Seit 1980 wird in Russland an jedem ersten Sonntag im September der "Tag der Angestellten in der Öl- und Gasindustrie" gefeiert. So viel Grund wie Wladimir Putin am vergangenen Sonntag, sich über die Erfolge des wichtigsten Wirtschaftszweiges des Landes zu freuen, hatte allerdings schon lange kein Staatschef mehr. Die Grußbotschaft, die der Kreml auf seiner Internetseite veröffentlichte, hörte sich überschwänglich an: "Dank Ihrer und der Arbeit Ihrer Vorgänger, Ihrer Kompetenz und Ihrem Verantwortungsbewusstsein ist Russland seit vielen Jahren führend bei der Produktion von Kohlenwasserstoffen und leistet einen gewaltigen Beitrag zur Energieversorgung der Welt."
Die Zufriedenheit, die aus Putins Worten sprach, war nicht aufgesetzt. Gerade haben die fünf größten Rohölkonzerne des Landes ihre Halbjahreszahlen vorgelegt und dabei alle Erwartungen weit übertroffen: Zusammengenommen verdoppelte sich der Nettogewinn von Rosneft, Lukoil, Gazprom Neft, Surgutneftegas und Tatneft gegenüber dem Vorjahr von umgerechnet etwa 7,6 Milliarden Euro auf mehr als 15,2 Milliarden Euro.
Russland fördert derzeit rekordverdächtig mehr Öl. Die offizielle Meldung des russischen Energieministeriums verzeichnet für den August eine Rohölförderung in Höhe von 11,2 Millionen Barrel pro Tag. Das ist beinahe so viel wie im bisherigen Rekordmonat, dem Oktober 2016. Damals hatte Russland wenige Wochen nach diesem Spitzenwert gemeinsam mit anderen Opec-Staaten beschlossen, die Förderung zu drosseln, um strategische Reserven aufzustocken und den Ölpreis zu stabilisieren. Jetzt sind die Lagertanks wieder voll, der Preis für die Ölsorte Brent ist inzwischen um 40 Prozent auf derzeit etwa 79 Dollar pro Barrel gestiegen. Die Opec hatte sich im Juni darauf geeinigt, die Förderung langsam wieder hochzufahren.
Das Geld wird daher in Zukunft wieder deutlich rasanter in die Kassen der russischen Ölkonzerne strömen. Sie profitieren paradoxerweise von den Sanktionen, die die EU und die USA nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 gegen das Land erlassen haben. Denn wegen der Strafmaßnahmen hatte die Landeswährung Rubel bis Anfang dieses Jahres circa die Hälfte ihres Wertes gegenüber dem Euro verloren. Dann kam der Fall Skripal in Großbritannien und mit ihm neue Sanktionsdrohungen des Westens. Der Rubel wertete allein im August noch mal um knapp zehn Prozent gegenüber dem Euro ab.
Bei BP und Shell wird die Produktion teurer, bei den russischen Ölkonzernen billiger
Die Sanktionen sorgen so für eine verkehrte Welt: "Normalerweise steigt der Rubel, wenn auch der Ölpreis steigt", sagt der Energie-Analyst Alexander Kornilow von der Moskauer Investmentbank Aton. Für die russischen Ölkonzerne sei diese Anomalie ein unverhoffter Segen: "Anders als bei ihrer westlichen Konkurrenz von BP, Shell oder Exxon Mobil sinken ihre Produktionskosten, während der Preis für Rohöl in Rubel enorm gestiegen ist." Das zeigt sich in den Bilanzen der fünf Ölkonzerne. Rechnet man ihre Nettogewinne zusammen, kommt man - nicht in Euro gerechnet - auf die sagenhafte Summe von 1250 Milliarden Rubel. Das ist viel Geld, solange es in Russland investiert wird. Zwar führte die internationale Rubelschwäche 2015 zunächst zu einer jährlichen Inflationsrate von 15 Prozent, doch dieses Problem bekam die russische Nationalbank durch ihre rigide Zinspolitik unter Kontrolle: Inzwischen liegt die Inflationsrate bei moderaten zwei Prozent.
Im Inland verfügen die Ölkonzerne daher nun über eine ordentliche Kaufkraft. "Die Produktionskosten der russischen Ölindustrie sinken ausgedrückt in Dollar derzeit. Denn für denselben Betrag in Dollar können sie jetzt mehr Arbeiter beschäftigen und mehr Produktionsmittel einkaufen als vorher", sagt der Energie-Analyst Ildar Davletschin von der Investmentbank Wood and Company.
Die Gefahr, dass weitere westliche Sanktionen der russischen Ölindustrie schließlich doch schaden könnten, wenn ihr etwa Exporte verweigert oder die Abrechnung in Dollar auf den internationalen Finanzmärkten blockiert würden, erscheint russischen Beobachtern zur Zeit nicht übertrieben groß. "Daran kann auch der Westen kein Interesse haben", sagt Davletschin. "Denn der Effekt von Exportauflagen auf den Ölpreis wäre bei der enormen Größe des russischen Ölsektors sofort sehr groß." Die EU würde sich wegen ihrer enormen Abhängigkeit von russischen Energieeinfuhren zudem selber schaden, so der Analyst. Und Trump sei der Ölpreis derzeit sowieso zu hoch. Er hat schon strategische Reserven der USA auflösen lassen, wenige Wochen vor den Midterm-Wahlen.
Es sieht also ganz danach aus, dass der gute Lauf der russischen Ölindustrie anhalten wird - dank westlicher Sanktionen.