Süddeutsche Zeitung

Rücktritt von Unicredit-Chef:Abschied aus Mailand

Seine aggressive, sehr erfolgreiche Sanierung machte ihn zum Star der europäischen Finanzszene. Doch nun muss Unicredit-Chef Jean Pierre Mustier gehen.

Von Stephan Radomsky, Ulrike Sauer und Meike Schreiber, Rom/München/Frankfurt

Non, merci. Der Franzose hat Italien satt. Nachdem Jean Pierre Mustier, 59, viereinhalb Jahre lang in einem großen Kraftakt den wackelnden Mailänder Geldkonzern Unicredit aufgerichtet hat, mag er sich partout nicht noch die Sanierung der Skandalbank Monte dei Paschi di Siena aufbrummen lassen. Und kündigt seinen Rücktritt an. Der Staat musste 2017 bei der ältesten Bank der Welt einsteigen und sie mit 5,4 Milliarden Euro vor dem Untergang retten. Für den Job, Italiens Kriseninstitut Nummer eins mit einem starken, gesunden Partner zu fusionieren, muss sich die römische Regierung also einen anderen Manager suchen.

Der Abtritt Mustiers lag seit langem in der Luft. Er löste dennoch in Mailand ein Beben aus. Nach einem Kursverlust von fünf Prozent am Montag rauschte die Unicredit-Aktie bei Handelsbeginn am Dienstag so tief in den Keller, dass kein Preis für das Papier des größten grenzüberschreitenden Bankkonzerns Europas ermittelt werden konnte. Später verlor die Aktie 6,5 Prozent. Die Mailänder Börsenzeitung Milano Finanza erschien mit dem Zeitungstitel: "Bei Unicredit entscheidet der Staat".

Der Trennung zwischen dem Sanierer Mustier und der Mailänder Großbank waren am Wochenende heftige Diskussionen im Verwaltungsrat des Instituts vorausgegangen. Am Montagabend schmiss Mustier dann hin. "In den vergangenen Monaten zeigte sich, dass die Strategie des Plans "Team23" nicht mehr der gegenwärtigen Vision des Verwaltungsrats entspricht", teilte er mit. Er überlasse es nun dem Aufsichtsgremium, eine neue Strategie festzulegen. Stein des Anstoßes: Mustiers Weigerung, dem italienischen Staat die taumelnden Krisenbank Monte dei Paschi abzunehmen, die auf Geheiß der EU-Kommission bis Ende 2021 wieder privatisiert werden muss. Finanzminister Roberto Gualtieri bedrängt den Unicredit-Chef schon seit dem Sommer. Ohne Erfolg. Sein Widerstand hat Mustier nun den Posten hoch oben im 231 Meter hohen Unicredit-Turm in Mailand gekostet.

Nur wenige Chefs haben in der arg bedrängten europäischen Bankenbranche eine so tiefe Spur hinterlassen

Der Franzose bedankte sich zum Abschied bei den Mitarbeitern. Er sei "stolz auf das, was wir erreicht haben und auf das, was wir in so kurzer Zeit realisiert haben". Mustiers Antritt im Juli 2016 hatte mit einem Paukenschlag begonnen. Er setzte wenige Monate später die größte Kapitalerhöhung um, die jemals von einer europäischen Bank gestemmt worden ist, 13 Milliarden Euro. Unicredit befreite sich von 50 Milliarden Euro ausfallgefährdeter Kredite. Mustier senkte die Kosten, schloss Filialen, strich europaweit mehr als 14 000 Stellen und bannte so die Gefahr eines Zusammenbruchs von Unicredit. Seine aggressive, höchst erfolgreiche Sanierung machte ihn zum Star der europäischen Finanzszene. Nur wenige Chefs haben in der arg bedrängten Bankenbranche eine so tiefe Spur hinterlassen wie Mustier.

Dem Aktienkurs von Unicredit nutzte das aber wenig. Kurz bevor Mustier hinwarf, befand sich die Aktie wieder da, wo sie sich bei seinem Amtsantritt 2016 befunden hatte: in der Gegend von neun Euro. Zwischenzeitlich hatten die Papiere ihren Wert zwar in etwa verdoppelt. Seit Mitte 2018, also lange vor Ausbruch der Corona-Pandemie, aber sank der Kurs ziemlich konstant - trotz freundlicher Einschätzungen von Finanzmarktprofis und Kaufempfehlungen der Analysten. Der schwache Aktienkurs dürfte den Franzosen viel Einfluss bei den Anteilseignern gekostet haben - und am Ende vermutlich den Job.

