Süddeutsche Zeitung

Rückkehr ins Automobilgeschäft:Siemens baut wieder Motoren

Zurück im Automobilgeschäft, nur anders: Siemens will sieben Jahre nach dem Verkauf der Autoelektroniksparte doch wieder Motoren bauen - für Elektroautos. Für die etablierten Autohersteller ist das eine Kampfansage.

Von Karl-Heinz Büschemann und Christoph Giesen

Gerade einmal vier Wochen war Peter Löscher im Amt, als der neue Siemens-Chef mit einem gewaltigen Deal erste Schlagzeilen machte: Im Juli 2007 verkaufte Löscher für elf Milliarden Euro die Autoelektroniksparte des Konzerns an den Konkurrenten Continental. Manch einer hat den Verkauf damals nicht verstanden - außerhalb des Konzerns, aber auch bei Siemens selber. Wie konnte das Unternehmen nur aus solch einem großen Markt aussteigen?

Doch nun, unter Joe Kaeser, der seit vergangenem Sommer das Unternehmen führt, will Siemens wieder zurück ins klassische Automobilgeschäft. Und greift dabei ausgerechnet dort an, wo es den etablierten Herstellern besonders weh tut: bei den Elektroautos - und damit in jenem Bereich der Autoindustrie, dem eine besonders große Zukunft vorausgesagt wird.

Siemens will für die Elektroautos Motoren in Großserie bauen - erst in China, später vielleicht auch anderswo. Auf der Pekinger Automesse hat Siemens dazu ein Joint-Venture mit dem staatlichen chinesischen Autohersteller Beijing Automotive Industry (BAIC) vereinbart. In einem neuen Werk in Peking werden der deutsche Konzern und sein chinesischer Partner vom kommenden Jahr an Elektroantriebe fertigen. "Als Jahresproduktion ist ein Volumen von mehr als 100 000 Einheiten geplant, wobei beide Unternehmen Potenzial für ein größeres Produktionsvolumen sehen", teilte Siemens mit.

Mit Siemens will China endlich die Technologieführerschaft

Der Konzern kooperiert zwar schon seit einigen Jahren mit Volvo, doch dabei ging es bisher nur um geringe Stückzahlen.

Nun beginnt die Massenproduktion. Kaum eine Regierung fördert derzeit die Entwicklung von Elektroantrieben so eifrig wie die Führung in Peking. Denn die Smogwerte in den Metropolen der Volksrepublik sind desaströs, zudem wollen die Chinesen, die beim Verbrennungsmotor weit hinter den europäischen oder japanischen Herstellern zurückliegen, endlich einmal die Technologieführerschaft übernehmen.

Vorreiter beim Elektroantrieb ist bislang der kalifornische Hersteller Tesla. In einer neuen Fabrik wollen die Amerikaner pro Jahr 100 000 Autos bauen, deren Antriebe mit einer Leistung von über 300 PS aufwarten. Tesla greift damit auch deutsche Premiumhersteller wie Daimler, BMW oder Audi frontal an.

Die neuen Motoren von Siemens werden ebenfalls recht spritzig sein und eine Leistung von bis zu 270 PS haben. Der Schritt von Siemens sei "strategisch interessant", sagt Markus Lienkamp, der an der Technischen Universität (TU) München Fahrzeugtechnik lehrt. "Das ist ein Zeichen dafür, dass Siemens in das Autogeschäft zurück will." In seinem Institut hat Lienkamp ein Elektroauto mitentwickeln lassen, für das Siemens den Antrieb liefert.

Ist der Deal mit China eine einmalige Sache?

Der chinesische Partner, den sich Siemens für seine Rückkehr ins Autogeschäft ausgewählt hat, hat ebenfalls einen globalen Anspruch: BAIC kooperiert bereits mit dem deutschen Autohersteller Daimler. In Peking werden bei BAIC die E- und C-Klasse gefertigt, beide in der Langversion. Seit dem vergangenen Herbst ist Daimler sogar zu zwölf Prozent an der Pkw-Sparte von BAIC beteiligt, zwei Daimler-Vorstände sitzen im Aufsichtsrat.

Und nun soll bei drei Modellen von BAIC künftig Siemens-Elektronik eingebaut werden. Ist diese Kooperation zwischen dem chinesischen Autobauer und Siemens ein einmaliges Projekt? Oder drängt der Münchner Konzern damit in eine Domäne der Autoindustrie? Will er gar irgendwann selbst zum Autohersteller werden?

"Nein, wir bleiben Zulieferer", versichert ein Siemens-Sprecher. "Allerdings können wir uns vorstellen, in Zukunft auch mit anderen Herstellern zusammenzuarbeiten. Der Deal mit BAIC ist keine Exklusivitätsvereinbarung."

Siemens greift dort an, wo es den Herstellern besonders weh tut

Er ist stattdessen eine Kampfansage. Denn Motoren und Antriebe sind für die Autohersteller eigentlich das wichtigste Unterscheidungskriterium im Wettbewerb. Wer gute Motoren anbietet, der gewinnt am leichtesten Kunden. Das war bisher so - und so soll es nach den Vorstellungen der Automanager auch im Zeitalter des Elektroautos bleiben.

VW zum Beispiel, der größte Autohersteller Europas, hält es für notwendig, auch die Antriebe für seine Elektroautos im eigenen Hause zu bauen - und dies nicht den Lieferanten zu überlassen. Der Motor und die Batterie seien "das Herz des Elektroautos", erklärte Martin Winterkorn, der Wolfsburger Unternehmenschef. "Wir wollen Elektromotoren mit einem besseren Wirkungsgrad bauen als die Motoren, die heute am Markt zu bekommen sind." Schon heute kommen alle Antriebe für VW-Elektroautos aus der eigenen Fertigung des Unternehmens.

Allerdings besitzen die Autokonzerne im Gegensatz zu Bosch oder Siemens nur wenig Erfahrung in der Elektrotechnik. Für die Unternehmen könnte der Trend zur Elektromobilität daher "einen Verlust ihres heutigen Geschäftsmodells und damit den möglichen Untergang" mit sich bringen, meint TU-Professor Lienkamp. Mit Stromautos lasse sich zudem weniger Geld verdienen, weil weniger Technik und Arbeit in den Fahrzeugen stecke. "Das ist, weiß Gott, kein attraktives Szenario für die Autohersteller", sagt er.

Ferdinand Piëch, der Aufsichtsratsvorsitzende des Wolfsburger Konzerns, der als Motoringenieur alter Schule gilt und der entscheidende Kopf für die VW-Strategie ist, sagt offen, wie er über das stromgetriebene Auto denkt: "Ich halte nicht viel vom reinen Elektroauto." Damit ist klar: VW setzt weiter auf den Verbrennungsmotor und wird mit ständiger Verbesserung des alten Antriebs den Durchbruch des Stromfahrzeugs zu verhindern versuchen. Siemens beginnt nun unter Joe Kaeser damit, den Gegenbeweis anzutreten.

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SZ vom 24.04.2014/ipfa
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