Rüdiger Grube:Der bewegte Mann

Lesezeit: 4 Min.

Bahnchef Rüdiger Grube kommt mit Krisen gut klar. Normalerweise. Doch wenn er jetzt betont, dass er an dem Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 festhält, dann wird man den Eindruck nicht los, dass sich da gerade einer selbst Mut zuspricht.

Daniela Kuhr

"Bitte langsam machen", sagt der Kameramann, kurz bevor es losgeht. Doch wenn es eines gibt, was Rüdiger Grube überhaupt nicht liegt, dann ist das: langsam. Der Chef der Deutschen Bahn wirkt stets wie unter Volldampf. Und deshalb ist es eine Herausforderung für ein Fernsehteam, ihn im Gehen zu interviewen - beim Schlendern über eine Bahnhofsbrücke. Der Kameramann hat alle Mühe. Doch schließlich klappt es. Nach zehn Minuten ist die Aufnahme im Kasten - und gelungen. Grube ging nicht nur schön langsam. Er hat für seine Verhältnisse auch schön langsam gesprochen. Und das, obwohl es um ein Thema ging, bei dem er sich in der Vergangenheit durchaus in Rage reden konnte: das Bahnhofsprojekt "Stuttgart 21".

Fast zwei Jahre ist es her, dass Grube an die Spitze der Deutschen Bahn getreten ist. An "Baustellen" hat es ihm in der Zeit nie gemangelt. (Foto: REUTERS)

Ganze 4,1 Milliarden Euro soll der unterirdische Durchgangsbahnhof nach Schätzungen der Bahn kosten. Doch seit Grün-Rot die Wahlen in Baden-Württemberg Ende März gewonnen hat, stehen die Bagger still. Obwohl jeder Monat Verzögerung den Bau um weitere 10 bis 15 Millionen Euro verteuert, hat Grube einen Baustopp verhängt - um der neuen Regierung zu signalisieren, dass man konstruktiv mit ihr zusammenarbeiten wolle, wie er es formuliert hat. Was das genau heißt, weiß jedoch niemand so genau. Und manchmal wirkt es fast so, als sei sich auch der Bahnchef darüber nicht wirklich im Klaren.

Krise? Egal!

Fast zwei Jahre ist es her, dass Grube an die Spitze der Deutschen Bahn getreten ist. An "Baustellen" hat es ihm in der Zeit nie gemangelt. Datenaffäre, brüchige ICE-Achsen, die Ausfälle bei der Berliner S-Bahn und schließlich noch diverse Winter- und Sommerpannen. Alle Probleme hat der 59-Jährige in Angriff genommen, wenn auch noch nicht gelöst. Krisen sind für ihn nichts, was ihn runterzieht. Im Gegenteil. Zupacken, bewegen, vorantreiben. Das liegt Grube. Doch ausgerechnet bei seiner größten Baustelle funktioniert nichts davon. In Stuttgart herrscht Stillstand.

Verhandeln mit einer neuen Regierung, die sich noch gar nicht formiert hat, wie soll das gehen? Zumal mit einer Regierung, in der ein Teil, die SPD, für den Bahnhof ist, und der andere, die Grünen, dagegen. Grube kann daher momentan nichts weiter tun, als abzuwarten - nicht gerade eine seiner Stärken. Und deshalb ist der sonst so energiegeladene Bahnchef in diesen Tagen tatsächlich ab und zu ein wenig ratlos zu erleben.

Wenn er jetzt bei Pressekonferenzen und in Interviews stets betont, dass er an dem Bahnhofsprojekt festhält, dann wird man den Eindruck nicht los, dass sich da gerade einer selbst Mut zuspricht. So wirkt es auch bei dem Gang über die Brücke, den das Fernsehteam filmt. Dabei wollte sich der Bahnchef doch gar nicht mit "S 21" befassen. Nicht an diesem Tag. Grube ist nach Mühldorf in Bayern gefahren, durch eine Idylle mit Feldern, so weit das Auge reicht, gesäumt von Büschen und Bäumen. Er saß sogar selbst am Steuerpult der Diesellok. Hier in Mühldorf hat die Südostbayernbahn (SOB) ihren Sitz, eine äußerst erfolgreiche Tochter der Deutschen Bahn. Nicht nur die Mitarbeiter sind deutlich zufriedener als der Durchschnitt im Konzern, auch die Kunden sind es. Das haben regelmäßige Befragungen schwarz auf weiß ergeben. Grube ist hingefahren, um sich vor Ort ein Bild zu machen und mit den Mitarbeitern zu diskutieren. Ein paar Journalisten durften ihn begleiten. Vermutlich, weil es ja nicht schaden kann, wenn sie mal sehen, dass bei der Bahn nicht alles immer nur schlecht läuft. Stuttgart 21 könnte also völlig ausgeblendet bleiben an diesem sonnigen Apriltag in Bayern. Könnte!

