RWE:Das grüne Gewissen

Der Energiekonzern produziert noch immer fast 40 Prozent seines Stroms aus klimaschädlicher Kohle. Jetzt will er sich wandeln. Ein kritischer Blick auf das Unternehmen kurz vor der Hauptversammlung.

Von Varinia Bernau, Essen

Ein Umweltschützer war ins Ruhrgebiet gekommen, um vom Kohleabbau im westsibirischen Kemerowo zu berichten. Aus einer Region, von der er sagt, dass sie zu den dreckigsten in Russland gehöre. Eine Region, aus der auch RWE Braunkohle bezieht. Eine Kolumbianerin nutzte die Hauptversammlung des Essener Energiekonzerns im vergangenen Jahr ebenfalls, um deutlich zu machen, dass der Kohleabbau ihrer Heimat die Lebensgrundlage entziehe. Und um RWE-Chef Peter Terium um Hilfe zu bitten.

37 Prozent des Stroms, den RWE im vergangenen Jahr erzeugt hat, wurden aus Braunkohle gewonnen. So viel wie aus keinem anderen Energieträger. Braunkohlestrom ist oft noch immer der billigste. Aber er ist auch der klimaschädlichste. Doch seit Politiker auf allen Ebenen darum ringen, einen Preis für die ökologischen Folgen der Energiegewinnung festzusetzen, hat RWE nicht mehr "nur" ein Imageproblem. RWE hat auch ein erhebliches wirtschaftliches Problem.

RWE: Fotos: dpa, Collage: SZ

Fotos: dpa, Collage: SZ

Wenn Deutschlands zweitgrößter Energiekonzern am Mittwoch zur Hauptversammlung nach Essen bittet, werden deshalb nicht mehr nur Umweltaktivisten ihren Unmut kundtun, sondern auch die Aktionäre. Die Lage ist inzwischen so bedrohlich, dass der Konzern die Dividende fast vollständig streichen will. Zum ersten Mal seit mehr als 50 Jahren. Für Stammaktien soll es in diesem Jahr keine Ausschüttung geben, Inhaber von Vorzugsaktien sollen noch 13 Cent bekommen.

RWE steht sinnbildlich für die alte Energiewelt. Eine Welt mit wenigen großen Versorgern, die Strom aus Atom-, Kohle- und Gaskraftwerken gewannen. Die neue Welt, das sind viele kleine Ökostromerzeuger, die nicht zuletzt durch politische Unterstützung als Ganzes inzwischen ziemlich groß sind. 2014 wurde in Deutschland erstmals mehr Strom aus erneuerbaren Energien als aus Braunkohle erzeugt. Die neuen Anbieter drängten an die Strombörse und drückten dort den Preis. 2008 lag der deutsche Großhandelspreis für eine zu liefernde Megawattstunde Strom noch bei mehr als 90 Euro, inzwischen ist er auf 22,75 Euro eingebrochen. Für diesen Preis lasse sich kein einziges Kraftwerk mehr betreiben, betonte Konzernchef Terium, als er im März den Geschäftsbericht vorlegte. Darin stand ein Verlust von 170 Millionen Euro.

5 Prozent

seines Stroms hat RWE aus erneuerbaren Energie erzeugt. In einer neuen Gesellschaft soll dieses Geschäft deutlich gesteigert werden.

Dass der Verlust nicht noch höher ausfiel, liegt vor allem daran, dass die Konzerne den Strom in den Vorjahren vorab zu höheren Preisen verkauft haben. So hat RWE für etwa 90 Prozent der diesjährigen Strommenge noch den Durchschnittspreis von 35 Euro pro Megawattstunde bekommen. Schon das hat den Betriebsgewinn der konventionellen Stromerzeugung fast halbiert. Die Aussichten sind trübe: RWE rechnet mit keiner deutlichen Erholung der Großhandelspreise für Strom bis zum Ende des Jahrzehnts. Er könne keine Anzeichen dafür ausmachen, dass die Kavallerie an dieser Front zur Rettung eile, klagte Finanzvorstand Bernhard Günther kürzlich.

