Russland:Kein Handel, kein Wandel

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Die Beziehungen zwischen Europa und Russland stecken in der Sackgasse. Die Sanktionen bringen nichts, glauben immer mehr deutsche Unternehmer - und fordern eine Lockerung.

Von Franziska Augstein, München

In Wirtschaftskreisen geht es sehr viel weniger aufgeregt zu als in der Politik. Ökonomen aus Russland und Deutschland sind sich einig, was zu tun ist: Die Kontakte und den Handel aufrechterhalten, trotz der antirussischen Sanktionen, trotz der russischen Gegensanktionen. Deutsche und Russen, die wirtschaftlich unterwegs sind, sagen, dass Russland ein Teil von Europa sei und nicht gen Osten abgedrängt werden dürfe.

Die Wirtschaft fürchtet: Wird Russland an die Wand gedrückt, wäre Europa nicht gedient

Eckhard Cordes, der scheidende Vorsitzende des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, hat das neulich in der Evangelischen Akademie Tutzing so formuliert: Selbst wenn es unwahrscheinlicherweise gelingen sollte, mittels der Sanktionen "Russland wirtschaftlich an die Wand zu drücken", wäre Europas Sicherheitsinteressen damit nicht im Geringsten gedient. Aus eigenem Erleben schilderte Cordes, wie derzeit Abgesandte von chinesischen und südkoreanischen Unternehmen fast schon feixend in Grandhotels säßen: Sie warten auf Termine mit Großkopfeten der russischen Industrie, während die deutsche Konkurrenz abwesend sei.

Derzeit werden jene, die wie Cordes dazu raten, sich Russlands geopolitische Interessen vor Augen zu führen, oft als "Putin-Versteher" bezeichnet. Viele Wirtschaftsleute lässt dies kalt. Um es mit dem Juristen Andreas Knaul zu sagen, der Mittelständler in Russland vertritt: "Als Unternehmensvertreter sind wir ja nicht in der Caritas, sondern um in Russland Geld zu verdienen." Knaul ist dringend daran gelegen, dass es keinen neuen, kleinen Kalten Krieg gebe. Dasselbe denken alle deutschen Firmen, die in Russland engagiert sind.

Präsident Putin ist in Europa umstritten, doch im eigenen Land beliebt, wie ein T-Shirt mit seinem Konterfei zeigt. (Foto: Stefan Wermuth/Reuters)

Profit gibt es nur, wenn friedliches Einvernehmen herrscht. Knaul spricht auf einer Tagung, welche die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung in Berlin zusammen mit einer nach dem russischen Wirtschaftsminister Jegor Gaidar benannten Stiftung abhielt. Ehemalige russische Minister und deutsche Experten sind dort eines Sinns: Die antirussischen Sanktionen werden, so ihre Meinung, politisch nichts bewirken. Anatoli Tschubais, der unter Boris Jelzin zusammen mit Jegor Gaidar die russische Wirtschaft neoliberalisierte, sagt in Berlin: Mit seinen Geldreserven könne Russland jegliche Sanktionen bis 2018 aushalten. Dann werde Russland Anleihen aufnehmen. Auch das sei kein Problem, weil die Staatsverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt weit unter dem liege, was andere europäische Länder sich erlauben. Tschubais Fazit: "Ich sehe keine Katastrophe für die russische Wirtschaft voraus."

