Süddeutsche Zeitung

Kohlekumpel:Ihre Kohle mögen sie mehr als Geld

  • Früher haben Kumpel kostenlos Kohle zum Heizen bekommen. Jetzt, da die letzte Zeche im Ruhrgebiet geschlossen ist, verlieren sie dieses Privileg.
  • Anstatt der Kohle sollen die ehemaligen Bergleute eine Einmalzahlung erhalten - doch die Höhe reicht den Männern nicht.
  • Einige ziehen nun vor Gericht. Sie hängen an dem Kohledeputat, das auch ein Symbol für die Solidarität unter den Bergleuten war.

Von Janis Beenen, Dortmund

Versprechen unter Malochern haben Bestand. Es ist eines dieser Ruhrpott-Ideale, an das Albert Gottwald geglaubt hat. Doch der ehemalige Bergmann ist enttäuscht: "Gottwald, du kriegst dein Leben lang deine Kohlen, hieß es immer", sagt der 77-Jährige. Der Mann, der in einem alten Zechenhaus in Castrop-Rauxel lebt, meint die Tradition des Kohle-Deputats. Über Jahrzehnte erhielten Ex-Bergleute und ihre Angehörigen als Teil der Altersvorsorge Gratiskohle oder zumindest vergünstigte Lieferungen, etwa drei Tonnen pro Jahr, bis zum Tod. Tausende heizen ihre Wohnungen im Ruhrgebiet deshalb noch mit Kohleöfen, doch mit der Brennstoffversorgung ist nun Schluss.

Im Dezember schloss Deutschlands letzte Steinkohlezeche Prosper Haniel in Bottrop. Mit viel Lob schafften Vertreter aus Politik und Wirtschaft den Kumpeln ein einigermaßen würdevolles Andenken. Doch die Abschiedsharmonie ist für einige dahin. Sie ärgern sich, dass die Ruhrkohle AG (RAG) ihnen ihr Privileg streicht und ziehen deshalb vor Gericht. Wenn nichts mehr gefördert wird, gibt es nichts zu verteilen, argumentiert das Unternehmen. Die RAG und die Bergbaugewerkschaft IG BCE haben vereinbart, dass die bisherigen Lieferungen ausgezahlt werden. Das bedeutet: Alle Bergbau-Rentner und solche, die in die Altersrente wechseln, bekommen eine einmalige Überweisung. Die Regelung betraf im Jahr 2015 etwa 140 000 Menschen, viele bekamen statt Kohle monatlich ohnehin Geld. Auch für sie soll es eine letzte Abfindung geben.

Bergmann Gottwald ist darüber wütend. Ihm seien 2500 Euro in Aussicht gestellt worden. Viel zu wenig, meint er. Damit könne er zum normalen Marktpreis Kohlen für maximal zwei Jahre kaufen. Wie mittlerweile mehr als 600 weitere seiner ehemalige Kollegen klagt er deshalb gegen die Höhe der Ausgleichzahlung. Wenn er schon keine Kohle mehr bekomme, sagt Gottwald, wolle er von der RAG zumindest so viel Geld haben, dass er ein neues Heizungssystem kaufen kann. Das koste etwa 15 000 Euro.

Deputate gibt es auch in anderen Branchen. Einige Brauereien schicken ihren Angestellten ein paar Kästen "Haustrunk". Eine nette Geste. Doch für viele ehemalige Bergleute ist ihr Deputat mehr als nur eine sentimentale Erinnerung. Sie haben damit geplant. "Keiner fällt ins Bergfreie", so zitiert Gottwald ein altes Versprechen. Doch genau das passiere jetzt. Das klingt nicht nach der Solidarität des Bergbaus. Gerichtssäle statt Arbeiterromantik.

Anwalt Daniel Kuhlmann aus Datteln vertritt Gottwald und seine Kollegen. In den bisherigen Gerichtsverfahren bestätigte die Justiz zwar die grundsätzliche Rechtmäßigkeit der Einmalzahlungen. Doch ihre Höhe möchte Kuhlmann weiter anfechten. Er wolle mit seinen Mandanten bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.

Die RAG verteidigt ihr Vorgehen. Das Unternehmen verweist auf die Vereinbarung mit der Arbeitnehmerseite im Tarifvertrag und die bisherigen Urteile. Die Höhe der Zahlungen sei mit versicherungsmathematischen Berechnungen ermittelt worden. Aus "prozessökonomischen Gründen" erklärte sich das Unternehmen aber zu einer pauschalen Erhöhung um 15 Prozent bereit. Kuhlmann will mehr: mindestens 25 Prozent plus Zuschuss für alle, die eine neue Heizung benötigen.

Inzwischen fragen sich einige Bergleute, wie der Tarifvertrag zustande kommen konnte. Im Ruhrgebiet, wo die Menschen stolz sind auf die Stärke der Arbeitnehmer, zweifelt auch Gottwald an seiner Gewerkschaft. Durch ihre Zustimmung zu den Einmalzahlungen fühlt er sich "verraten und verkauft". Anwalt Kuhlmann wirft der IG BCE wirtschaftliche Verflechtung mit der RAG vor. Er verweist darauf, dass beide Gesellschafter der Wohnungsgesellschaft Vivawest seien. Die IG BCE wehrt sich und nennt den Umgang miteinander ein "Beispiel von wirklich gelebter Sozialpartnerschaft auf Augenhöhe". Zudem stellt die Gewerkschaft klar, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einer Tarifverhandlung nie etwas schenken würden. Vielmehr habe sie verhindert, dass die ehemaligen Kumpel nach dem Ende des Bergbaus ganz leer ausgehen. Gleichzeitig sei es um eine wirtschaftlich tragfähige Lösung gegangen. Dass eine Seite von ihrer Position abrückt, scheint unwahrscheinlich zu sein - eine gefallene Branche droht, mit Streit zu verschwinden.

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SZ vom 30.01.2019/lüü
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