Luftfahrt:Fliegen wie zu Sowjet-Zeiten

Luftfahrt: Boeing 777 der russischen Fluggesellschaft Aeroflot auf dem Flughafen von Jelisowo, Kamtschatka.

Boeing 777 der russischen Fluggesellschaft Aeroflot auf dem Flughafen von Jelisowo, Kamtschatka.

(Foto: Marina Lystseva/Imago/Itar-Tass)

Der russische Luftverkehr leidet massiv unter den westlichen Sanktionen. Nun finanziert der Staat den Neustart der eigenen Flugzeugproduktion und fordert von der Industrie praktisch Unmögliches.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Die Aussichten für die russischen Fluggesellschaften und die Flugzeugindustrie waren mehr als düster. Seit Anfang 2022 dürfen die Airlines viele ihrer Ziele im Ausland nicht mehr anfliegen. Die Leasingverträge für einen Großteil der Flotte, weitgehend bestehend aus Maschinen von Boeing und Airbus, wurden fristlos gekündigt. Westliche Lieferanten können keine Komponenten für neue Maschinen oder Ersatzteile für alte nach Russland schicken. Airbus und Boeing mussten die Kommunikation mit ihren russischen Kunden einstellen. Alles in allem, wie es schien, ein ziemlich taugliches Rezept dafür, die Industrie auszubremsen.

Die Sanktionen, die der Westen gegen Russland wegen des Krieges gegen die Ukraine erlassen hatte, sollten als einen der wichtigen Wirtschaftszweige des Landes die Luftfahrt treffen. Doch mehr als ein Jahr nach Kriegsbeginn fliegt weiterhin ein großer Teil der russischen zivilen Flugzeugflotte. Gleichzeitig versucht Russland mit riesigem Aufwand, die heimische Industrie wiederzubeleben, damit in den nächsten Jahren immer mehr der westlichen Maschinen durch russische ersetzt werden können. Bis etwa 2030 soll die Transformation so vorangeschritten sein, dass die Branche vom Westen unabhängig ist. Bis dahin wird improvisiert.

Es ist wie eine Zeitreise zurück in Sowjet-Zeiten. Damals flogen russische Fluggesellschaften vor allem im Inland und ins befreundete Ausland. Die Maschinen, die sie nutzten, waren technisch veraltet und ineffizient, die staatliche Industrie baute die Jets unterstützt durch milliardenschwere Subventionen und ohne westliche Technologie. Der Zusammenbruch der Sowjetunion war auch das Ende einer Ära, denn schnell entdeckten die heimischen Fluglinien, wie viel sparsamer und zuverlässiger die Modelle von Airbus und Boeing waren als die von Tupolew oder Iljuschin. Da die Airlines Anfang der Neunzigerjahre äußerst klamm waren, finanzierten sie die neuen Flotten in der Regel über Leasinggeschäfte, bis vor Kurzem das dominante Finanzwerkzeug des russischen Flugsektors.

Nachdem die Leasingunternehmen die Verträge fristlos kündigten, verbot die russische Regierung den heimischen Airlines, die Maschinen zurückzugeben, und ließ die Flotte, die bislang vor allem auf Bermuda und in Irland registriert war, nach Russland umschreiben, sozusagen ein staatlich verordneter Diebstahl von mehr als 500 Flugzeugen. Nach russischen Angaben konnten die eigentlichen Besitzer weniger als 100 Maschinen konfiszieren - die Leasingfirmen mussten Milliarden an Sonderabschreibungen verbuchen. Die Maschinen sind auf jeden Fall auf dem internationalen Markt wertlos, weil Flugbewegungen, Reparaturen und Wartung nicht mehr nachvollzogen werden können.

Apropos Wartung: Eigentlich müsste der Großteil der russischen Flotte längst am Boden stehen, denn mit dem Embargo hätte auch der Strom von Ersatzteillieferungen in das Land versiegen müssen. Doch nach Schätzungen fliegen von den insgesamt rund 1200 Maschinen noch rund 1000 weiter. Es finden sich offenbar immer noch ausreichend Wege über Drittländer, die das Embargo missachten, Ersatzteile ins Land zu bringen. Und wenn es wirklich nicht mehr weitergeht, werden Maschinen auf den Boden gestellt und ausgeschlachtet.

Auch die Tupolew Tu-214 soll wieder gebaut werden

Die Übung ist mühsam und kann riskant sein, wenn eigentlich notwendige Reparaturen verschoben würden. Vor allem aber ist sie nicht auf Dauer in dem jetzigen Umfang fortzuführen, zumal die Flotte schon alleine altersbedingt nach und nach erneuert werden soll. Hier kommt der Staatskonzern United Aircraft Corporation (UAC) ins Spiel, in dem mittlerweile ein Großteil der russischen Luftfahrtindustrie aufgegangen ist. UAC soll bis 2030 laut Regierung mehr als 1000 neue Flugzeuge an die einheimischen Airlines ausliefern. UAC baut - theoretisch - zwei Modelle, die einigermaßen auf internationalem Standard sind - die Kurz- und Mittelstreckenmaschine MC-21 und das Regionalflugzeug Superjet.

Theoretisch deshalb, weil beide in einer Zeit entwickelt wurden, als Russland noch viel mit dem Westen kooperieren wollte und durfte. Nun müssen sowohl bei der MC-21 als auch beim Superjet erst einmal alle westlichen Komponenten - Motoren, Teile der Cockpit-Elektronik oder Fahrwerke - durch russische ersetzt werden. Das dauert in der Regel mehrere Jahre. UAC hat nun sogar den eigenen Anteil am Superjet-Projekt, an dem auch der italienische Luftfahrtkonzern Leonardo beteiligt ist, an einen Investor aus den Vereinigten Arabischen Emiraten verkauft. Auch die Endmontage soll künftig in Dubai stattfinden. Abnehmer dürften sich nur in Russland oder befreundeten Staaten finden. Von den Sanktionen, die Flugzeugexporte aus Russland verhindern, einmal abgesehen: Die russische Industrie hat ihre Produktionskapazitäten längst nicht auf derartige Mengen an neuen Flugzeugen ausgelegt. Um die Zeit zu überbrücken, soll die Industrie sogar wieder die alte Tupolew Tu-214 bauen, die aus Sowjetzeiten stammt und als Programm seither eigentlich nur noch auf dem Papier existierte.

Um all dies irgendwie zu erreichen, pumpt Russland Unmengen an Subventionen in die Branche: Mehr als zwei Milliarden US-Dollar gingen an die Fluggesellschaften, nur um Mehrkosten und Ausfälle des Jahres 2022 zu kompensieren, vier Milliarden Dollar sollen sie erhalten, um geleaste Flugzeuge zu kaufen, weitere mehr als drei Milliarden Dollar für Geschäfte mit russischen Leasingfirmen und Banken und rund fünf Milliarden Dollar für den Neustart des heimischen Flugzeugbaus.

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