Die Sanktionen betreffen drei Themen: Zum einen sind Individuen und deren Unternehmen betroffen, das bedeutet unter anderem Reisebeschränkungen. Zum Zweiten geht es um Finanztransaktionen. Zum Dritten muss geprüft werden, ob Maschinen zu Waffen umgebaut werden können. Diese Sanktionen, davon ist auszugehen, werden noch eine ganze Weile in Kraft bleiben. Denn die Europäische Union wird sie wohl um weitere sechs Monate verlängern. Es gebe eine "allgemeine Übereinstimmung", in diese Richtung zu gehen, sagte der spanische Außenminister José Manuel García-Margallo am Mittwoch in Brüssel - eine Aussage, die EU-Diplomaten anschließend bestätigten. Man müsse die Sache nur noch formalisieren, sagen sie. Geschehen wird dies wohl am 14. Dezember, wenn die Außenminister wieder tagen. Zuletzt hatten die Europäer die Sanktionen gegen Russland im Sommer verlängert, und zwar bis zum 31. Januar 2016. Sie hatten zugleich beschlossen, die Sanktionen erst dann wieder aufzuheben, wenn Russland die Vereinbarungen aus dem Minsker Friedensplan komplett erfülle, was aber bis heute nicht der Fall ist. Wie aber soll die deutsche Wirtschaft mit all dem umgehen? Kann sie an jenen Geschäften festhalten, die nicht von den Sanktionen betroffen sind? Eckhard Cordes, der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, erzählte auf der Tagung in Berlin, ein Attaché der Berliner US-Botschaft habe einem Unternehmer angekündigt, wenn der in Russland ein Geschäft mache, werde er das später im Hinblick auf seine Investitionen in den Vereinigten Staaten möglicherweise bereuen. Nicht alle deutschen Unternehmer, die in Russland investieren, können von solchen Reaktionen berichten. Viele arbeiten einfach so vor sich hin. Und das läuft, was das Rechtliche angeht, ganz gut. Laut dem Anwalt Andreas Knaul gibt es eine Direktive von ganz oben, derzufolge auswärtige Unternehmen ordentlich behandelt werden müssen. Wenn deutsche Unternehmen vor Gericht in Russland klagen, so Knaul, funktioniere die russische Justiz - anders als sonst - tadellos.

Mehr als lästig, sagt Knaul, seien für etliche deutsche Unternehmer die Auflagen gewesen: Bis deutsche Behörden geprüft hatten, ob die Geräte eines Maschinenbauers zu Waffen umfunktioniert werden könnten, vergingen viele Monate. Allzu oft sei es vorgekommen, dass ein russischer Abnehmer den Vertrag kündigte, weil die Lieferfrist überschritten wurde. Mittlerweile habe die deutsche Bürokratie sich diesbezüglich freilich gebessert. Insoweit die Sanktionen Finanztransaktionen betreffen, sind deutsche Industrie- und Handelsunternehmen fein raus. Das hat keine Folgen für sie, weil sie, laut Knaul, "die Finanzierung in der Regel mitbringen".

Unter den Sanktionen leiden auch Firmen wie der Landmaschinenhersteller Claas, der im russischen Krasnodar produziert. (Foto: Andrey Rudakov/Bloomberg)

Die meisten der 6000 deutschen Unternehmen, die in Russland arbeiten, können dort überleben. 2012, das war das beste Jahr, betrug das Handelsvolumen zwischen Deutschland und Russland 80 Milliarden Euro. 2015 kann nicht einmal von der Hälfte die Rede sein.

Russland ist ein stolzes Land. Die Russen erinnern sich an den Zweiten Weltkrieg vielleicht noch stärker als die Deutschen. Entbehrungen werden patriotisch hingenommen. Die westlichen Sanktionen hatten vom Kreml verfügte Gegensanktionen zur Folge. Letztere treffen nur die Bevölkerung. Der Wirtschaftswissenschaftler Evgeny Gontmakher sagt sarkastisch: "Früher haben wir guten Käse gekauft. Heute kaufen wir den billigsten Käse." Wegen der Gegensanktionen sind Milchprodukte in Russland außerordentlich teuer geworden.

Die Sanktionen seien sinnlos, das denken fast alle Experten auf der Tagung. Cordes sagt: Effektlose Maßnahmen, die nur ergriffen würden, um zu tun, als würde man etwas tun, seien überflüssig. Was die Gegensanktionen angeht, bemerkt der Osteuropa-Historiker Martin Schulze Wessel: Russen seien geübt im Leiden, die Verteuerung von Grundnahrungsmitteln nähmen sie hin wie viele andere Übel.

