Süddeutsche Zeitung

Russland:Neuer Airbus muss zum Ersatzteillager werden

Die russische Flugbranche steckt in Turbulenzen: Wegen der Sanktionen fehlen selbst einfache Ersatzteile für die Flieger. Um überhaupt noch starten zu können, setzt man nun auf ungewöhnliche Mittel.

Von Isabel Fisch

Für die Russen ist die Welt seit dem 24. Februar recht klein geworden. Und da, wo sie theoretisch noch hinfliegen können, ja, da wird es langsam schwierig, praktisch auch hinzukommen. Denn 80 Prozent der Flugzeuge der russischen Airlines kommen aus dem Westen. Und für die gehen wegen der Wirtschaftssanktionen langsam die Ersatzteile aus.

Um überhaupt noch abheben zu können, gibt es jetzt drastische Maßnahmen: Intakte Flieger werden ausgeschlachtet. Dass es so weit kommen würde, zeichnete sich im April ab: Zur Not müssten zwei Drittel aller Flugzeuge am Boden bleiben, um die Flugtauglichkeit des Restes zu sichern, hieß es damals aus dem russischen Transportministerium. Im Juni dann die Empfehlung, einige Flugzeuge als Ersatzteillager zu nutzen. So soll die russische Flotte bis 2025 flugfähig gehalten werden.

Nun also tatsächlich die ersten Fälle von Flugzeug-Kannibalismus: Die staatlich kontrollierte Airline Aeroflot soll laut Nachrichtenagentur Reuters einen neuen, intakten Airbus A 350 sowie einen Suchoi Superjet 100 ausgeschlachtet haben. Letzterer ist zwar eine russische Produktion - allerdings mit vielen westlichen Komponenten. Aus ihm soll ein Triebwerk als Ersatzteil demontiert worden sein.

Intakte und teure Flugzeuge auszuschlachten, ist für eine Airline wirtschaftlich verheerend. Schon jetzt kann Aeroflot nur durch staatliche Unterstützung überleben. Auf Ersatzteillieferungen aus Ländern, die keine Sanktionen verhängt haben, können die Russen nicht hoffen: Firmen etwa aus Asien und dem Nahen Osten müssen in diesem Fall mit Sekundärsanktionen des Westens rechnen. Jedes Teil ist über eine Nummer registriert, jeder Abnehmer wird dem Hersteller gemeldet.

So stolz die Russen auf ihre Luft- und Raumfahrt sind, so abhängig sind sie vom Westen: Fast drei Viertel der Linienflieger baute Airbus oder Boeing, die brauchen auch westliche Ersatzteile. Und gewartet werden sie, korrekt, im Westen. Doch wegen der Sanktionen gibt es weder Ersatzteile noch die nötigen regelmäßigen Wartungen und Ingenieure - die Maschinen müssten über kurz oder lang am Boden bleiben.

Es fehlt an einfachen Verschleißteilen - ohne die aber nicht geflogen werden kann

Aeroflot warb lange stolz damit, die jüngste Flotte Europas zu haben - größtenteils mit Maschinen von Boeing (134) oder Airbus (146). Sie waren recht neu, daher ging der Flugbetrieb trotz Sanktionen lange gut. Doch selbst fabrikneue Flieger sind wartungsintensiv und brauchen nach etwa einem Jahr Ersatzteile, um sicher starten und landen zu können. Triebwerke und die hochmoderne Technik müssen am Laufen gehalten werden. Manchmal fehlt es aber auch an banalen Verschleißteilen wie Bremsbelägen und Reifen. Letztere sind die am stärksten beanspruchten Teile und müssen alle 120 bis 400 Landungen ausgetauscht werden.

Und noch ein Problem beschäftigt die russischen Airlines: Der Großteil der Maschinen ist nur geleast. Landen sie auf einem ausländischen Flughafen, können sie beschlagnahmt werden, weil ihnen durch die Sanktionen die Zulassung entzogen wurde. Mindestens 78 russische Flieger wurden schon festgehalten, die überwiegend in Irland registriert waren.

Damit die ohnehin lädierte Flotte nicht noch mehr schrumpft, werden viele Auslandsziele erst gar nicht mehr angeflogen. Der Flugverkehr von Aeroflot ist um ein Viertel zurückgegangen. 15 Prozent der Maschinen sind laut Daten von Flightradar seit Ende Juli gar nicht mehr abgehoben. Drei der sieben Airbus A350 stehen seit mehr als drei Monaten still. Anderen Airlines geht es nicht besser: Der Moskauer Flughafen ist der fünftgrößte Europas. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine werden von hier aus nur noch zehn Länder angeflogen. Denn viel weiter kommen die Russen ohnehin nicht mehr.

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