RWE-Chef Großmann:"Wir werden neue Atomkraftwerke bauen"

RWE-Chef Jürgen Großmann bei Deutschlandfunk und Süddeutscher Zeitung: Ein Mann, sein Job - und die Energieversorgung der Zukunft.

M. Beise und U. Welter

Geplant war ein Gespräch vor allem über Energie. Seit einem Jahr ist Jürgen Großmann, dem die Stahlfirma Georgsmarienhütte gehört, beim Energiekonzern RWE als Topmanager angestellt. Ihn wie alle anderen interessiert derzeit aber zunächst die Finanzkrise. Der deutschen Politik gibt er dabei gute Noten: "Das Ersaufen ist verhindert worden."

RWE-Chef Großmann: RWE-Chef Großmann: "Mors ecken geit reihum. Was heute die Banker sind, das sind morgen andere."

RWE-Chef Großmann: "Mors ecken geit reihum. Was heute die Banker sind, das sind morgen andere."

(Foto: Foto: ddp)

Frage: Herr Großmann, die Finanzkrise bestimmt die öffentliche Diskussion in Deutschland. Vergangene Woche haben Sie die Situation mit der Bundeskanzlerin erörtert. Wie ernst ist die Lage?

Jürgen Großmann: Eine sehr ernste Situation ist überwunden worden - durch mutiges Handeln insbesondere der Bundesregierung. Ein Zusammenbruch des globalen Zahlungs- und Finanzsystems konnte verhindert werden. Aber nun kommt ein zweiter Schock: Viele Menschen werden sich jetzt über die Auswirkungen auf die Realwirtschaft klar. Wir alle müssen mit niedrigeren Auftragseingängen rechnen, und damit, dass die Kunden vorsichtiger werden und der Konsum zurückgeht. Um es plump zu sagen: Das Ersaufen ist verhindert worden. Aber wenn es uns mittel- und langfristig wieder gut gehen soll, dann müssen wir den Schwimmstil etwas verändern.

Frage: Sind Sie in diesen Tagen froh, kein Banker zu sein?

Großmann: Ach wissen Sie, wir sind heute hier in Hamburg. Da sagt man: Mors ecken geit reihum. Was heute die Banker sind, das sind morgen andere. Auch die Profession des Energieversorgers steht auf der Beliebtheitsskala nicht unbedingt ganz oben.

Frage: Es wird viel spekuliert, ob es eine Kreditklemme gibt und inwiefern es die Konzerne, die kleineren oder die größeren, trifft. Spüren Sie schon, dass die Banken zurückhaltender beim Verleihen von Geld sind?

Großmann: Es geht ja nicht nur um Kredite, sondern auch um Kurzzeit-Kapitalanlagen. Ein Konzern wie RWE muss sowohl kurzfristig Kapital anlegen wie auch natürlich mittel- und langfristig investieren. Wir haben - wie viele Bürger - das Geld dem Staat gegeben und Staatsanleihen gekauft. Man konnte vor gut einer Woche nicht mal sicher sein, welche Bank eine Einlage denn auch sachgerecht verwalten und gegebenenfalls rasch wieder zurückgeben konnte.

Frage: Der Staat ist ja wieder sehr in Mode. Die Politik löst gerade die Probleme, die die Privatwirtschaft angerichtet hat. Es ist die Rede davon, dass wir mehr Staat brauchen. Sehen Sie das auch so?

Großmann: Ich bin ja bei RWE in eine Industrie eingetreten, die einem sehr starken staatlichen Einfluss unterliegt. Wir brauchen eine gesunde Balance zwischen wohlverstandener staatlicher Kontrolle und privater Initiative. Es ist aber sicherlich nicht gut, dass in einer Krise starke und schwache Unternehmen und Geschäftsmodelle gleichermaßen ge-stützt werden. Eine auf Wettbewerb basierende Wirtschaft braucht auch eine gewisse Auslese. Schwache müssen scheitern können.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum Jürgen Großmann der Start bei RWE schwer fiel - und wie er heute mit Kritik umgeht.