Doch nicht nur die Journalisten fragen den Bahnchef danach, auch einige Mitarbeiter der SOB wollen mehr darüber erfahren. Zunächst allerdings nicht öffentlich. "I trau mi net", sagt ein Fahrdienstleiter leise und grinst. Vermutlich wisse Grube doch selbst noch nicht, wie es weitergehe. Deshalb hört er erst einmal zu, wie dieser die SOB lobt. "Nichts macht mich mehr an als begeisterte Mitarbeiter", sagt Grube enthusiastisch ins Mikrofon. Und dann erzählt er das, was die, die ihn öfter erleben, ständig hören, die Mitarbeiter der SOB jedoch vermutlich zum ersten Mal. Nämlich, dass die Deutsche Bahn jeden Tag 7,3 Millionen Kunden transportiere, "so viele wie die Lufthansa in Deutschland im gesamten Jahr". Damit würden 2,6 Milliarden Menschen pro Jahr Bahn fahren, "also einmal alle Chinesen und Inder zusammen". Wenn an einem Tag nur ein Prozent der Züge zu spät ankomme, seien davon auf einen Schlag 73000 Menschen betroffen. "Da muss man sich nicht wundern, wenn die Bahn so viele Kritiker hat", ruft Grube ins Mikrofon - und alle klatschen. Das kann er, auf die Leute zugehen, sie mitnehmen und sie motivieren. "Das ist ja ein richtig Netter", sagt eine Frau im Publikum prompt zu ihrem Nachbarn.

"Kann das passieren?"

Und schließlich wagt sich doch noch einer vor. Ein hochgewachsener junger Mann, noch in der Ausbildung, geht nach dem Ende der Veranstaltung zu Rüdiger Grube und erzählt ihm, dass er aus Stuttgart komme - und ein Fan des geplanten neuen Bahnhofs sei. Das derzeitige riesige Gleisfeld zerreiße die Stadt und heize sie im Sommer ungeheuer auf, meint er. Grube strahlt über das ganze Gesicht.

"Kann es denn tatsächlich passieren, dass dieses Projekt noch gekippt wird?", will der junge Mann wissen. Grube zögert nur kurz, um dann mit Nachdruck zu sagen: "Ich kann es mir nicht vorstellen." Und noch einmal: "Ich kann es mir nicht vorstellen. Wir haben mit dem Land Baden-Württemberg wasserdichte Verträge, und wenn dort jemand meint, dass er aus dem Projekt aussteigen möchte, soll er das allen Partnern sagen. Übrigens auch, wohin wir die Rechnung schicken sollen. Unsere Forderungen würden sich auf rund 1,5 Milliarden Euro belaufen. Das sage ich auch, weil ich als Vorstandsvorsitzender einer Aktiengesellschaft schlichtweg dazu verpflichtet bin." Er hat sich in Fahrt geredet, so wie früher öfter bei dem Thema. Doch dann macht ihn sein Fahrer darauf aufmerksam, dass die Zeit drängt. Grube muss zurück nach Berlin.

Und deshalb bekommt er auch nicht mehr mit, wie eine Frau ihn sucht. Sie ist Projektleiterin bei der SOB, baut Brücken für die Bahntrassen.

Regelrecht empört ist sie über den Baustopp in Stuttgart. Wie das sein könne, wollte sie wissen. "Wir haben Baurecht und eine Finanzierung, und trotzdem warten wir? Ich wollte ihn fragen, ob mir das hier demnächst auch passieren kann?" Doch wie gesagt, Grube war schon weg. Wäre er noch da gewesen, wäre das vermutlich wieder so ein Moment gewesen, in dem er ratlos dreingeblickt hätte.

© SZ vom 13.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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