Russland-Affäre bei EnBW:Energie-Monopoly um Uran und Gas

Wenn sie Geschäfte machten, ging es um sehr viel Geld: Der schillernde Moskauer Lobbyist Andrej Bykow und Wolfgang Heni, der einst wichtigste Atommanager von EnBW. Letzter soll eigenmächtig Millionenverträge und dubiose Uran-Deals abgeschlossen haben. Doch wusste die Konzernspitze wirklich nichts?

Markus Balser und Uwe Ritzer

Der "Autonome Kreis der Jamal-Nenzen" gehört nicht wirklich zu den behaglichen Gegenden dieser Erde. Obwohl doppelt so groß wie Deutschland plus einmal Bayern obendrauf, leben nur eine halbe Million Menschen in dem Landstrich am Polarkreis 3600 Kilometer nordöstlich von Moskau. Der Winter dauert hier bis zu neun Monate, und die Temperaturen sinken weit unter minus 40 Grad. Am 8. Juli 2008 ist der Himmel jedoch blau, und die Sonne scheint.

Der Besucher aus Deutschland trägt trotzdem eine gefütterte Jacke, um den Kopf hat er sich ein weißes Netz wie ein Piratentuch gebunden. Fröhlich wie ein Tourist lacht er in die Kamera. Es ist Wolfgang Heni, der wichtigste Atommanager des deutschen Energiekonzerns EnBW. Er besichtigt an diesem Tag die Gasfelder von Urengoj. Mit dabei: Andrej Bykow, 49.

Vier Jahre später ist Wolfgang Heni, 66, neben dem schillernden Moskauer Lobbyisten Bykow die Schlüsselfigur in der merkwürdigen Russland-Affäre der EnBW. Sie dreht sich um womöglich krumme Geschäfte in dreistelliger Millionenhöhe. Nun hat das Unternehmen Wolfgang Heni auf 93 Millionen Euro Schadenersatz verklagt.

Bis zu seiner Pensionierung 2009 ist der Schwabe mit dem gemütlichem Leibesumfang jahrzehntelang das Gesicht der EnBW und ihrer Vorgängerfirmen in Russland. 1973, mitten im Kalten Krieg, begann Heni damit, dort Uran für deutsche Kernkraftwerke einzukaufen. Unzählige Male bereist er das Land. Er spricht kein Russisch, kennt vor Ort aber Gott und die Welt. An jenem Julitag 2008 in Urengoj besichtigt Heni Gasfelder, die zu den größten dieser Erde gehören. Erdgas für zig Milliarden Euro schlummert hier im Boden. Doch solche Dimensionen bereiten ihm kein Kopfzerbrechen. Wenn er Geschäfte macht, geht es immer um sehr viel Geld.

Kompetenzen maßlos überschritten

Es sind diskrete Geschäfte in einem sensiblen Umfeld. Heni ist einer von drei ehemaligen Topmanagern, die der drittgrößte deutsche Energieversorger EnBW auf Schadenersatz verklagt hat. Ein vierter ist noch in Amt und Würden: Hans-Josef Zimmer, 54, Vorstandsmitglied der EnBW AG. 2010 trat er von seinem Posten in Zusammenhang mit den Russlandgeschäften zurück. Anfang 2012 holte man ihn überraschend zurück. Die Schadenersatzklage gegen ihn verfolgt EnBW dennoch weiter - eine ebenso skurrile, wie einmalige Konstellation.

Bei alledem geht es um fragwürdige Geschäfte mit Andrej Bykow. Im großen Energie-Monopoly um Uran und Gas war Wolfgang Heni - wenn man so will - Bykows wichtigster Spielkamerad.

Als 2009 Prüfer im Auftrag des EnBW-Vorstands das Beziehungsgeflecht zwischen dem Konzern und Bykow untersuchen, stoßen sie ständig auf den Namen Heni. Sie werfen ihm vor, als Geschäftsführer der EnBW-Atomsparte EnKK seine Kompetenzen maßlos überschritten zu haben. Es geht um Lieferungen von Uran aus russischen Militärbeständen, den Rückbau des Kernkraftwerks Obrigheim, Beratungs- und Darlehensverträge, sowie ein geplantes Überwachungssystem für Atomtransporte in Russland namens "Easy-Toll".

Heni, so der Vorwurf, soll mit Bykow eigenmächtig Millionenverträge abgeschlossen und das Geld nicht selten noch am selben Tag überwiesen haben. Von "Vorauszahlungen ohne angemessene Sicherheiten" ist die Rede. Heni und Co. hätten "gegen ihre Sorgfaltspflichten verstoßen", so die Prüfer. Das Schadenersatzverfahren vor dem Landgericht Heilbronn steht noch ganz am Anfang. Ob die EnBW am Ende obsiegen wird, ist allerdings fraglich.

Wie kauft man Uran ohne das es im Konzern auffällt?

Es gibt zahlreiche interne Unterlagen - Sitzungsprotokolle, Aktenvermerke, Mailverkehr - die gehörig Zweifel nähren an der Version vom Alleingänger Wolfgang Heni. Vielmehr deuten sie darauf hin, dass viele Top-Manager bis hinein in den Vorstand der EnBW AG ganz gut über die Russlandaktivitäten ihres Atommanagers und die Bykow-Connection Bescheid wussten.

Schon die Struktur des EnBW-Konzerns scheint der Version vom Alleingänger zu widersprechen. Die Atomtochter EnKK verfügte kaum über eigene Mittel. Ihr Chef Heni war bei größeren Ausgaben auf Zuwendungen anderer Konzernableger angewiesen. Woher kamen die vielen Millionen Euro, die er an Bykows vorwiegend in der Schweiz angesiedelte Firmen überwies?

