RWE:Kommunen droht Pleite durch Milliardenabschreibungen

File photo of new coal power plant in the western city of Neurath

Kohlekraftwerke wie in Neurath lohnen sich angesichts der Energiewende für RWE immer weniger. Das bringt auch Kommunen finanzielle Probleme.

(Foto: REUTERS)

Innerhalb von drei Jahren hat Deutschlands zweitgrößter Energiekonzern RWE die Hälfte seines Börsenwertes verloren. Das trifft die Großaktionäre - und damit die ohnehin schon klammen Kommunen in NRW.

Von Markus Balser, Berlin

Gläserne runde Doppelfassade, natürliche Belüftung, Sonnenwärme und Energie aus Tageslicht: Der 130-Meter hohe Turm der RWE-Zentrale am Essener Opernplatz sollte eigentlich für die Zukunft des Milliardenkonzerns stehen. Eines der ersten Öko-Gebäude der Republik - und das höchste im Ruhrgebiet.

"Power Tower" nennen sie den Sitz des zweitgrößten deutschen Energiekonzerns sinnigerweise in Essen. Einst als Symbol der Stärke gedacht, wird der Wolkenkratzer gerade zum Beleg eigener Schwäche. Denn RWE geht in so großem Tempo die Energie aus, dass nun auch noch der Verkauf des noblen RWE-Sitzes mitten in Essen ansteht.

RWE-Chef Peter Terium denke über den Verkauf des Turms nach, heißt es im Konzern. Es ist nicht der einzige geplante Einschnitt: Verkaufen, schrumpfen, Tausende Stellen abbauen. Die Lage für den einst stolzen RWE-Konzern ist derzeit desolat. Der erste Verlust seit Jahrzehnten, hohe Schulden, kaum noch Geld, um zu investieren. RWE hat sich in den vergangenen Monaten vom Dax-Riesen zum Leichtgewicht entwickelt.

Vom internationalen Multi zum Problemunternehmen

Binnen drei Jahren hat der Konzern bereits die Hälfte seines Börsenwerts verloren. Gut 17 Milliarden Euro ist das Unternehmen heute noch wert. Der IT-Konzern SAP bringt es auf das Vierfache. Dabei war noch vor ein paar Jahren die Hoffnung groß auf eine ganz andere Energiewende. Denn eigentlich sollte aus dem deutschen Versorger RWE ein internationaler Multi werden. Einer, der das strukturschwache Ruhrgebiet gleich mit erneuert.

In den achtziger und neunziger Jahren expandierte der Konzern ins Öl- und Gasfördergeschäft, die Chemieindustrie, Wasserversorger und die Telekommunikation. Der Ölförderer Dea kam zu RWE, die Baufirma Hochtief und der Telekom-Anbieter Otelo. Doch als sich der Größenwahn in Milliardenschulden entlud, wurden die Beteiligungen nach und nach verkauft. RWE konzentrierte sich wieder auf das Kerngeschäft mit Energie.

Doch jetzt ist auch noch dieser Kern in Gefahr. Eine Welle neuer Probleme kommt auf das Unternehmen zu. "Unsere Kraftwerke werden in den kommenden Jahren noch weniger verdienen, als wir befürchtet hatten", schwant Terium. Der Strompreis sinkt wegen des wachsenden Angebots an grünem Strom. Der Konzern muss den Wert seiner konventionellen Kraftwerke in der Bilanz um fünf Milliarden Euro nach unten korrigieren. Wegen des Ökostrombooms sind die Anlagen immer seltener am Netz. Die Wende und eigene Investitionen in erneuerbare Energien in Deutschland hat RWE verpasst. Zum Nachholen fehlt dem Konzern nun das Geld. Bei RWE, sagt ein Insider, sieht es derzeit ziemlich düster aus. Zum jüngsten Tiefschlag holte vor kurzem die nordrhein-westfälische Landesregierung aus und verkleinerte kurzerhand den Umfang des Kohle-Tagebaus Garzweiler.

Helfen sollen der gesamten Branche nach ihrem Willen Staatsgelder. Mehrfach hatten die vier großen Energiekonzerne Eon, RWE, EnBW und Vattenfall von der Bundesregierung gefordert, schon für das Bereitstellen der Kraftwerke künftig entlohnt zu werden - bisher vergeblich. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte sich gegen die rasche Einführung neuer Subventionen ausgesprochen.

Drohendes Finanzdesaster für Kommunen

Damit drohen RWE weitere Rückschläge. Die Folgen sind längst auch jenseits der RWE-Zentrale spürbar. Zum Problem wird der tiefe Fall vor allem für die notorisch klammen Kommunen in Nordrhein-Westfalen, von denen viele über ihre Stadtwerke Großaktionäre von RWE sind. Der im Bergbau verwurzelte RWE-Konzern gehört traditionell zu 25 Prozent kommunalen Eigentümern wie Dortmund, Bochum oder Gladbeck. Die sinkende Dividende und der rapide Kursverfall der Aktien reißen immer tiefere Löcher in deren kommunale Haushalte. Vielen Ruhrgebietsstädten droht deshalb ein Finanzdesaster.

Wer das Ausmaß begreifen will, muss nur Essens Oberbürgermeister Reinhard Paß (SPD) zuhören. Die Stadt, mit etwa 20 Millionen Aktien einer der größten kommunalen Aktionäre. Nun muss sie den jahrelang gefallenen Wert der RWE-Aktien in ihren Büchern korrigieren. Die Neubewertung lässt die klamme Ruhrgebietskommune mit einem Schlag in der Bilanz um fast 700 Millionen Euro ärmer dastehen. Sie verliert so fast ihr gesamtes Eigenkapital. Zum Jahresende rechnet die Stadt mit roten Zahlen. Das Minus soll dann bei 18,6 Millionen Euro liegen. 2016 dann schon bei über 50 Millionen Euro. Für die Kommunen sei die "absolute Schmerzgrenze" erreicht, sagt auch der Vorstandschef des Dortmunder Stadtwerke-Unternehmens, Guntram Pehlke. Man sei auf das Geld aus der RWE-Zentrale angewiesen.

Nach Ansicht von Experten sind in den Städten insgesamt Abschreibungen in Höhe von mehr als zwei Milliarden Euro fällig. Das Finanzdebakel wiegt auch deshalb schwer, weil im Mai Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen anstehen. In jedem Fall muss sich RWE-Chef Peter Terium auf der Hauptversammlung des Unternehmens am Mittwoch auf viel Kritik gefasst machen - wohl auch von Investoren, die noch immer eine schlagkräftige neue Strategie mit dem künftigen Geschäftsmodell vermissen.

Hinter den Kulissen arbeitet der Konzern deshalb an einer Nachricht, die die Gemüter besänftigen könnte. Denn RWE will nach Angaben aus Konzernkreisen sein Geschäft mit der Vernetzung heimischer Elektrogeräte ausbauen, genannt "Smart Home". Kunden sollen künftig von unterwegs aus Geräte wie Heizung steuern und etwa Überwachungsanlagen kontrollieren. Eine Kooperation mit einem amerikanischen Großkonzern stehe unmittelbar bevor, heißt es aus dem Unternehmen - und könnte am Mittwoch bekannt gegeben werden. Solche neuen Geschäfte könnten zwar die Einbußen im traditionellen Stromgeschäft nicht ausgleichen - verzeichneten aber zumindest hohe Wachstumsraten, sagt Deutschland-Chef Arndt Neuhaus.

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