Süddeutsche Zeitung

Russland:Der Preis der Sanktionen

Der Mut der Vergangenheit kostet Geld in der Gegenwart: Viele westliche Unternehmen haben in Russland investiert, doch nun läuft das Geschäft auf dem wichtigen Exportmarkt schlecht. Die russische Schwäche wirkt ansteckend.

Von Helga Einecke, Björn Finke, London, Nikolaus Piper, New York, und Markus Zydra, Frankfurt

Auch in Chelsea und Kensington spürt man die ökonomischen Beben in Russland. In den schicken Stadtteilen im Südwesten Londons leben viele reiche Russen, und für Luxus-Immobilien sind sie eine der größten ausländischen Käufergruppen. Manche Briten nennen ihre Hauptstadt schon scherzhaft Londongrad.

Nun droht Russland eine Rezession, die Währung Rubel hat gegen den Euro und den US-Dollar massiv an Wert verloren und liegt auf dem tiefsten Stand aller Zeiten. Durch Kapitalflucht verliert Russland in diesem Jahr etwa 125 Milliarden Dollar, der niedrige Ölpreis führt dazu, dass die Einnahmen aus dem so wichtigen Rohstoffgeschäft um 100 Milliarden Dollar schrumpfen. Doch den Londoner Immobilienmarkt ficht das nicht an. Je mehr Krise in Russland, desto höher die Nachfrage.

Die Rubel-Milliardäre halten ihr Vermögen auch in Dollar, Euro und Pfund. Betongold in der britischen Hauptstadt gilt als sicherer Hafen, in dem Reiche aus Krisenstaaten ihr Vermögen ankern, fernab von politischen Unruhen oder Währungsturbulenzen in der Heimat. Londoner Immobilienmakler dürfen sich getrost als Profiteure der russischen Wirtschaftskrise bezeichnen. Doch dieses Phänomen ist eine Anomalie, die nicht verbergen kann, wie stark Russlands Malaise auch den Wohlstand im Rest der Welt mindern kann.

"Russland ist ein wichtiger Exportmarkt für deutsche Maschinenhersteller und Autos", sagt Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ Bank. "Da wird die Nachfrage zurückgehen, weil diese Importe in Rubel viel teurer geworden sind." Dabei ist Russland für Deutschland nur das elftgrößte Exportzielland, doch schon in den letzten beiden Quartalen ist das Wachstum in Deutschland spürbar zurückgegangen, vor allem aufgrund der Wirtschaftssanktionen gegen Russland.

Westliche Unternehmen werden zögerlicher

Eine lange Phase des Aufschwungs könnte zu Ende gehen. Der Zusammenbruch des Ostblocks und die wirtschaftliche Öffnung Chinas und der Schwellenländer hat das globale Wirtschaftswachstum in den vergangenen 25 Jahren enorm gesteigert. Der Wohlstand hat zugenommen, und mit ihm die ökonomischen Verflechtungen zwischen den Ländern. Firmen haben in Russland und dem Rest der Welt investiert. Sie haben dort Produktionsstätten gebaut und sich neue Absatzmärkte erschlossen. Ganze Konzerne sind unternehmerische Risiken eingegangen - nun drohen politische Risiken.

Die Furcht vor zunehmenden Spannungen im Verhältnis zu Russland macht westliche Unternehmen vorsichtiger. Sie schieben Investitionen auf. Sie merken, dass ihr Mut in der Vergangenheit, für das Geschäft in Russland Geld in die Hand zu nehmen, nun in der Gegenwart Geld kostet. Ein Beispiel ist der britische Öl- und Gaskonzern BP.

Den Briten gehören 18,5 Prozent der Aktien am russischen Rivalen Rosneft. Im vergangenen Jahr kassierte BP dafür umgerechnet 700 Millionen Dollar Dividende. Doch dieser Betrag könnte sich nun mehr als halbieren, schätzen Beobachter. Rosneft erwirtschaftet Rubel. Die Währung hat in diesem Jahr gegen den US-Dollar 55 Prozent an Wert verloren. BP erhält dadurch weniger Dollar.

Der Pharmakonzern Stada, der in Russland produziert und verkauft, muss wegen des schwachen Rubelkurses zweistellige Umsatzrückgänge verkraften. Der Chemiekonzern BASF teilt mit, das Russland-Geschäft sei aufgrund des unsicheren wirtschaftlichen Umfeldes gegenüber dem Vorjahr rückläufig. Der Umsatz der BASF-Gruppe in Russland im Jahr 2013 betrug 1,4 Milliarden Euro von insgesamt 74 Milliarden Euro.

