Viele seltsame Rechnungen aus vielen Teilen der Welt waren das, die im vergangenen Jahrzehnt beim europäischen Luftfahrt- und Rüstungskonzern EADS eingegangen, abgezeichnet und anstandslos bezahlt worden waren. Allerlei Rechnungen für den Verkauf von 15 Eurofighter-Kampfflugzeugen für 1,7 Milliarden Euro an die Republik Österreich. Eine Lobbyisten-Firma aus London kassierte reihenweise Honorare für Gespräche an der Milchbar im Nationalrat, dem Parlament in Wien, mit Militärs und Politikern. Etwa mit Dr. Luessel. Gemeint war wohl Dr. Schüssel, österreichischer Bundeskanzler von 2000 bis 2007. Ein Schreibfehler? Ein leicht durchschaubarer Deckname? Wie auch immer.
Wegen solcher Rechnungen hat die Airbus-Gruppe, wie EADS inzwischen heißt, jetzt Ärger mit dem deutschen Fiskus. Nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR beanstandet das Finanzamt München im Zusammenhang mit dem österreichischen Eurofighter-Deal dubiose Zahlungen in Höhe von 90 Millionen Euro und erkennt diese nicht als Betriebsausgaben an. Airbus muss deshalb Steuern in Höhe von mehreren zehn Millionen Euro nachzahlen. Die Airbus-Gruppe erklärte dazu auf Anfrage, man habe sich mit dem Finanzamt München auf eine "begrenzte Steuernachzahlung geeinigt". Das sei aber kein Schuldeingeständnis.
Die 90 Millionen Euro waren vor Jahren, als Airbus noch unter EADS firmierte, über mutmaßliche Briefkastenfirmen in dunkle Kanäle geflossen. Mal über Zypern, mal über die Karibik ( siehe Grafik). Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt seit Langem wegen Korruptionsverdacht beim Verkauf von 15 Eurofightern für rund 1,7 Milliarden Euro an die Regierung in Wien. Weil die Empfänger der anrüchigen Zahlungen bislang aber nicht ausfindig gemacht werden konnten, dürfte sich die mutmaßliche Bestechung schwer belegen lassen. Kenner des Verfahrens in München rechnen nunmehr mit einer Anklage gegen frühere Airbus-Manager wegen Veruntreuung von Konzernvermögen, weil Sinn und Zweck dieser Ausgaben nicht belegt seien.
Scheinrechnungen und Briefkastenfirmen, so laufen Schmiergeldgeschäfte
Staatsanwälte behelfen sich in solchen Fällen, in denen die Geldempfänger im Dunkeln bleiben, oft mit Untreue-Vorwürfen. Das war schon im Schmiergeldskandal bei Siemens so gewesen und hatte dort zu diversen Verurteilungen und Strafbefehlen geführt. Nun könnte dies bei Airbus folgen. Die vor Jahren von der Münchner Staatsanwaltschaft eingeleiteten Ermittlungen gegen damalige EADS-Manager bis hinauf in die zweite Chefetage sowie gegen Geschäftspartner des Konzerns dürften 2017 abgeschlossen werden. Korruption ist in der Rüstungsbranche weit verbreitet. Zuletzt hatten deutsche Strafverfolger Schmierereien bei U-Booten und Panzerteilen "made in Germany" aufgedeckt.
Der Eurofighter-Deal, eines der größten Rüstungsgeschäfte in der österreichischen Geschichte, war vor rund 15 Jahren unter fragwürdigen Umständen zustande gekommen. EADS, ein deutsch-französisch-spanischer Konzern in Staats- und Privatbesitz mit Airbus-Flugzeugen als Hauptprodukt, hatte hart um den Auftrag gekämpft. Bald nach Vertragsabschluss der in Deutschland ansässigen EADS-Tochter Eurofighter Jagdflugzeug mit der Alpenrepublik und noch vor Lieferung des ersten Kampfjets geriet das Geschäft unter Schmiergeldverdacht. Ein Untersuchungsausschuss des Nationalrats in Wien durchleuchtete den Deal und stieß auf obskure Vorgänge und Zahlungen. Ein umtriebiger Lobbyist musste wegen mutmaßlicher Falschaussage in Untersuchungshaft. Und je tiefer Parlamentarier wie auch Staatsanwälte und Journalisten gruben, desto mehr kam zum Vorschein. So hatte ein den österreichischen Sozialdemokraten nahestehender Fußballklub, Rapid Wien, Sponsorengelder in Millionenhöhe erhalten. Das sollte die Roten freundlich stimmen.
