RWE-Chef Großmann im Gespräch:"Gefahr feindlicher Übernahmen wächst"

Er habe nichts gegen den Ausstieg aus der Kernenergie an sich, sagt Jürgen Großmann. Dennoch macht sich der RWE-Chef große Sorgen: Im SZ-Interview warnt er vor ausländischen Investoren, beschwört die Gefahr von Blackouts - und erklärt, warum er gegen die Regierung klagen will.

Markus Balser und Marc Beise

RWE-Chef Jürgen Großmann, 59, lädt zum Interview in die futuristische Strom-Schaltzentrale des Konzerns bei Köln. Aus dem High-Tech-Zentrum kontrolliert RWE die Energieautobahnen. Großmann warnt vor Risiken des Ausstiegs: "Die Gefahr von Stromausfällen wächst."

Windräder hinter Solaranlagen

"Kaum ein anderes Unternehmen hat so viel Wind-Offshore in der Planung wie wir", verteidigt Jürgen Großmann RWE.

(Foto: dpa)

SZ: Herr Großmann, nach Ihrem Protestbrief an Angela Merkel tobt ein neuer Streit über den Ausstieg. Wollen Sie in letzter Minute noch am Konsens rütteln?

Großmann: Ich würde mir wünschen, dass die Politik sachlicher argumentiert. Derzeit werden auf Teufel komm raus unumkehrbare Fakten geschaffen. Warum soll nicht 2018 oder 2019 überprüft werden, ob wir mit der geplanten Wende im richtigen Korridor sind? Schaffen wir den Ausstieg 2022 wirklich? Mich stört weniger der Ausstieg aus der Kernenergie als solcher. Der ist politisch und gesellschaftlich gewollt. Als Unternehmer sind es Worte wie "alternativlos" und "unumkehrbar", die mir Sorgen machen. Auch nach 2023 wird es in Deutschland Atomstrom geben, nur keinen deutschen.

SZ: Was konkret fürchten Sie?

Großmann: Dass die Folgen des Ausstiegs noch immer unterschätzt werden. Die Gefahr von Stromausfällen wächst.

SZ: Ist das nicht Panikmache? Seit dem Moratorium sind acht AKW vom Netz - und nichts ist passiert. Kein Blackout, keine Engpässe.

Großmann: Die Gefahr ist real. Im Mai hatten wir viel Sonne, herzlichen Dank. In den kommenden Monaten aber wird der Solarstrom abnehmen. Blackouts sind möglich, wenn die Stabilität im Netz sinkt. Am wahrscheinlichsten sind sie im Herbst oder Winter bei geringer Solar-Ausbeute und geringem Wind - eine Wetterlage, die für unsere Breiten normal ist. Dann können wir gravierende Probleme bekommen. Sie sehen doch hier auf diesen Kontrolltafeln, wie stark die Netze schon unter Druck stehen, weil die Kapazität der Atommeiler fehlt.

SZ: Warum zeigen Sie das hier nicht mal den Politikern?

Großmann: Manche waren schon hier, SPD-Chef Gabriel zum Beispiel, als er noch Umweltminister war.

SZ: Und was hat er gesagt?

Großmann: Er war beeindruckt.

SZ: Und Umweltminister Röttgen? Auf den kommt es ja an?

Großmann: Eingeladen hat ihn unser Netzbetreiber schon mehrfach.

SZ: Was denken Sie sich, wenn er dann nicht kommt?

Großmann: Politikern täte es gut, die Folgen ihrer Handlungen zu überprüfen. Zum Beispiel die Kosten des Ausstiegs und Folgen für den Strompreis. Verbraucher werden mehr zahlen. Und mancher Konzern wird sich gut überlegen, ob er in Deutschland noch gut aufgehoben ist.

"Wachstum findet woanders statt"

SZ: Die Wirtschaft ist für den Ausstieg - ob BDI oder Konzerne wie Siemens. Warum sollten sie abwandern?

Juergen Grossmann

Vom Atomausstieg genervt: RWE-Chef Jürgen Großmann muss um Geschäft und Gewinn fürchten.

