Russland und der Fall Yukos:Die Zähmung der Oligarchen

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Nach der Verhaftung von Michail Chodorkowskij war der Aufschrei im In- und Ausland laut. Doch nur wenige Tage später ist der frühere Yukos-Chef aus den Schlagzeilen nahezu verschwunden. In Russland leisten die anderen Magnaten keinen Widerstand mehr gegen Präsident Putin.

Von Tomas Avenarius

(SZ vom 20.11.03) - Für die russische Zeitung Nowyje Iswestija war es ein "Kongress der Verlierer". Treffender wäre es vielleicht gewesen, von einem "Kongress der Überlebenskünstler" zu sprechen: Schließlich stand am Ende des Treffen der russischen Wirtschaftsführer mit Präsident Wladimir Putin so etwas wie ein "New Deal" zwischen dem Kreml und Russlands berüchtigten Oligarchen.

Knallharter Machtpolitiker: Wladimir Putin. (Foto: Foto: AP)

Das Angebot des Kremlchefs: Die Unternehmer sollen sich aus der Politik heraushalten und "ihre soziale Verpflichtung" anerkennen - in Form spürbarer Beiträge zum Wohlstand aller Russen. Wenn ja, dürften sie ihr Geld behalten. Wenn nicht, so Putins unausgesprochene Drohung, könnten sie hinter Gittern landen wie der Yukos-Ölbaron Michail Chodorkowskij.

Ein Angebot, das Putin schon zu Beginn seiner Amtszeit gemacht hatte, das nach der Inhaftierung Chodorkowskijs aber kaum noch abzulehnen ist. Igor Jürgens, stellvertretender Vorsitzender des Verbandes der russischen Industriellen und Unternehmer, formulierte dann auch passend: "Präsident Putin hat sich als Modernisierer gezeigt, der auf die Zukunft zielt. Wir sollten an seiner Seite kämpfen."

Weiter in Haft

Während Putin bei dem Treffen Ende vergangener Woche zum einen mit der Knute knallte ("man sollte die Strafverfolgungsbehörden nicht ohne Grund schmähen") und zum anderen Angebote zur Zusammenarbeit unterbreitete, saß Chodorkowskij weiter in Haft.

Früher einer der Wortführer unter den im Verband zusammengeschlossenen Bossen, musste er erfahren, dass keiner seiner Weggefährten eine Lanze brechen wollte für ihn.

Dem Oligarchen dürfte klar geworden sein, dass er noch lange sitzen wird. Ein stellvertretender Generalstaatsanwalt hatte angekündigt, dass sich die Untersuchungshaft auf "bis zu zwei Jahre" erstrecken könnte und Chodorkowskij im Falle einer Verurteilung zehn Jahre Haft drohten. Der Staatsanwalt: "Traurigerweise können wir ihn nicht länger einsperren."

Parallel dazu erhöhen der Kreml und die Staatsanwälte den Druck auf Chodorkowskijs Unternehmen: Die Drohung mit dem Entzug der Förderlizenzen, die der Rohstoffminister aussprach, ist nur ein Element.

Fusion wird noch einmal geprüft

Zugleich soll nun ein Gericht den von der Anti-Monopolbehörde bereits genehmigten Zusammenschluss von Yukos mit dem kleineren russischen Ölunternehmen Sibneft überprüfen, die angelaufene Fusion würde Yukos-Sibneft zum viertgrößten Ölkonzern weltweit machen.

Kein Zufall wohl auch, dass der Rechnungshof dazu nun heraus-fand, dass Sibneft das Steuerrecht gebrochen habe. Sibneft gehört Roman Abramowitsch. Das ist jener Oligarch, der sich für etwa 400 Millionen Euro den britischen Fussballclub Chelsea sowie internationale Starspieler gekauft hat.

Chodorkowskij hatte mit seinen ungeheuren Finanzmitteln um politischen und wirtschaftlichen Einfluss gekämpft. Seit seiner Inhaftierung und Putins Auftritt auf dem Unternehmerkongress hat sich die Lage verändert. Derzeit jedenfalls leisten die angeblich so mächtigen Oligarchen der Staatsmacht keinen Widerstand mehr.

Das Überleben der Oligarchen aber dürfte davon abhängen, ob sie sich fügen und mehr Geld in die Staatskasse bringen. Der Streit geht um höhere Steuern auf Gewinne aus dem Ölgeschäft: Bisher nutzten Unternehmen wie Yukos und Sibneft Lücken im Steuerrecht, um ihre Firmen in Steuer-Sonderzonen zu registrieren und die Abgaben zu drücken.