"Wir werden neue Atomkraftwerke bauen"

Frage: Seit der Sanierung des Stahlunternehmens Georgsmarienhütte haben Sie einen fast legendären Ruf als Sanierer. Nun sind Sie auch noch Quereinsteiger. Es war eine Überraschung, dass Sie den Chefposten von RWE übernommen haben: Der Mittelständler als Herr über 63.000 Mitarbeiter und mehr als 40 Milliarden Euro Umsatz. Waren Sie selbst auch überrascht?

Großmann: Ja, extrem. Ich habe das nicht geglaubt. Da kam ein Anruf, und man fragte mich, ob ich Lust hätte, zu RWE zu gehen. Ich fragte: Als was denn? Na, als Vorstandsvorsitzender. Da habe ich gedacht, das wäre ein Sprechfehler, es sei Aufsichtsratsvorsitzender gemeint. Das hätte ich sofort gemacht. Aber Vorstandsvorsitzender? Es ist nicht so einfach, in völlig fremdes Wasser zu springen.

Frage: Ihr Vorgänger hatte einen glänzenden Ruf an der Börse, Sie galten so ein bisschen als der Mittelständler, der der Firma wieder ein "Herz" geben sollte. Sind Sie im Herzen ein Mittelständler, und sind so auch Ihre Methoden?

Großmann: Ja. Ich glaube, dass der Titel "Mittelständler" ein Ehrentitel ist, weil es das direkte Eingreifen in Entscheidungsprozesse bedeutet, ohne auf große Formalitäten zu achten. Mit dem Wort Mittelständler verbinde ich Entscheidungsfreudigkeit und Eigenverantwortlichkeit, nicht Zaudern. Das sind Eigenschaften, die ich bei RWE einführen will und auch schon eingeführt habe.

Frage: Sie sind mit sehr hohem Tempo gestartet, den Konzern zu verändern. Aber Sie stoßen immer wieder an Grenzen. Zu Ihrem einjährigen Dienstjubiläum gab es Berichte, dass Sie den Spaß verloren hätten, dass Sie ein Mann einsamer Entscheidungen seien und zunehmend in der Kritik stünden.

Großmann: Wirke ich heute auf Sie wie jemand, der dabei ist, die Brocken hinzuschmeißen? Ach was. Ich glaube auch nicht, dass ich ein Freund einsamer Entscheidungen bin. Im Gegenteil: Ich höre sehr genau zu, was meine Kollegen sagen und wollen. Wenn Sie ein erfolgreiches Unternehmen verändern wollen und wenn Sie an gewisse Besitzstände heran müssen, dann haben Sie zu akzeptieren, dass sich einige wehren. Aber ich bin nicht angetreten, um durch ein Spalier von Applaudierenden zu schreiten.

Frage: Eine Ihrer gegenwärtig größten Herausforderungen ist der Emissionshandel. RWE ist einer der größten Kohlendioxidemittenten in Europa, der Handel mit Zertifikaten kommt auf RWE zu, und Sie sollen nach dem Willen der Politik dafür zahlen. Vergangene Woche haben Sie damit gedroht, Investitionen womöglich auszusetzen, wenn es dazu käme, dass der Handel zu Lasten des Konzerns ginge. Das ist starker Tobak ...

Großmann: Sie müssen den Sachverhalt zutreffend darstellen: Den Emissionshandel gibt es ja schon lange, auch RWE macht da mit. Es geht im Moment darum, ob uns als Energieerzeugern Emissionsrechte weiterhin teilweise kostenlos zugeteilt werden oder ob wir sie ersteigern müssen. Gedroht haben wir nicht, sondern unsere Sorge geäußert, dass moderne Kohlekraftwerke, die wir für die deutsche Versorgung brauchen, unwirtschaftlich werden und damit aus dem Markt gedrängt werden.

Frage: Und das wollen Sie nicht?

Großmann: RWE gibt jetzt schon 1,5 Milliarden Euro im Jahr aus, um Emissionszertifikate zu kaufen. Manche Wettbewerber in Europa müssen das nicht. EDF zum Beispiel, der große französische staatliche Stromversorger, hat 59 Kernkraftwerke. Der Strompreis schließt allerdings die Kosten der Zertifikate ein. Insofern haben Konkurrenten, die ihren Strom aus Kernkraft oder Wasserkraft, also zertifikatfrei erzeugen, einen großen Vorteil, der dazu führen wird, dass sie finanziell sehr viel solider dastehen. Ich will einfach gleiche Wettbewerbsbedingungen.

