Süddeutsche Zeitung

Nahaufnahme:Im Spagat zwischen Kohle und Wind

Markus Krebber rückt in Kürze zum RWE-Chef auf. Er will beweisen, dass es sein Konzern endlich ernst meint mit dem Umstieg auf erneuerbare Energien.

Von Benedikt Müller-Arnold

Wenn ein Konzern wie RWE seine Bilanz vorstellt, läuft es gern nach Schema F: Der Chef, Rolf Martin Schmitz, referiert das große Ganze, die Politik, die Pandemie. Danach steigt Finanzvorstand Markus Krebber in die Zahlen ein. Doch über die Rolle des Bilanzprofis wird der 48-Jährige bald hinauswachsen: Ende April geht Schmitz, 63, in Rente und übergibt an seinen Duzfreund. Es ist ein Generationswechsel.

Krebber übernimmt einen der vielleicht spannendsten Chefposten Deutschlands, einen Konzern im Umbruch: Bekannt ist RWE zu Recht für Kohle- und Atomkraftwerke, für Braunkohlebagger, für die teilweise Abholzung des Hambacher Forsts bei Köln. Doch fest steht auch, dass der Konzern 2022 sein letztes Kernkraftwerk abschalten muss, den letzten Kohlemeiler spätestens 2038. Für beide Ausstiege hat RWE hohe Entschädigungen erkämpft, musste freilich auch Milliarden abschreiben. Kritikern, auch einigen Investoren, geht der Abschied viel zu langsam. "Wir arbeiten intensiv daran, RWE immer nachhaltiger zu machen", hält Krebber dagegen.

Geboren am Niederrhein, machte Krebber zunächst eine Banklehre, studierte Wirtschaftswissenschaft, fing als Berater bei McKinsey an und wechselte zur Commerzbank. 2012 kam er zu RWE, es folgten knifflige Jahre: Nach der Atomkatastrophe in Fukushima und dem Ausstiegsbeschluss in Deutschland musste der Konzern Milliarden in einen Fonds einzahlen, der die Lagerung hiesigen Atommülls finanziert. RWE brachte daher zukunftsträchtige Geschäfte um Ökostrom, Netze und Vertrieb als Firma Innogy teilweise an die Börse.

Krebber wechselte damals nicht zu Innogy. Der einstige Banker kann sich - damals wie heute - mehr für den internationalen Energiehandel und große Kraftwerksanlagen erwärmen denn für das kleinteilige Geschäft mit regionalen Netzen, Strom- und Gaskunden.

Die Investitionen von RWE gingen zu 84 Prozent in "grüne Energie", wirbt Krebber

Die Treue zahlte sich aus, als RWE und Eon von 2018 an gemeinsame Sache machten und die Firma Innogy unter sich aufteilten: Netze und Vertrieb gingen an Eon, RWE übernahm die Wind- und Solarparks von Eon und Innogy in Europa und Amerika. Nun rückt Krebber bald an die Spitze eines Konzerns, der voriges Jahr etwa die Hälfte seiner Betriebsgewinne mit der Ökostromerzeugung erwirtschaftet hat; der Rest entstammte dem Energiehandel und konventionellen Kraftwerken.

Der Weg nach vorn sei freilich klar, wirbt Krebber: "Wir investieren kräftig - und das nahezu ausschließlich in grüne Energie." 84 Prozent der Investitionen von RWE flössen in Ökostromanlagen und Speicher. Praktisch alle Analysten sagen diesem Geschäft jahrzehntelanges Wachstum voraus. RWE experimentiert nun beispielsweise mit schwimmenden Plattformen für Windräder auf dem Meer oder Solaranlagen auf Seen.

Zwar wollen auch andere Energiekonzerne mit Erneuerbaren wachsen. Bislang kommt RWE freilich an genug Kapital, um mithalten zu können. "Erwarten Sie bitte keine grundlegende, neue Strategieausrichtung", sagt Krebber. Streiten könne man allenfalls darüber, wie schnell sich ein Konzern wie RWE verändern sollte.

Der Kunstfreund, der mit einem fünf Meter langen und kunterbunten Bild in seinem Büro in Essen aufwartet, weiß: Kritiker halten RWE entgegen, dass der Konzern noch immer mehr Gas- und Kohlekraftwerkskapazitäten besitzt denn Ökostromanlagen - auch wenn der Trend in die andere Richtung geht. Krebbers Vorgänger Schmitz hat es nach außen zumeist mit Humor genommen, wenn ihn Umweltschützer etwa zum "Dinosaurier des Jahres" ernannten. Sein Nachfolger weiß, auf welchen Spagat er sich da einlässt.

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