Fast so etwas wie Einigkeit herrscht unter wirtschaftlich versierten russischen Putin-Gegnern in einer Frage: Unter Boris Jelzin wurden die Staatsunternehmen zum Nachteil des Landes an Oligarchen verschleudert. Putin gilt als jemand, der Abhilfe schaffen wollte - bis das Interesse am Machterhalt überhandnahm.

Die Deutschen für ihren Teil konstatieren, dass der Kreml unter Putin sich große Mühe gebe, Investoren ins Land zu holen. Das lässt sich mittels einer Anekdote erklären, die der ehemalige deutsche Botschafter in Moskau, Ernst-Jörg von Studnitz, während der Berliner Tagung privatim erzählt: Die Firma Henkel habe zur Produktion von Waschmitteln einen russischen Partner gefunden. Henkels Waschmittel seien in Russland sehr gut angekommen, weil das Zeug die Wäsche tatsächlich sauber machte. Gleichwohl habe Henkel sich von dem russischen Partner getrennt. Der Grund: Der Russe habe den Profit nicht reinvestieren wollen, um das Unternehmen auszubauen. Alles erwirtschaftete Geld wollte er für sich behalten. Da war er nicht der Einzige: Viele Russen denken so. Putin weiß das. Also werden auswärtige Investoren in Russland willkommen geheißen.

Stahl-Exporte "made in Russia" nach Europa sind tabu. (Foto: Andrey Rudakov/Bloomberg)

Die Eurasische Wirtschaftsunion, die Zollunion der fünf Staaten Russland, Kirgisistan, Weißrussland, Kasachstan und Armenien (EAWU), gilt im Westen allgemein einerseits als Luftikus-Veranstaltung und andererseits als Knebelverein, mittels dessen Russland andere Staaten an der Kandare zu halten trachte. Nicht nur Anatoli Tschubais und Michael Harms, der Vorstandsvorsitzende der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer, sehen das anders. Wie sie darlegen, habe die EAWU im Hinblick auf die Vereinheitlichung von Standards und Zöllen viel erreicht. In deren Versammlungen, so Harms, sitzen "unideologische Spitzenbeamte", Technokraten "im besten Sinn des Wortes". Weißrussland sei den Russen bei der Regulierung von Zolltarifen voraus. Kasachstan sei besonders gut bei der Übernahme internationaler technischer Normen. Die Gespräche in der EAWU, sagt Harms, "werden konsensorientiert geführt".

Putin hat immer wieder von einer Zollunion von Westeuropa bis Wladiwostok geschwärmt

Da die EAWU auf dem Tapet ist, kommt natürlich im Berliner Publikum die Frage auf, ob nicht die EU und die EAWU zusammenarbeiten könnten. Putin hat mehr als einmal von einer Zollunion geschwärmt, die sich von Westeuropa bis Wladiwostok erstreckt. Tatsächlich aber - Harms spricht es aus - kann Russland sich das erst dann leisten, wenn seine Industrie international wettbewerbsfähig ist. Bis auf Weiteres kann Russland beim Handel mit dem Westen auf Zölle nicht verzichten. Deshalb hat der Kreml enerviert auf die Nachricht reagiert, dass die Ukraine von 2016 an Freihandel mit der EU betreiben kann. Die russische Sorge ist, dass Güter aus Europa von der Ukraine am russischen Zoll vorbei nach Russland exportiert werden. Diese Sorge, sagt Eckhard Cordes, sei nicht ganz unberechtigt.

Vor diesem Hintergrund ist es widersinnig, dass der EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso gegen Ende seiner Amtszeit, im Winter 2014, erklärte, keinesfalls dürfe die Ukraine ein Assoziierungsabkommen mit der EU eingehen und gleichzeitig der EAWU angehören. Die Kreml-Führung selbst hätte das wohl nicht gewollt. Barroso hat mit diesem Satz möglicherweise großes Unheil angerichtet: War es nötig, die russische Regierung zu provozieren? Der Diplomat Ernst-Jörg von Studnitz bezeichnet Barrosos Satz als einen "groben Fehler".

© SZ vom 03.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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