Lesen Sie im dritten Teil, wo RWE neue Atomkraftwerke bauen wird - und warum die Gas-Kunden nicht vom sinkenden Ölpreis profitieren.

"Wir werden neue Atomkraftwerke bauen"

Frage: Der SPD-Bundesumweltminister Sigmar Gabriel, den Sie gut kennen und schätzen, argumentiert, der Staat habe ja schon Zertifikate verschenkt, die Konzerne hätten aber die fiktiven Kosten auf die Stromrechnungen aufgeschlagen. Sie hätten also Summen gehabt, um vielleicht auch Kraftwerke zu bauen, die moderner und weniger schmutzig sind.

Großmann: Derzeit bauen wir neue Kraftwerke. Sigmar Gabriel hat eine be-stimmte Sicht der Dinge. Er ist der Meinung, man müsse nur die Belastbarkeit der Wirtschaft testen, dann kommt sie schon mit neuen Ideen. Das ist eine gefährliche Politik. Wir sind nicht grenzenlos belastbar.

Frage: Wird die Kernkraft eine Renaissance erleben?

Großmann: Es bleibt abzuwarten, in welches Fahrwasser wir weltwirtschaftlich steuern, ob dann nicht Versorgungssicherheit und heimische Wertschöpfung für uns höhere Güter sein werden, als es derzeit der Fall ist. Also: Weniger Geld in die Erdgaslieferländer schicken, mehr auf heimische Energien wie Kernkraft und Braunkohle setzen. Lassen Sie uns die Welt um uns herum ansehen. Da gibt es großes Interesse an Kernenergie.

Frage: Und RWE macht kräftig mit. An zwei Projekten sind Sie beteiligt. Werden Sie weitere Atomkraftwerke bauen und wo?

Großmann: Es gibt eine knappe Handvoll Energieversorgungsunternehmen in Europa, die nukleare Betriebskompetenz haben. RWE gehört dazu. Wenn sich jemand mit uns als Partner auf ein Kernkraftwerk einlässt, dann kann RWE praktisch jede Technik auf der Welt realisieren. Das ist für uns ein Wettbewerbsvorteil. Deshalb wird RWE, das ist einhellige Meinung im Hause, sich an Projekten außerhalb Deutschlands beteiligen. Wir sind natürlich daran interessiert, die deutschen Kernkraftwerke so lange zu betreiben, wie sie technisch sicher sind.

Frage: Mit wie vielen neuen Projekten rechnen Sie für RWE?

Großmann: Das liegt an der Art der Finanzierung und daran, welche Partner wir haben. Aber ich glaube, drei bis fünf werden wohl sicherlich kommen.

Frage: Die Bürger bewegen vor allem die Energiekosten. Die Ölpreise sind gerade in den Keller gegangen. Da Öl- und Gaspreis aneinander gekoppelt sind: Wann wird RWE die Preise senken?

Großmann: Es gibt bei der Ölpreisbindung einen zeitlichen Nachlauf von etwa einem halben Jahr. Am Energiepreis, den der Verbraucher zahlt, verdienen viele. Vor allem der Staat, aber auch die Kommunen. Die Stromerzeuger sind nur ein Faktor. Natürlich wird durch die Dämpfung in der Weltwirtschaft der Anstieg der Energiekosten gebremst. Andererseits werden der Energiehunger der Welt und die Investitionsnotwendigkeiten preiserhöhend wirken.

Frage: Also keine Entwarnung für die Verbraucher?

Großmann: Nein. Denn in Deutschland steht ein Kraftwerkspark, der im Schnitt ungefähr 30 Jahre alt ist. Da sind hohe Investitionen für den Ersatz notwendig. Es ist sehr viel teurer heutzutage, ein modernes Kraftwerk zu bauen. Der Bürger sollte deshalb nicht die Hoffnung haben, dass die Energiekosten sich sprunghaft verbilligen. Aber das ist keine Willkür, sondern Folge der Entwicklung auf den Weltenergiemärkten.

Der Deutschlandfunk strahlt das Spitzengespräch in voller Länge an diesem Mittwoch von 19.15 Uhr bis 20 Uhr aus.

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