Schließlich wurde gar ein Maulwurf enttarnt. Ein Beamter im Wirtschaftsministerium hatte EADS mit Insider-Informationen über die Verhandlungstaktik der Österreicher versorgt. Als nach der Wiener Staatsanwaltschaft auch Münchner Strafverfolger zu ermitteln begannen und im Herbst 2012 EADS durchsuchten, musste Konzernchef Thomas Enders handeln. Er ordnete eine eigene Untersuchung an, die verheerend ausfiel für den Anfang 2014 in Airbus umbenannten Konzern. Für Lobbyisten und für das Vermitteln von sogenannten Gegengeschäften hatte EADS im Laufe der Jahre mehr als 150 Millionen Euro ausgegeben. Gegengeschäfte waren Aufträge für die österreichische Industrie, für die bei dem Eurofighter-Deal auch etwas abfallen sollte. Den größten Profit machten allerdings andere. Unbekannte.
Mindestens 90 Millionen Euro EADS-Geld versickerten und verschwanden einfach. Mal waren das kleinere, mal größere Beträge. Bei einem Geldinstitut in England verlor sich die Spur von 905 618,22 Euro. "Wir haben keine Informationen erhalten, wer der tatsächliche Empfänger" dieses Geldes sei, notierten die Prüfer ernüchtert. In ihrem Untersuchungsbericht heißt es zu Firmen mit Allerweltsnamen wie Goldberg oder Marketdrive, die als Sub-Auftragnehmer tätig waren, immer wieder: "Wir haben keinen zugrunde liegenden Vertrag gefunden." Oder: "Wir haben keine Hinweise auf Tätigkeiten gefunden." Oder gar beides. Zwielichtige Geschäftsleute, offenkundige Scheinrechnungen, Firmen in sogenannten Steuerparadiesen wie der Isle of Man und den Bahamas. Das ist ein klassisches Muster bei Schmiergelddelikten. 90 Millionen Euro, die einfach weg sind; die aber beim Finanzamt als Betriebsausgaben geltend gemacht werden: Das akzeptieren die Finanzbehörden nicht. Nach längerem Hin und Her haben sich Airbus und Fiskus jetzt auf die Steuernachzahlung geeinigt. Man habe "diesen Disput" beenden wollen, erklärt der Konzern. Airbus betont, es handele sich nicht um eine Strafzahlung. Kein Fehlverhalten, nichts dergleichen. Das muss der Konzern auch beteuern, weil das Eurofighter-Geschäft mit Österreich sonst nachträglich in Gefahr geraten könnte. Weil sonst Strafen in Wien fällig werden könnten; wegen unlauterer Absprachen oder anderer Verstöße gegen die Eurofighter-Verträge. Das will Airbus unter allen Umständen vermeiden.
Die Einigung des Konzerns mit dem Fiskus ist gleichwohl eine Vorlage für die Münchner Staatsanwaltschaft. Wenn ein Manager Firmengeld ausgibt und den Verwendungszweck nicht nachweisen kann, liegt Untreue nahe. Ins Gefängnis muss bei solchen Verfahren, in denen es eigentlich um Korruption geht, in Deutschland allerdings kaum jemand. Die Beschuldigten haben meist nicht in die eigene Tasche gewirtschaftet, sondern die Millionenbeträge zum vermeintlichen Wohle des Unternehmens ausgegeben. Das wird von der Justiz meist milder beurteilt als die klassische Untreue, bei der Mitarbeiter oder Manager das Geld für sich abzweigen.
Die EADS-Leute, die nun mit einer Anklage rechnen müssen, werden bestimmt ihre Verdienste herausstellen. Man habe mit den verschwundenen Millionen ein Milliardengeschäft ermöglicht. Das sei doch keine Untreue, und erst recht keine Korruption. Sondern ganz normales Lobbying. An der Milchbar im Parlament in Wien. Mit Dr. Luessel. Die Firma aus London, die diese Gespräche fleißig und teuer abgerechnet hat, existiert übrigens nicht mehr. Sie ist genauso verschwunden wie das viele Geld. Einfach so.