Zudem war der EnKK-Aufsichtsrat gespickt mit Vorstandsmitgliedern der Muttergesellschaft KWG und der darüber angesiedelten EnBW AG. Sollten alle diese Top-Manager ahnungslos gewesen sein? Konnte Heni an ihnen vorbei riesige Millionengeschäfte abwickeln? Und vor allem: Wie kauft man Hunderttausende Kilogramm Uran ein, ohne dass es im Konzern auffällt?

Scheinbar mühelos öffnet Bykow die Türen in Moskau

Als Wolfgang Heni im Frühjahr 2001 nach Moskau fliegt, begleiten ihn gleich mehrere EnBW-Manager. Man will die Schlagkraft eines russischen Lobbyisten testen. Und tatsächlich: Scheinbar mühelos öffnet dieser Andrej Bykow die Türen in Ministerien und zu einem gewissen Dmitrij Medwedjew, damals enger Mitarbeiter des Präsidenten Wladimir Putin und später dessen Nachfolger. Die Gäste aus Deutschland sind schwer beeindruckt. Bykow, so ist man sich einig, sei der richtige Mann, um EnBW auch Zugang zu russischem Gas zu verschaffen.

Der damalige EnBW-Vorstandschef Gerhard Goll persönlich habe ihm den Auftrag erteilt, seine guten und langen Beziehungen in Russland zu nutzen, "um einen möglichen Gasbezug an Gazprom vorbei auszuloten". So trägt es Heni Jahre später, am 22. Juni 2004, ausweislich des Protokolls im Vorstand der EnBW AG vor. Da war Goll schon nicht mehr im Amt. Auf SZ-Anfrage wollten Heni und sein Anwalt sich zu dem gesamten Komplex nicht äußern.

Wolfgang Heni und Andrej Bykow liefen sich Mitte der Neunzigerjahre erstmals über den Weg. Zwei sehr unterschiedliche Männer: Unscheinbarer Kaufmann der eine, schillernder Selbstdarsteller mit Hang zum Religiösen der andere. Ab 2001 werden die Beziehungen immer enger. Bykow nimmt Heni zu einem Besuch bei Südafrikas Präsident Nelson Mandela nach Johannesburg mit. Heni wird Kuratoriumsmitglied in einer Stiftung Bykows, und der hält eine Rede, als das russische Atomministerium Heni eine Urkunde verleiht.

Mitte der Neunzigerjahre besorgt Wolfgang Heni der EnBW Nuklearmaterial aus Beständen der Roten Armee. Die Russen haben die Kontrolle über ihre in dem riesigen Land verstreuten atomaren Waffenbestände zum Teil verloren. Die Angst geht um, waffenfähiges Plutonium könnte in terroristische Hände gelangen. Es ist ein von den höchsten politischen Ebenen beider Staaten gewollter Deal, den Heni und Bykow abwickeln: EnBW erhält relativ günstiges Material für seine Kernkraftwerke - Russland hat ein Sicherheitsproblem weniger und verdient auch noch daran.

EnBW-intern ist Henis enge Zusammenarbeit mit Andrej Bykow kein Geheimnis. Am 24. Juni 2004 schreibt Heni eine E-Mail an EnBW-Vorstände und Aufsichtsräte. Es geht um ein bevorstehendes Geheimtreffen in Berlin zum Thema Nuklearsicherheit in Russland. Er fügt ein achtseitiges Dossier zum Thema an. Es geht um "Easy-Toll", ein geplantes Überwachungssystem für Atomtransporte in Russland ähnlich dem Mautsystem Toll-Collect auf deutschen Autobahnen.

In der Schweiz wird die Firma Easy Toll Systems SA gegründet; Bykow wird ihr Präsident. Im Verwaltungsrat sitzt von Januar 2006 bis März 2008 EnBW-Vorstand Zimmer, anschließend bis Oktober 2009 Wolfgang Heni. Easy-Toll, eines der Projekte, die Heni eigenmächtig betrieben haben soll, wird sogar Thema im EnBW-Vorstand. Bei einer Sitzung am 20. Mai 2005 stellt Heni das Projekt mit einer 14-seitigen Power-Point-Präsentation vor. Der Vorstandsvorsitzende Utz Claassen nennt den Plan laut Protokoll "hervorragend", lobt "den hohen Einsatz und das große Engagement" aller Beteiligten und dankt Zimmer und Heni für deren "sehr gute Arbeit".

Auch in puncto Gas ist Heni weiter unterwegs - mit Bykow. Ein von beiden eingefädelter Einstieg der EnBW bei der Erschließung von Gasfeldern im russischen Kharampour scheitert 2002. Als Wolfgang Heni sechs Jahre später in Urengoj wie ein Tourist in die Kamera lächelt, ist eine EnBW-Beteiligung dort im Gespräch. Am Ende kommt alles ganz anders.

Vorigen Donnerstag gab EnBW stolz bekannt, man habe einen Zehn-Jahresvertrag mit einem ausländischen Gaslieferanten abgeschlossen. Gesamtvolumen: Sechs Milliarden Euro. Um den Lieferanten macht die EnBW ein großes Geheimnis. Es soll sich um Novatek handeln, nach Gazprom die Nummer zwei in Russland. Wer das Geschäft eingefädelt hat, wollte EnBW auch auf zwei Nachfragen nicht mitteilen. Es soll Wolfgang Heni gewesen sein.

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