ihr Einkommen sehr davon ab, wie viele Flüge und Flugstunden sie haben, ob sie krank waren, oder auch, wie die Planung sie einsetzt", sagt VC-Sprecher Schmitt.

Eine vorteilhaftere Relation zwischen Grundgehältern und variablen Bestandteilen fordern auch die Flugbegleiter, für die in Deutschland zwei Gewerkschaften verhandeln, Verdi und die Unabhängige Flugbegleiter-Organisation (UFO). Bei ihnen sind Streiks ebenfalls zu erwarten, allerdings noch nicht in dieser Woche. UFO will am Freitag, dem voraussichtlichen Streiktag der Piloten, offiziell seine Forderungen übermitteln. Verdi hat nächste Woche einen Verhandlungstermin. "Anschließend machen wir eine Mitgliederbefragung, danach informieren wir die Öffentlichkeit", sagt Mira Neumaier von der Bundesfachgruppe Luftverkehr der Gewerkschaft.

Ryanair sagt, das Plus bei den Gehältern sei höher als bei jeder anderen Airline in Deutschland

Verhandlungen um Gehaltsstruktur und Gehaltshöhe sind sozusagen der konventionelle Teil dieses Tarifkonflikts. Darüber hinaus gab und gibt es bei Ryanair jedoch Konfliktthemen, die sehr, sehr ungewöhnlich sind. Einige sind inzwischen bereinigt oder gemildert. Bei anderen gehen die Darstellungen von Gewerkschaften und Firma auseinander. Bei wiederum anderen verzichtet das Unternehmen auf SZ-Anfrage auf eine Antwort.

Abgeschafft hat Ryanair die langjährige Praxis, dass angehende Flugbegleiter ihre firmeninterne Ausbildung selbst bezahlen oder die Kosten später von ihrem Gehalt abstottern müssen. Zudem bestätigt die VC die Darstellung der Firma, dass 80 Prozent der Piloten in Deutschland inzwischen festangestellt und keine scheinselbständigen Arbeitnehmer mehr sind.

Zu den Themen, bei denen die Darstellungen auseinandergehen, gehört die Gehaltsentwicklung. Die VC wirft Ryanair vor, es gebe bei ihr keine Gehaltssteigerungen je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit; und auch keinen Inflationsausgleich. Die Pressestelle der Airline in Dublin hingegen teilt per Mail mit, es gebe "ausgehandelte Gehaltserhöhungen, und die Ryanair-Piloten in Deutschland haben kürzlich 20-prozentigen Gehaltssteigerungen zugestimmt, was die Inflation oder Gehaltssteigerungen bei jeder anderen Airline in Deutschland weit übertrifft".

Recht eigenartig sind jedoch Rede und Gegenrede beim Thema Arbeitsbelastung. Jeder Pilot darf gesetzlich maximal 900 Stunden im Jahr fliegend in der Luft sein. Die VC aber wirft Ryanair vor, auf Faktoren wie Schichtdienst, Arbeit in verschiedenen Zeitzonen, trockene Luft an Bord und Strahlenbelastung wenig Rücksicht zu nehmen. "Ryanair betrachtet diese gesetzliche Vorgabe nicht als Limit, sondern als Planungsgrundlage", sagt VC-Sprecher Schmitt. Die Firma erwidert, die 900 Stunden seien "nicht die Zahl, die benutzt wird, wenn jährliche Durchschnittsverdienste kalkuliert werden". Indes: Die Beschwerde der Piloten zielte in dem Fall gar nicht aufs Einkommen, sondern auf die Belastung.

Ein anderer Vorwurf der Gewerkschaften: Ryanair behalte sich das Recht vor, Mitarbeiter bei schwacher Auslastung für mehrere Wochen nach Hause zu schicken. "Sie bekommen dann kein Gehalt und auch nicht die Beiträge zur Sozialversicherung bezahlt", sagt Steffen Frey, Tarifrechtler bei UFO. Die Folge: "Sie können dann kein Arbeitslosengeld beantragen. Die Arbeitsagentur sagt nämlich dann: Sie haben einen gültigen Vertrag, dieses Problem müssen Sie mit Ihrem Arbeitgeber lösen." Auch werde Urlaub bei Ryanair willkürlich zugeteilt und auch mit einer Woche Vorlauf wieder verschoben. "Sie haben keine Möglichkeit der Einflussnahme, Sie müssen den Dienstplan abfliegen", sagt Frey. Eine Fragenliste der SZ beantwortete Ryanair am Freitagabend mit jener Mail, die Antworten auf "einige Ihrer Fragen" enthielt. Zu unbezahltem Urlaub und überhaupt dem Zwangssystem dabei stand nichts darin.

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