Denn die Märkte, auf denen sich RWE wie auch andere Energiekonzerne bewegen, stehen unter einem enormen politischen Einfluss. Und wie wankelmütig Politiker sind, zeigt nicht zuletzt das Ringen um den Atomausstieg: unter der rot-grünen Regierung beschlossen, dann von der schwarz-gelben wieder zurückgenommen, um unter dem Schock der Katastrophe von Fukushima 2011 dann doch durchgedrückt zu werden.

"Die Unternehmen müssen abwägen, wie ernst es der Politik ist", sagt der Ökonom Andreas Löschel. Dies sei alles andere als einfach. Zwar hat sich die Staatengemeinschaft beim Klimagipfel in Paris darauf geeinigt, bis 2020 den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur gegenüber dem vorindustriellen Niveau auf unter zwei Grad Celsius zu begrenzen. Es liegt auf der Hand, dass sich Deutschland deshalb auch über die Braunkohle Gedanken machen muss. Aber: "Bislang gibt es auch auf EU-Ebene keine Anpassungen in der Klimapolitik nach Paris. Und das dürfte so bleiben", sagt Löschel, der an der Universität Münster einen Lehrstuhl für Energie- und Ressourcenökonomik hält. Weil der Ausstoß von Kohlendioxid bei Braunkohlekraftwerken höher ist als bei anderen, würde eine weitere Verteuerung der Emissionsrechte die Wirtschaftlichkeit dieser Anlagen noch stärker infrage stellen.

13 Cent

Dividende auf Vorzugsaktien will RWE noch zahlen, für Stammaktien soll es keine Ausschüttung geben. Schon in den vergangenen Jahren seien Dividenden aus der Substanz gezahlt worden, argumentiert der Konzern: Insgesamt 7,5 Milliarden Euro, obwohl das Eigenkapital 2009 bei knapp 13 Milliarden Euro lag.

RWE hat also selbst das größte Interesse, diese Kraftwerke zu modernisieren - oder zu schließen. Und natürlich: seinerseits stärker auf Ökostrom zu setzen. Im vergangenen Jahr emittierten die Kraftwerke des Konzerns 150,8 Millionen Tonnen Kohlendioxid - das sind etwa drei Prozent weniger als noch ein Jahr zuvor. Denn der Konzern hat bereits mehr Strom aus Gas und erneuerbaren Energien und weniger aus Kohle erzeugt. Doch der Wandel vollzieht sich langsam. Vielleicht sogar zu langsam. Es ist keine drei Jahre her, da hat Terium der Konzerntochter Innogy, die sich um die erneuerbaren Energien kümmert, sogar noch das Geld für Investitionen gekürzt. Der Wille im Unternehmen, sich der von der Politik ausgerufenen Energiewende zu stellen und Änderungen anzuschieben, sei zu gering gewesen, räumte er im vergangenen Dezember ein.

Während der Gewinn bei den konventionellen Kraftwerken sank, hat sich das betriebliche Ergebnis bei den erneuerbaren Energien mehr als verdoppelt. Aber es ist zu klein. 2015 waren gerade einmal fünf Prozent des RWE-Stroms grün. Das konnte den Einbruch lediglich dämpfen, nicht aber einen Aufschwung anstoßen.

Deshalb will Terium dieses Geschäft nun ausgliedern und schrittweise an die Börse bringen. So will er jene Investoren anlocken, die um das schmutzige Geschäft mit den konventionellen Kraftwerken einen Bogen gemacht haben. So will er an das dringend benötigte Geld kommen, um etwa Windparks und intelligente Stromnetze zu bauen. Er selbst will dieses Geschäft leiten. Seit Monaten gibt er deshalb den Freund für grüne Energie. Kein Umweltaktivist hat ihn dazu gebracht. Sondern: die wirtschaftliche Not.

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