Russlands Autoindustrie:"Im Alter werden alle Autos Opel"

Opel soll in Russland die heimische Branche modernisieren und beleben - dabei hatte der Konzern in dem Land selbst lange Zeit ein grauenhaftes Image.

Sonja Zekri

Früher gab es in Russland fiese Sprichwörter. Zum Beispiel dieses: Wer im Wald ganz leise ist, der hört den Opel rosten. Oder ein anderes, noch gemeineres: Im Alter werden alle Autos Opel. Der Ruf der Marke war, kurz gesagt, erbärmlich. Aber heute ist alles ganz anders. "Als der neue Astra H herauskam, wurde Opel in Russland praktisch neu geboren", sagt Denis Sidorow: "Alle Händler hatten damals nur ein Ziel: Das alte Image von Opel vergessen zu machen." Sidorow ist in Kunzewo im Westen Moskaus Chef des Autozentrums, einem offiziellen Händler von General Motors (GM), und verkauft dort seit fünf Jahren neben Chrysler vor allem die GM-Marke Opel.

Im Moment ist das eine ziemlich stille Sache. Zwischen den Ausstellungswagen gähnende Leere. Es ist Mittagszeit, aber das erklärt es nicht allein. Russland war drauf und dran, Deutschland als größten Automarkt Europas zu überholen, aber dann brach der Markt wegen der Wirtschaftskrise um 70 Prozent ein und Sidorows Umsatz gleich mit.

Doch immerhin: Von 2007 auf 2008 steigerten sich Opels Verkaufszahlen in Russland um 260 Prozent. Das Ganze summierte sich zwar nur auf einen Marktanteil von etwa drei Prozent, aber das Potential ist gewaltig. Und Magna, der künftige Eigentümer, hat versprochen, Opels Marktanteil auf 20 Prozent zu bringen. Sidorow begrüßt den Opel-Deal von Magna, der russischen Sberbank und dem russischen Hersteller Gaz: "Wir Händler sind optimistisch."

Selbst große Patrioten fahren ausländische Autos

Denn selbst die größten Patrioten in Russland fahren ausländische Marken. In einen russischen Wagen setzt sich freiwillig niemand. Die Giganten der russischen Autoindustrie wie vor allem Opels möglicher "Industrie-Partner" Gaz, wo Wolga-Modelle gebaut werden, und die Lada-Schmiede Autovas in Togliatti an der Wolga produzieren seit Jahrzehnten am Markt vorbei. Autovas gilt als schlagendes Beispiel für die verheerende Wirkung staatlicher Lenkung.

Das Unternehmen gehört zur Staatsholding Rostechnologii. Bei Gaz in Nischnij Nowgorod scheiterte der Versuch, mit dem "Siber" ein Auto auf Basis eines US-Modells zu bauen, trotz moderner Fertigungsstraßen. Trotz erhöhter russischer Importzölle auf ausländische Autos, Staatshilfe in Milliardenhöhe und der Aussicht auf eine russische Abwrackprämie sind beide Betriebe weder wirtschaftlicher noch moderner geworden. Zusammen haben sie Zehntausende Mitarbeiter entlassen. Für Gaz, für die darbende russische Autoindustrie schlechthin, soll die Zusammenarbeit mit Opel ein Hightech-Jungbrunnen sein.

Harte Konkurrenz unter russischen Opel-Händlern

Der Moskauer Opel-Händler Sidorow hält das für möglich, allerdings nur, wenn bei Gaz in Nischnij Nowgorod Opel nach jenen Standards gebaut werden, die er vor zwei Jahren selbst beim Werksbesuch in Rüsselsheim erlebt hat: "In einem Raum werden die Autos eine Woche gerüttelt, um die Federung zu testen. In einem anderen scheint eine künstliche Sonne, in einem regnet es. Es gibt Sensoren, die die Reaktionen auf Telefonwellen und Schiffsradar prüfen oder die statische Aufladung", sagt er: "So etwas hatte ich noch nicht gesehen."

An der harten Konkurrenz unter den russischen Opel-Händlern dürfte sich durch die Übernahme wenig ändern. "Es gibt Hunderte Opel-Händler in Russland, viel mehr als für andere Marken", sagt Sidorow. Vor zwei Wochen griff wieder ein Händler nebenan Sidorow mit Dumping-Preisen an. Bis GM dagegen einschritt, hatte Sidorow noch ein paar der verbliebenen Kunden verloren. Im Moment nämlich fragen die Kunden nur nach dem Preis.

Der Glanz zählt

Aber sonst, ja, sonst zählt eigentlich nur der Glanz: "Russische Käufer lieben teure, coole, pompöse Autos. In Europa achten die Kunden auf den Verbrauch oder die Sicherheit. In Russland aber haben wir absurd breite Straßen, wir wollen große Autos. Ein russischer Kunde wird sich immer fürs Äußere entscheiden", sagt Sidorow.

Da, endlich, eine Kundin, und was für eine! Ein echter Fan! Jekaterina Zarebulewa trägt raspelkurze Haare, Sandalen und ein lila Tanktop. Sie fährt einen Astra und plant die Anschaffung von zwei neuen Opel, einen Antara für sich und einen Zamfira für die Eltern. Mercedes ist sie schon gefahren, auch VW, trotzdem schwört sie auf Opel: "Für das Geld kriegen Sie in europäischer Qualität kein anderes Auto", sagt sie.

Aber ein Antara? So ein Schiff, in diesen Zeiten? "Er ist größer und sicher", sagt sie. Dann grinst sie und ergänzt: "Außerdem gucken die Leute hin." Und der Verbrauch? "Nun ja, der schluckt 15 Liter in der Stadt", sagt sie. "Aber wer gerne rodelt, muss auch gern den Schlitten ziehen, heißt ein russisches Sprichwort." Wer Antara fahren will, muss gleich den Tankwagen ziehen, heißt das wohl. Zarebulewa gehört zu jener neuen Generation von Opel-Freunden, auf die Sidorow seine Hoffnungen setzt, jung und wohlhabend, dabei durchaus preisbewusst.

Jekaterina Zarebulewa wird bar zahlen, wie über die Hälfte von Sidorows Kunden. Wer kann sich bei Zinsen von 20 Prozent schon ein Auto auf Kredit leisten? Nur wie genau sie das Geld für eine solche Anschaffung in diesen harten Tagen verdient hat, mag die Frau nicht verraten.

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