Denn während er sich stoisch gegen die Aufkäufe von italienischen Banken wehrte, schaffte er es nicht, seinen Traum von einer internationalen Fusion zu verwirklichen. Seine Pläne mit der Société Générale und der Commerzbank blieben in der Schublade. Wie auch die Idee, die nicht-italienischen Aktivitäten von Unicredit abzuspalten und unter der Führung der Hypo-Vereinsbank in Frankfurt an die Börse zu bringen. 2016 war Mustier wochenlang durch die Welt gejettet und hatte es geschafft, die Anleger von seinem Rettungsplan zu überzeugen. Nun hat er offenbar den Rückhalt verloren.

Der ehemalige Fallschirmspringer mit der Pariser Eliteausbildung ist in Mailand nie richtig angekommen

Statt in den lebhaften Konzentrationsprozess in der italienischen Bankwelt einzugreifen, begann der Unicredit-Chef von Dividendenausschüttungen und Aktienrückkauf zu reden. Er hielt es für geboten, vier Milliarden Euro überschüssige Mittel in den Rückkauf eigener Aktien zu investieren und so den Börsenkurs anzuheben. Für dieselbe Summe hatte sich der Mailänder Rivale und Marktführer Banca Intesa im Februar die norditalienische Bankengruppe Ubi geschnappt. In der Lombardei, der Stammregion der Bank, wird die Position von Unicredit durch mögliche Zukäufe der Mailänder Volksbank Banco BPM bedroht. So wuchs in Italien die Ungeduld. Man wollte, dass Unicredit endlich aus der Reserve kommt.

In Mailand ist Mustier nie wirklich angekommen. Der ehemalige Fallschirmspringer mit der Pariser Eliteausbildung und dem kantigen Charakter führte den Konzern lange Zeit aus London. Sein Glücksbringer, der plüschige Elch "Elkette", und seine asketische Haltung irritierten. Das Betriebsklima im Unicredit-Turm beschreibt man dort als "gereizt". "Die Mitarbeiter haben ihn erst gefürchtet, dann gehasst, zwischendurch wegen seines blöden Elchs belächelt und heimlich respektiert", sagt ein früherer Hypovereinsbank-Manager. Sein Faible für Disziplin habe im Konzern aber einen Kulturwandel eingeläutet. "Dass der Konzern so gut dasteht, ist im Wesentlichen ihm zu verdanken", sagt der Mann in Frankfurt.

Doch in Italien eine Großbank zu führen - besonders in einem Moment, in dem das Land von der Pandemie schwer gebeutelt ist - verlangt einen hohen Grad politischer Intelligenz. Mustier mied stets öffentliche Kontakte mit der italienischen Politik.

Dass sich das Blatt aber wendete, ahnte man bereits Mitte Oktober. Da berief Unicredit den ehemaligen Finanzminister Pier Carlo Padoan in den Verwaltungsrat und designierte ihn zum neuen Chef des Aufsichtsgremiums. Padoan hatte als Vor-Vorgänger Gualtieris 2017 die Rettung des taumelnden Monte die Paschi bei den europäischen Aufsehern durchgeboxt. Nun soll er sein Werk mit der Rückprivatisierung vollenden. Unter Padoan wird nun der Nachfolger Mustiers gesucht. Die Aktie des Monte dei Paschi legte an zwei Tagen knapp acht Prozent zu.

In München sorgen Mustiers Abgang und die Aussicht auf eine Übernahme des Monte dei Paschi bei der Unicredit-Tochter Hypo-Vereinsbank (HVB) dem Vernehmen nach für Unruhe. Die Befürchtung ist nun, dass eine Fusion zulasten des Ratings gehen und damit aufs ohnehin schon schwache Geschäft der Bank drücken könnte. Würde das Rating schlechter, könnte die Bank noch mehr Geschäft an Rivalen verlieren. Kurzfristige Sparmaßnahmen in Deutschland scheinen dagegen eher unwahrscheinlich.

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