(Foto: AP)

Großmann: Die De-Industrialisierung kommt nicht auf einen Schlag. Das wird ein schleichender Prozess. Investitionen werden in Deutschland zurückgehalten. Viele Kollegen sagen mir, sie warten ab, in welche Richtung der Energiepreis geht. Wenn die Politik weiter so konsequent die Zerstückelung der industriellen Energieerzeugung betreibt, werden wir bald auf ganze Industriezweige verzichten müssen. Konzerne wie BASF oder ThyssenKrupp wird es dann hier nicht mehr geben.

SZ: Klingt, als hätten auch Sie keine Lust mehr auf Deutschland?

Großmann: Es wird bei RWE Verschiebungen geben. Ich habe schon zu meinem Amtsantritt 2007 gesagt: Wir müssen das "Klumpenrisiko Deutschland" verringern. Unsere Aktionäre kommen zu über 50 Prozent von außerhalb Deutschlands. Wir sind heute schon ein internationales Unternehmen. Trotzdem haben wir bislang den Großteil unserer Investitionen auf Deutschland konzentriert.

SZ: Jetzt kommt der Kurswechsel?

Großmann: Das Tempo der Internationalisierung wird bei RWE größer. Die Investitionen werden künftig eher im Ausland erfolgen. Denn Wachstum findet für uns derzeit woanders statt.

SZ: Ihr Börsenkurs ist abgestürzt. Haben Sie Ihre Strategie noch in der Hand, werden die deutschen Stars der Energiebranche zu Übernahmekandidaten?

Großmann: Der Wertverlust unserer Aktie macht mir Sorge. Unsere internationalen Anleger kritisieren mittlerweile offen die politischen Risiken des deutschen Energiemarktes. Der Aktienpreis spiegelt das wider. Und ja: Die Gefahr einer feindlichen Übernahme wächst mit sinkenden Kursen. Zumal angesichts der aktuellen Entwicklungen der Konsolidierungsdruck in Europa wieder zunimmt.

SZ: Sie selbst planten vor Fukushima einen geheimen, spektakulären Deal. Sie wollten im Februar eine Superfusion mit Spaniens Versorger Iberdrola - und hätten sogar den Konzernsitz ins Ausland verlagert. Warum ist der Deal geplatzt?

Großmann: Ich kann und will das an dieser Stelle nicht kommentieren.

SZ: RWE ist offen für eine Fusion?

Großmann: RWE ist stark genug, die Herausforderungen der Zukunft auch alleine zu meistern. Die Energiebranche muss aber ihre grenzüberschreitende Arbeitsteilung vorantreiben. Immer komplexere Strommärkte, Druck auf dem Gasmarkt, ein Flickenteppich regulatorischer Vorgaben mit 27 Fördersystemen für Erneuerbare Energien: In Zukunft kann nicht mehr jeder alles alleine machen. Das reduziert die Risiken für jeden einzelnen. Die internationale Öl- und Gaswirtschaft macht es doch vor.

SZ: Andere fürchten Zusammenschlüsse und wollen sie mit aller Macht verhindern. Sie würden sich unterordnen?

Großmann: Ich werde sehr viel daran setzen, alleine zu bleiben. Aber wenn es unabweisbare Vorteile gibt und eins plus eins eben mehr ist als zwei, warum soll man dann nicht zumindest über eine Zusammenarbeit nachdenken?

SZ: Investoren fragen sich, warum der grüne Umbau bei RWE nicht schneller geht. Auf einer Sitzung wollen Sie einige Eigentümer zur Rede stellen. Was werden Sie Ihnen sagen?

Großmann: Ganz einfach: dass RWE unter meiner Führung so viel in Erneuerbare investiert hat, wie nie zuvor. Ich habe 2007 fast bei null angefangen und in der ersten Woche eine grüne Gesellschaft gegründet. Ehrgeiziger geht es nicht.

SZ: Sie hinken hinterher. Bundesweit liegt der Ökostromanteil bei 16 Prozent, im Konzern nur bei sechs. Das für 2012 geplante Ausbauziel wird nun erst 2014 erreicht. Das nennen Sie ehrgeizig?

