Energie aus Russland:Der hohe Preis der Unabhängigkeit

Erdgasspeicher einer Tochtergesellschaft von Gazprom in Rehden

Rohrleitungen zu den unterirdischen Vorräten auf dem Gelände des Erdgasspeichers Rehden. Sein Betreiber ist Astora, eine Tochtergesellschaft des russischen Staatskonzerns Gazprom.

(Foto: Lino Mirgeler/picture alliance/dpa)

Russische Sanktionen kippen die Lieferverträge von Gazprom Germania. Wie teuer die neue Energiepolitik Deutschlands werden kann, zeigen Berechnungen der EU.

Von Michael Bauchmüller und Björn Finke, Berlin/Brüssel

Was genau passiert, wird sich erst am Freitagmorgen zeigen. "Erst dann können wir die Gasflüsse messen", sagt Klaus Müller, der Chef der Bundesnetzagentur. Erst dann wird klar, ob Moskau den Gashahn wieder ein Stückchen weiter zugedreht hat. Grund zu dieser Sorge gibt es.

In der Nacht zum Donnerstag war ein Dekret des Kreml in Berlin eingegangen, es listet insgesamt 31 europäische Unternehmen auf, die von russischer Seite sanktioniert werden sollen - allen voran Gazprom Germania und einige seiner Tochterfirmen. Der deutsche Ableger des russischen Monopolisten war Anfang April unter treuhänderische Verwaltung des Bundes gestellt worden. Die russischen Sanktionen treffen nun die Gasverträge, die über Gazprom Germania und deren Töchter liefen, und auch Verträge über die Befüllung von Gasspeichern. Jene Töchter, die für den Gastransport zuständig seien, lässt das Dekret dagegen aus. Geradezu "chirurgisch" sei das, sagt Klaus Müller. Moskau wolle offenbar weiter Geschäfte mit Deutschland machen. Wie lange noch, weiß keiner.

Es ist eine neue Stufe der Eskalation. Erst die Ankündigung, nur noch Rubel als Zahlungsmittel für russisches Gas zuzulassen, dann ein Stopp der Lieferungen nach Bulgarien und Polen, am Mittwoch schließlich das Ende der Lieferungen über die ukrainische Sojus-Leitung. "Insgesamt spitzt sich die Situation zu", sagt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). "Die Ankündigungen, Gas, Öl, Energie als Waffe einzusetzen, realisieren sich jetzt an verschiedenen Stellen." Noch am Donnerstag trat der Krisenstab des Bundes zusammen, um über die neue Lage zu beraten.

Gazprom Germania muss nun über die Treuhänderin Netzagentur neue Lieferverträge schließen. Sicher werden sie teurer als die alten. Der Bund will finanziell helfen. Zehn Millionen Kubikmeter russisches Gas könnten ausbleiben, das wären rund drei Prozent der russischen Lieferungen. So genau weiß man auch das erst am Freitagmorgen. Der Ausfall sei überschaubar, sagt Habeck. "Aber die Situation kann sich verschärfen."

195 Milliarden Euro müssen investiert werden

Und dann? Fieberhaft bereiten sich Berlin und Brüssel derzeit auf den Tag vor, an dem die Lage eskaliert. Der Bundestag etwa wollte sich am Donnerstagabend mit einer Neufassung des "Energiesicherungsgesetzes 1975" befassen, einem Relikt der Ölkrise. Künftig soll es leichter werden, Unternehmen unter treuhänderische Verwaltung zu stellen, wie es mit Gazprom Germania geschah. Dass russische Firmen die deutsche Energiezufuhr kappen, indem sie Raffinerien wie die in Schwedt einmotten oder Gasspeicher nicht mehr befüllen, ließe sich dann verhindern. Notfalls per Enteignung.

Schon am Donnerstagmorgen hatte sich der Bundestag erstmals mit einem Gesetz befasst, das die Genehmigungen so genannter LNG-Terminals beschleunigen soll. Hier lässt sich verflüssigtes Erdgas in Deutschland anlanden, alternativ zu russischen Lieferungen. Vier schwimmende Terminals hat der Bund schon gechartert, nur fehlt noch die Infrastruktur an Land. Auch feste Terminals sollen entstehen.