Neue Förderstätten

Außerdem geht es um eine "Naturnutzungsabgabe" beim Abbau von Rohstoffen. Und der Kreml will, dass die Konzerne in Zeiten drastisch steigenden russischen Ölexports den Rohstoff nicht nur aus alten Quellen pumpen. Sie sollen neue Förderstätten erschließen.

Die meisten genutzten Ölfelder wurden zu Sowjetzeiten erschlossen. Derzeit pumpt Russland täglich 8,8 Millionen Barrel auf den Markt, Tendenz steigend. Wenn der Abbau so weitergeht, dürfte das bisher erschlossene russische Öl in 25 Jahren ausgebeutet sein. Der Ölexport aber wird noch auf lange Zeit zentrales Element der Wirtschaft sein, weshalb neue Felder erschlossen werden müssen.

Doch der Kreml geht keineswegs nur gegen Chodorkowskij vor, weil dieser innenpolitische Ambitionen hat erkennen lassen. Ebenso sehr stört sich Präsident Putin offenbar an der gewinnorientierten "Außenpolitik" des Ölbarons.

Chodorkowskij hatte mit Exxon und Chevron-Texaco seit längerem Gespräche über einen möglichen Einstieg eines dieser US-Konzerne bei Yukos geführt. Putins Mannschaft fürchtet, dass amerikanische Firmen die Kontrolle über Russlands Rohstoffe gewinnen könnten.

Aggressive Geschäftspolitik

Der US-Politologe Peter Rutland schrieb dazu in der Moscow Times: "Es war Chodorkowskijs aggressive Geschäftspolitik und nicht sein angeblicher Einsatz für mehr Demokratie, was die Alarmglocken in Regierungskreisen schellen ließ."

Ins Bild passen auch die Unterwerfungssignale, die von Yukos kommen. Der neue Vorstandschef Semjon Kukes, der die Nachfolge des zurückgetretenen Chodorkowskij übernommen hat, sieht keinen Anlass mehr für eine Zusammenarbeit des russischen Ölriesen mit einem US-Konzern. "Ich kann keine Synergie-Effekte erkenne zwischen unseren Ölförderstätten und den Gesellschaften, die öffentlich erwähnt werden", sagte Kukes über die Möglichkeit von Gesprächen mit US-Firmen.

Ebenso gestört haben dürfte den Kreml, dass Chodorkowskij gefordert hatte, parallel zum staatlichen Pipelinesystem ein privates Röhrennetz aufbauen zu dürfen.

Die Kontrolle des Öltransportes über den staatlichen Pipeline-Verwalter Transneft ist nach der Privatisierung der Förderstätten einer der wenigen Hebel, den der Kreml gegenüber den Ölbaronen hat: Die Pipelines sind ein Machtinstrument, Russland setzt sie im Umgang mit den Nachbarstaaten zweckdienlich ein. Etwa im Streit um die Frage, wie der zentralasiatische Ölreichtum auf die Märkte gebracht werden kann.

Außenpolitik des Präsidenten

Chodorkowskij aber wollte eine Pipeline ins energiehungrige China bauen. Der Kreml hingegen möchte aus politischen Gründen zuerst die ebenso bedürftigen Japaner mit einer neuen Röhre und mit sibirischem Öl beliefern. Kurz: Mit seiner Absicht, einen US-Konzern zu Yukos zu holen, hat der Oligarch Chodorkowskij die Außenpolitik des Präsidenten ebenso gestört wie mit den eigenen Pipeline-Plänen.

Die Abbitte des neuen Yukos-Bosses Kukes zeigt, dass die Vorgaben in der Chefetage des Ölkonzerns verstanden werden - schließlich kämpft Yukos in seinem Konflikt mit dem Kreml um das eigene Überleben. Der in Haft sitzende Chodorkowskij scheint dabei in Vergessenheit zu geraten. Sein Nachfolger Kukes sagte über den Großaktionär nur: "Ich halte mich auf Abstand von Chodorkowskij als Person." Und er fügt hinzu: "Ich wünsche ihm viel Glück - aber die Sache ist sein Problem."

Ähnlich war der Tenor auf der Versammlung der russischen Unternehmer: Auch Ölboss Wiktor Wechselberg nannte die Inhaftierung des reichsten Mannes Russlands nonchalant ein "persönliches Problem". Und der Oligarch Oleg Deripaska verlegte sich auf ein gut sichtbares Kopfschütteln: "Ich verstehe nicht, wofür er kämpfte. Ich bin überrascht über ihn - schließlich ist er doch ein sehr reicher Mann."

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