Großmann: Mit über einer Milliarde Euro pro Jahr an Investitionen sind wir einer der größten europäischen Investoren in die Erneuerbaren. Kaum ein anderes Unternehmen hat so viel Wind-Offshore in der Planung wie wir. Sie müssen schon verstehen, dass ich aber nur Geld ausgeben kann, das ich habe. Kraftwerksprojekte verzögern sich. Und der Atomausstieg kommt uns teuer.

SZ: Wie teuer?

Großmann: Wir reden über entgangene Milliardeneinnahmen. Aber das ist nur das eine: Wir haben viel Geld in Kraftwerke gesteckt, um sie zu modernisieren. Wir haben Biblis B mit einem dreistelligen Millionenbetrag aufwendig für eine längere Laufzeit modernisiert. Nun sollen wir es nicht wieder anfahren dürfen. All das geht an die Substanz.

"RWE treibt die Wende voran"

SZ: Ihr Kontrahent Eon fordert von der Regierung Schadenersatz, weil er seine Aktionäre schützen will. Sie auch?

Großmann: Es gibt klare und eindeutige Vorgaben des Aktienrechts. Die können sie als Vorstand einer Aktiengesellschaft nicht eben beiseite wischen. Klar ist aber auch, dass solche Prozesse kein Vergnügen sind.

SZ: Trotzdem droht der Regierung auch wegen der Brennelementesteuer eine Klagewelle. Die sollten Sie als Gegenleistung für die Laufzeitverlängerung zahlen. Jetzt wird sie trotz Atomausstiegs fällig. Werden Sie das schlucken?

Großmann: Nein, wohl kaum. Es sprechen deutlich mehr Gründe für eine Klage als dagegen. Die Steuer ist aus verfassungsrechtlicher und EU-rechtlicher Sicht bedenklich und angreifbar.

SZ: Die Mehrheit der Deutschen ist gegen Atomkraft. Ist es nicht Zeit, die Wende beherzt voranzutreiben, statt sich im Streit mit der Politik aufzureiben?

Großmann: RWE treibt die Wende beherzt voran. Aber wenn Berlin Beschlüsse fasst, die rational und rechtlich nicht begründbar sind, dann müssen wir wenigstens auf die Fehler hinweisen. Dieses gute Recht lassen wir uns nicht nehmen.

SZ: Wo muss die Politik nachbessern?

Großmann: Mit der sofortigen Stilllegung von acht Anlagen und dem schrittweisen Aus der anderen neun ist es den Betreibern noch nicht einmal möglich, die von Rot-Grün zugestandenen Strommengen zu produzieren. Darüber hinaus werden willkürliche Grenzen bei der Stilllegung der Anlagen gezogen: Warum muss der Kraftwerksblock Grundremmingen B vier Jahre früher vom Netz als das baugleiche Schwesterkraftwerk?

SZ: Stichwort Restlaufzeit: Ihr Vertrag läuft bis Herbst 2012. Bleiben Sie nach der Energiewende RWE-Chef?

Großmann: Ich werde meinen Vertrag bis September 2012 erfüllen - und zwar gerne.

SZ: Aufsichtsratschef Manfred Schneider sucht angeblich schon einen Nachfolger für Sie. Lanxess-Chef Axel Heitmann ist im Gespräch.

Großmann: Zu Personen sage ich nichts, das ist Sache des Aufsichtsrates. Ich selbst aber habe dem Aufsichtsratschef im Herbst letzten Jahres vorgeschlagen, einen Stellvertreter zu benennen. Ziel ist es, das bis Sommer dieses Jahres über die Bühne zu bringen.

SZ: Klingt nach raschem Umbruch.

Großmann: Nein, nach langfristiger Planung. Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann ist mit zwei Jahren Vorlauf als Nachfolger für Rolf Breuer bestimmt worden. Um Gerüchten zu begegnen: Es hat Bestrebungen gegeben, mich zum Bleiben zu überreden. Aber das will ich nicht. Für mich beginnt 2012 ein neuer Lebensabschnitt. Darauf freue ich mich.

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