Solche Terminals sind teuer. Und es werden noch viele andere Investitionen anfallen, um Deutschland und die EU von russischer Energie abzunabeln. Die Summe der nötigen Investitionen bis 2027 werde in der EU 195 Milliarden Euro betragen, schätzt die Kommission in Brüssel. Die Behörde wird am kommenden Mittwoch einen Plan präsentieren, wie die EU binnen fünf Jahren komplett unabhängig von Gas, Öl und Kohle aus Russland werden kann. Der SZ liegt ein Entwurf des Konzepts vor, und darin wird diese enorme Zahl genannt. Der Betrag kommt noch zu den Investitionen hinzu, die für das ehrgeizige Klimaschutzprogramm der EU nötig sind.

Zugleich soll der Verzicht auf russische Importe aber jedes Jahr 80 Milliarden Euro bei Gas sparen, zwölf Milliarden Euro bei Öl und 1,7 Milliarden Euro bei Kohle. Um die Unabhängigkeit zu erreichen, sollen die Europäer wirtschaftlicher mit Energie umgehen: Die Energieeffizienz-Richtlinie der EU sieht bislang neun Prozent Einsparungen bis 2030 vor. Dieses Ziel will die Brüsseler Behörde auf mindestens 13 Prozent anheben.

Wind- oder Solarkraftwerke sollen von "übergeordnetem öffentlichen Interesse" sein

Die Richtlinie über erneuerbare Energien möchte die Kommission ebenfalls ehrgeiziger gestalten. Bisher gibt der Rechtsakt vor, dass die EU 2030 etwa 40 Prozent ihrer Energie aus erneuerbaren Quellen beziehen soll. Der Wert soll auf 45 Prozent hochgeschraubt werden. Unter anderem soll sich schon bis 2028 die Kapazität der Solaranlagen auf 300 Gigawatt mehr als verdoppeln. Diese Richtlinie soll auch klarstellen, dass Wind- oder Solarkraftwerke von "übergeordnetem öffentlichen Interesse" sind; Genehmigungsverfahren sollen beschleunigt und vereinfacht werden. Bislang könne es bis zu neun Jahre dauern, eine Windkraftanlage zu billigen, klagt die Behörde.

Die klimafreundliche Produktion von Wasserstoff als Alternative zu Erdgas soll hochgefahren werden, zudem soll die EU über drei sogenannte Importkorridore solchen Wasserstoff einführen: über die Nordsee, sprich: aus Norwegen und Großbritannien, aus Nordafrika und nach Kriegsende aus der Ukraine. Bei LNG, also verflüssigtem Erdgas, sieht die Kommission ungenutztes Potenzial in den Lieferländern Senegal und Angola. Verhandlungen mit Ägypten und Israel über derartige Lieferungen hätten begonnen, heißt es. Algerien und Aserbaidschan hätten zudem erklärt, mehr Erdgas via Pipeline schicken zu wollen.

Im Europaparlament regt sich aber bereits Kritik an dem Konzept: "Allein das Ambitionsniveau in der europäischen Gesetzgebung zu erhöhen und mehr Investitionen zu fordern, reicht nicht", sagt der CSU-Abgeordnete Markus Ferber. "Die Kommission muss viel konkreter werden, wie die Ziele in der Kürze der Zeit erreicht werden können", fordert der wirtschaftspolitische Sprecher der christdemokratischen EVP-Fraktion.

Zumal der Druck wächst, nicht nur aus Moskau. Am Donnerstag war auch der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba zu Besuch bei Habeck, seine Botschaft: "Solange der Westen in vollem Umfang für russisches Öl und Gas bezahlt, hat Russland alle Mittel, die Kriegsmaschine in Gang zu halten", sagte er. "Europa muss die Abhängigkeit loswerden."

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