Gas-Zoll:Putin schaden, ohne Europa in die Rezession zu stürzen?

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Promovierte in Chicago: Der Ökonom Daniel Gros aus Brüssel berät Regierungen in aller Welt (Foto: imago images)

Der Ökonom Daniel Gros schlägt einen Zoll vor. Die Idee hat Charme. Es gibt aber auch gute Gründe, warum die EU sie bislang nicht aufgegriffen hat.

Von Claus Hulverscheidt

Würden sich militärische Sprachbilder in diesem Zusammenhang nicht eigentlich verbieten, dann müsste man feststellen, dass sich deutsche Ökonomen in den letzten Wochen eine fast beispiellose Verbalschlacht geliefert haben. Die Streitfrage lautete: Soll der Westen wegen Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine sofort alle Öl- und Gasimporte aus Russland stoppen? Und wenn ja, wäre ein solches Embargo wirtschaftlich verkraftbar oder schadete sich Europa damit am Ende mehr selbst als dem Moskauer Feldherrn?

Was in der aufgeheizten Debatte unterging, war die Frage, ob es nicht Alternativen gibt, die Putin schaden, ohne zugleich Teile der westlichen Welt in eine tiefe Rezession zu stürzen. Eine solche Idee, die in der Politik bisher kaum diskutiert wird, stellte am Montagabend Daniel Gros, Vorstandsmitglied des Brüsseler Centres for European Policy Studies, bei den Munich Economic Debates von Ifo-Institut und Süddeutscher Zeitung vor: die Einführung eines Zolls auf Energieimporte.

Der Grundgedanke ist einfach. Statt die Liefermengen zu kappen und ein Experiment mit ungewissem Ausgang zu starten, wird vor allem russisches Gas durch Einführung einer Einfuhrabgabe von beispielsweise 30 Prozent gezielt verteuert. Der Hauptlieferant Gazprom muss nun entscheiden: Entweder er hält an seinen eigenen Preisen fest und nimmt in Kauf, dass Kunden sich nach anderen, günstigeren Anbietern umsehen. Oder aber er verlangt weniger, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Das aber hätte hohe Mindereinnahmen für den Konzern wie für die russische Staatskasse zur Folge, während zugleich die EU jährliche Zolleinnahmen von 30 bis 50 Milliarden Euro kassierte. Diese könnten für Hilfen an finanzschwache Haushalte verwendet werden.

Gros ist überzeugt, dass Putin einen solchen Zoll akzeptieren müsste, weil die EU am längeren Hebel sitze. Tatsächlich gingen 2021 rund 75 Prozent der russischen Erdgasförderung an Kunden in Europa. Da der Bau neuer Pipelines und Terminals zur Gasverflüssigung extrem aufwendig und teuer ist, hätte Gazprom kaum eine Möglichkeit, Exportausfälle durch Lieferungen an neue Abnehmer auszugleichen. Umgekehrt könnte die EU relativ leicht Flüssigerdgas (LNG) aus Asien oder den USA kaufen, weil die Anlagen, in denen aus LNG wieder Gas wird, einfacher und kostengünstiger zu bauen sind.

Die Bürger sollen für jede eingesparte Kilowattstunde Strom eine Prämie erhalten

Rückendeckung erhält Gros von Experten des Brüsseler Wirtschaftsforschungsinstituts Bruegel sowie der Universitäten Harvard und Köln. Auch sie glauben, dass Putin selbst bei signifikanten Preisabschlägen noch ein kommerzielles Interesse daran hätte, Gas nach Westeuropa zu verkaufen. Schließlich habe sich Russland auch in der Vergangenheit mit Preisen von zwölf oder 15 Euro pro Megawattstunde statt der derzeit üblichen rund 80 Euro zufriedengegeben. Im Übrigen sei auch ein Embargo rein ökonomisch betrachtet nichts anderes als ein unendlich hoher Importzoll - allerdings weit weniger flexibel.

Um Europa unabhängiger von russischen Energielieferungen zu machen, schlägt Gros vor, den Importzoll schrittweise anzuheben und ihn auf Öl auszudehnen. Hier dürfe der Satz allerdings nicht so hoch sein, weil Öl viel leichter umgeleitet werden könne. Zusätzlich müssten die Bürger einen Anreiz erhalten, Gas zu sparen. "Dabei macht es wenig Sinn, Subventionen einfach mit der Gießkanne zu verteilen", sagte der Volkswirt mit Blick auf das geplante Energiegeld der Bundesregierung. Vielmehr könnten Stromkunden zum Beispiel eine Prämie von zwei bis vier Cents für jede Kilowattstunde erhalten, die sie gegenüber 2021 einsparen.

Warum das Zollmodell in der Politik bisher kaum diskutiert wird, darüber konnten Gros und Ifo-Präsident Clemens Fuest nur Mutmaßungen anstellen. Eine Hypothese ist, dass die Regierenden mit der Einführung eines Zolls die Verantwortung für die mutmaßlich steigenden Endkundenpreise übernehmen müssten, während sich Preiserhöhungen sonst auf Putin, die Finanzmärkte oder andere dunkle Mächte schieben ließen. Hinzu komme, dass ein Zoll "für die Außenpolitiker nicht martialisch genug" sei, sagte Gros. "Wir müssen uns aber entscheiden, ob wir mit dem Degen fechten oder mit der Keule draufhauen wollen." Fuest erklärte, die Politik habe "offensichtlich vor den eigenen Wählern mehr Angst als vor Russland".

Allerdings: Auch die Ideen der Ökonomen selbst sind nicht unumstritten, denn sie setzen darauf, dass Putin gemäß seiner eigenen wirtschaftlichen Interessen völlig rational handelt und nicht etwa aus purer Rache dem Westen den Gashahn zudreht. "Er hat sich bisher rational verhalten, warum sollte er das in Zukunft nicht tun?", sagte Gros. Es dürfte den ein oder anderen Politiker geben, der an dieser Grundhypothese mittlerweile so seine Zweifel hat.

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