Der Gesundheitskonzern Fresenius hat seine Pläne für ein Gemeinschaftsunternehmen in Russland sogar gestoppt, aufgrund der veränderten politischen Rahmenbedingungen. Beim Energiekonzern Eon machte der russische Markt zuletzt fast zehn Prozent des gesamten Umsatzes aus. Der schwache Rubel nagt an der Gewinnspanne. "Das macht uns Sorgen", räumt Eon-Finanzchef Klaus Schäfer ein. Der Absatz in Russland ist bei Volkswagen zuletzt um 21 Prozent eingebrochen. Weil kaum noch einer Autos kauft, musste der Konzern in seinem Werk im russischen Kaluga schon die Bänder anhalten.

All das sind Indizien dafür, dass die russische Schwäche ansteckend wirkt. Siemens-Chef Joe Kaeser warnt: "Wir müssen aufpassen, dass am Ende nicht auch ganz Europa den Preis für die Krise zahlt in Form einer wirtschaftlichen Stagnation."

Die Schwäche des Rubel, die deutsche Lieferungen nach Russland verteuert, trifft nicht nur Großunternehmen, sondern auch deutsche Mittelständler.

"Das Russland-Geschäft ist stark rückläufig. Schon 2013 erlitten die deutschen Exporte ein leichtes Minus von fünf Prozent. In diesem Jahr kommt es aber knüppeldick", sagt DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. "Der Warentransfer bricht um mindestens ein Fünftel ein. Das entspräche fast acht Milliarden Euro weniger als im Vorjahr", so der Experte. Gründe dafür seien hauptsächlich die politische Isolation Russlands und die eingesetzten Sanktionen, der Abzug von Kapital und die damit einhergehende Rubelschwäche. Hinzu kommt, dass dem Land durch den derzeit äußerst niedrigen Ölpreis Deviseneinnahmen wegbrechen. "Die deutschen Unternehmen vor Ort - immerhin insgesamt 6000 - versuchen, die guten Kontakte zu ihren russischen Partnern aufrechtzuerhalten. Doch weitgehend wird von investiven Projekten Abstand genommen.

USA müssen sich wenig sorgen

Die Volkswirte der DZ Bank machen sich sogar Sorgen um die Zahlungsfähigkeit der russischen Unternehmen. "Bis Ende 2015 werden etwa 130 Milliarden Dollar an Auslandsverbindlichkeiten von russischen Firmen fällig", heißt es in einem Analysebericht der Bank. Präsident Wladimir Putin könne bis dahin versuchen, Unternehmen in Zahlungsnot mittels Zuwendungen, Krediten oder staatlicher Schuldenübernahme vor dem Zahlungsausfall zu bewahren. "Seine Mittel hierzu sind aber beschränkt. So hat der staatliche Pensionsfonds, auf den er zugreifen könnte, nur ein Volumen von etwa 88 Milliarden Dollar." Auch die Devisenreserven sind nicht mehr so üppig.

Für die Vereinigten Staaten hat die Krise Russlands wenig unmittelbare Folgen. Der niedrige Ölpreis, eine der Ursachen der russischen Probleme, entlastet die amerikanische Wirtschaft. Nach einem Analystenbericht von Goldman Sachs kommt der Preisrückgang einer Steuersenkung um netto 75 Milliarden Dollar für Verbraucher und Unternehmen gleich - und dabei sind die negativen Folgen des Preisverfalls für US-Energiefirmen schon eingerechnet.

Russland als verlässlicher Partner bei der Raumfahrt - geht das noch?

Kaum absehbare Konsequenzen hat die Krise allerdings für die amerikanische Raumfahrt. Seit dem Ende des Kalten Krieges arbeitet die US-Raumfahrtbehörde Nasa eng mit der russischen Regierung und mit russischen Unternehmen zusammen. Beide Länder betreiben die Internationale Raumstation ISS - bislang ohne größere Störungen. Seit die Nasa 2011 ihre Raumfähren einmottete, bringen russische Raketen amerikanische Astronauten ins All. Auch auf dem Markt für den Start kommerzieller Satelliten spielt russische Technik eine zentrale Rolle. Eines der wichtigsten Unternehmen dabei ist International Launch Services, eine von Russland kontrollierte Firma, die sich auf den Start von Atlas- und Proton-Raketen spezialisiert hat.

Durch Russlands unerklärten Krieg in der Ukraine und die als Reaktion erlassenen westlichen Sanktionen gerät diese Zusammenarbeit aber zunehmend in Schwierigkeiten. Im April hatte die Nasa ihre gemeinsamen Projekte mit Russland eingefroren. Im Oktober explodierte eine Rakete der privaten Orbital Sciences Corporation, die Versorgungsgüter zur ISS bringen sollte. Kern der Rakete war ein umgebautes russisches Triebwerk. Das Unglück hat weitere Zweifel an der Zukunft der gegenseitigen Zusammenarbeit geweckt. Jetzt kommt noch die russische Wirtschaftskrise als weiterer Risikofaktor dazu: Kann ein politisch feindliches und wirtschaftlich schwaches Russland überhaupt noch ein verlässlicher Partner in so einem sensiblen Feld wie der Raumfahrt sein?

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SZ vom 04.12.2014/ratz
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