Ryanair:Neue Regeln an Bord

Ryanair lässt sich mit Verdi und wohl auch mit der Vereinigung Cockpit auf Tarifverträge ein. Und die große Koalition wird das Unternehmen zwingen, einen Betriebsrat zu akzeptieren.

Von Detlef Esslinger

Vielleicht sollte das künftig jeder machen, der (oder die) bei Ryanair arbeitet und in die Zentrale nach Dublin zitiert wird: Politiker mitbringen. Drei Flugbegleiter, zwei Frauen und ein Mann, sollten dort am Dienstag erklären, warum sie im vergangenen halben Jahr krank waren; vier, sechs beziehungsweise neun Tage lang.

Die Drei nahmen Cansel Kiziltepe mit, SPD-Bundestagsabgeordnete aus Berlin. Kiziltepe musste zwar im Vorraum warten; als Zeugen bei den Gesprächen ließ das Unternehmen nur zwei Kolleginnen der Flugbegleiter zu. Aber schon die pure Anwesenheit der Abgeordneten scheint sich ausgezahlt zu haben. "Die Zeugen berichteten, diesmal seien die Gespräche ganz, ganz freundlich gewesen", sagt Kiziltepe. "Und die Entscheidung, ob sie bei Ryanair bleiben dürfen, wurde noch offen gehalten." In anderen Fällen seien Betroffene sofort gekündigt worden. Erst recht, wenn zu Krankheiten noch etwas anderes hinzu komme, was Ryanair nicht mag: Teilnahme an Streiks.

Das Grundgehalt der Flugbegleiter wird nun um 40 Prozent steigen

Seit Monaten schwelt der Tarifkonflikt zwischen der irischen Billigfluglinie und Gewerkschaften in mehreren Ländern Europas. Was Deutschland betrifft, war dies eine höchst bemerkenswerte Woche. Ryanair verlor einen Gerichtsprozess gegen die Unabhängige Flugbegleiter-Organisation (Ufo), mit der die Firma weitere Tarifverhandlungen ablehnt. Sie lässt sich aber auf einen Tarifvertrag mit zwei anderen Gewerkschaften ein, mit Verdi für die Flugbegleiter und mit der Vereinigung Cockpit für die Piloten. Dennoch pflegt sie mit Mitarbeitern weiterhin einen Umgang, der auf Druck und Drohungen basiert. Was zur Folge hatte, dass die große Koalition am Donnerstag eine Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes auf den Weg gebracht hat.

Unter dem Eindruck von Streiks haben sich Ryanair und Verdi auf einen Tarifvertrag für die 1000 Flugbegleiter der Firma geeinigt, der nun in den nächsten beiden Wochen zu Ende verhandelt werden und bis Ende März 2021 gelten soll. Dessen Kern: Das Grundgehalt soll um 600 Euro auf 1420 Euro steigen, ein Plus von 40 Prozent. Mit Zulagen und Flugstundenvergütung soll das Monatsgehalt künftig etwa 2300 Euro betragen. Es wäre dann Schluss mit den vielen flexiblen Gehaltsbestandteilen, die das Einkommen bisher so unsicher machten. Zum Beispiel konnte man bisher nur im Fall von null Krankheitstagen im Jahr mit dem "Produktivitätsbonus" rechnen, mit dem Ryanair seine Flugbegleiter unter Druck setzte. Zusätzlich gibt es drei Lohnerhöhungen von je 83 Euro, in diesem November, im nächsten Januar und im Januar 2020. Auch werden die Arbeitsverträge von irischem auf deutsches Recht umgestellt. Damit gilt künftig der deutsche Kündigungsschutz.

FILE PHOTO: Ryanair airplane taxis past two parked aircraft at Weeze Airport

Das gab’s bei Ryanair in Deutschland noch nie: Tarifverträge für diejenigen, die in den Flugzeugen arbeiten.

(Foto: Wolfgang Rattay/REUTERS)

Tarifrunden, die mit Streiks einhergehen, sind eigentlich nichts Besonderes; Alltag eben. Im Fall von Ryanair aber sagt Christine Behle, die im Verdi-Vorstand für die Luftfahrt zuständig ist, das alles sei nur erreicht worden, weil die Beschäftigten sich nicht einschüchtern ließen und gestreikt hätten. "Das verdient die größte Bewunderung."

Mit Ufo will Ryanair hingegen auch weiterhin nicht sprechen. Die Firma hatte die Verhandlungen mit der Gewerkschaft abgebrochen, weil diese in einer Pressemitteilung einen Zusammenhang zwischen den Arbeitsbedingungen und der Flugsicherheit hergestellt hatte. Eine Einstweilige Verfügung dagegen lehnte das Arbeitsgericht Darmstadt zwar diese Woche ab. Robin Kiely, der Sprecher von Firmenchef Michael O'Leary, machte dennoch am Freitag indirekt klar, dass es beim Kontaktabbruch bleibt. Er sagte, die Vereinbarung mit Verdi werde "für die gesamte in Deutschland stationierte Kabinenbelegschaft" gelten.

Mit "Kabine" sind in der Luftfahrt immer die Flugbegleiter gemeint, mit "Cockpit" hingegen die Piloten. Für diese Gruppe verhandelt Ryanair in Deutschland mit der "Vereinigung Cockpit" (VC). Daran wirken derzeit zwei Schlichter mit. Deren Namen wollen Firma und Gewerkschaft zwar nicht mitteilen. Doch es scheint voranzugehen. Bei der VC hieß es am Freitag, man hoffe auf "ein belastbares Ergebnis noch in diesem Jahr". Ryanair beantwortete eine Frage zum Stand dieser Verhandlungen nicht.

Ryanair: Ryanair-Chef Michael O'Leary.

Ryanair-Chef Michael O'Leary.

(Foto: AFP)

Worauf sich Ryanair aber keinesfalls einlassen will: auf einen Tarifvertrag zur Gründung einer Personalvertretung für Piloten und Flugbegleiter. Flugzeuge sind eine der wenigen Betriebe, in denen die Beschäftigten laut Betriebsverfassungsgesetze bisher nur dann das Recht auf einen Betriebsrat haben, wenn es darüber eigens einen Tarifvertrag mit dem Arbeitgeber gibt. Ryanair antwortete nicht auf die Frage, mit welcher Begründung man einen Betriebsrat ablehnt. Aber die Entscheidung darüber wird dem Unternehmen nun ohnehin abgenommen.

Der Umgang mit Beschäftigten, die nach Dublin zitiert oder mit einer Frist von wenigen Wochen quer durch Europa versetzt werden, und auch die Schließung von Stationen mit dem ausdrücklichen Hinweis auf Streiks - das alles hat in der großen Koalition so viel Entsetzen ausgelöst, dass alles ganz schnell ging. Erst Mitte Oktober schlug Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vor, dass Piloten und Flugbegleiter auch ohne Tarifvertrag einen Betriebsrat gründen dürfen. Und schon am Donnerstag beschloss das Kabinett, dazu das Betriebsverfassungsgesetz zu ändern. Bei Verdi gibt es viel Lob für Heil und die Abgeordnete Kiziltepe, die mit nach Dublin geflogen war. Der Vorsitzende Frank Bsirske sagt: "Das zeigt, wenn Gewerkschaften Druck machen und Politiker den Menschen zuhören, dann hat arbeitnehmerfreundliche Politik eine Chance."

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