Süddeutsche Zeitung

Rückgang von Fleischkonsum im Westen:Das Schwein bestimmt das Bewusstsein

Lesezeit: 3 min

Meine Blutwurst ess' ich nicht: Deutsche und Amerikaner konsumieren weniger Rind und Schwein, zeigt der neue Fleischatlas. Weil zugleich Chinesen und Inder mit steigendem Einkommen Lust auf Fleisch bekommen, belastet die Fleischproduktion die Welt dennoch mehr und mehr.

Von Jannis Brühl

Pferd in der Lasagne, Gammelware, Dioxin: Die Skandale der vergangenen Jahre haben das Bewusstsein vieler Menschen in den Industriestaaten geändert. Langsam, ganz langsam lässt ihr Fleischhunger nach. Europäer und US-Amerikaner essen weniger Rinder, Schafe und Schweine.

Die Deutschen konsumierten 2012 pro Kopf zweieinhalb Kilogramm Fleisch weniger als im Jahr zuvor, die Amerikaner essen statt 85 Kilo wie vor zehn Jahren nur noch 75 im Jahr. In Europa stagniert die Zahl. Umso mehr Lust auf Steaks und Hühnerbeine herrscht in anderen Weltregionen - und das führt zu einer Belastungsprobe für die Welt. Diese Trends gehen aus dem neuen Fleischatlas hervor, den die Heinrich-Böll-Stiftung und die Naturschutzgruppe BUND an diesem Donnerstag in Berlin vorstellen. Der regelmäßige Bericht über Konsum und Produktion von Fleisch basiert auf Daten von Marktforschern und Institutionen wie OECD und Welternährungsorganisation.

Biofleisch bleibt elitär - auch im Westen können es sich nur wenige leisten. Der Marktanteil liegt den Autoren zufolge in den meisten Industrieländern bei weniger als zwei Prozent. Insgesamt wird der Verbrauch von Rind, Kalb und Schwein in den USA und Europa weiter sinken. Die Ausnahme ist ein leichter Anstieg beim Geflügel.

Die Fleischproduzenten haben aber neue, hungrige Abnehmer gefunden: die Aufsteiger in den Schwellenländern. Dort ist der Wohlstand noch nicht so weit gestiegen, dass sich viele Menschen vom Fleisch abwenden. Im Gegenteil. 80 Prozent des Wachstums im Fleischverbrauch soll bis 2022 auf die asiatischen Boomländer entfallen, vor allem auf die schnell wachsenden Mittelschichten Indiens und Chinas. Sie haben mehr Geld als früher und leben vermehrt in Städten - mit beidem geht steigender Fleischkonsum einher.

Von dem Boom profitiert der kleine Laden an der Ecke in Delhi oder Mumbai aber nur am Rande, geschweige denn eine nachhaltige Fleischindustrie. Die globalen Fast-Food-Ketten, die über viel Kapital verfügen, haben die Schwellenländer zu ihrem Eroberungsziel erklärt. Allein Yum, der Konzern, zu dem Kentucky Fried Chicken und Pizza Hut gehören, hat geplant, 1450 Restaurants in Schwellenländern zu eröffnen, davon Hunderte in Indien.

Kann die Erde überhaupt all die neuen, hungrigen Gutverdiener mit Fleisch versorgen? Es dürfte eng werden. Geht die heutige Entwicklung weiter, muss die Industrie den Autoren des Berichts zufolge bis 2050 statt 300 Millionen Tonnen 470 Millionen produzieren.

Das würde bedeuten: Noch mehr riesige Betriebe mit Zehntausenden von Hühnern und Schweinen, noch weniger Land für Kleinbauern. Zur immer weiter ausgedehnten Nutzung von Böden für den Anbau von Futtermitteln sagt Reinhild Benning, Agrarexpertin des BUND: "Die Folgen sind fatal, wertvolle Regenwälder gehen verloren, Böden und Gewässer werden mit Pestiziden belastet, die Preise für Grundnahrungsmittel steigen aufgrund knapper werdender Agrarflächen. Die großräumige Anwendung des Herbizids Glyphosat beim Gentech-Sojaanbau führt in Südamerika vermehrt zu massiven Gesundheitsschäden."

Der Bericht der grünen Organisationen ist keineswegs neutral formuliert, sondern eine Kampfansage an die Fleischindustrie. Sie warnen vor mehreren Entwicklungen:

  • Wenige Fleischkonzerne gewinnen immer mehr Macht. In den USA schlachten zehn Unternehmen 88 Prozent aller Schweine. Von 1967 bis 2010 ist die Zahl der Schlachthöfe von 10.000 auf 3000 gefallen. Unter der Marktkonzentration leiden Bauern auf der ganzen Welt, schreiben die Autoren: "Die multinationalen Strukturen vernichten eine Einkommensquelle der Armen und schränken gleichzeitig die Produktauswahl für die Verbraucher ein."
  • Die Freihandelsgespräche zwischen EU und USA könnten die Sicherheitsstandards gefährden. US-Konzerne versuchten, im Rahmen der Verhandlungen den Import von Fleisch, das mit Chemikalien desinfiziert wurde oder von hormonbehandelten Tieren stammt, und Erleichterungen bei der Einfuhr genveränderter Lebensmittel nach Europa durchzusetzen.
  • Die schnellsten Menschen entbeinen und zerlegen ein Huhn in etwa 20 Sekunden. Ein "Robobutcher", eine moderne Zerteilmaschine, braucht zweieinhalb Sekunden. Die Automatisierung der Fleischproduktion hat die Arbeit der Angestellten entwertet. Weltweit seien die Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen "katastrophal", heißt es im Fleischatlas. In Deutschland, einem der größten Exporteure weltweit, reagieren manche Hersteller auf den härter werdenden globalen Wettbewerb (vor allem durch Produzenten aus Brasilien und Asien) mit Lohn-Dumping: Der Bericht greift die deutschen Produzenten an, weil sie Leiharbeitern aus Polen, Rumänien und Bulgarien teils weniger als fünf Euro die Stunde zahlen. Die Löhne sind so niedrig, dass dänische und niederländische Produzenten ihre Tiere zum Schlachten nach Deutschland bringen. Im vergangenen Jahr waren in Deutschland auch Fälle bekannt geworden, in denen es um regelrechte Lohnsklaverei von Schlachthof-Angestellten ging.

Marktkonzentration, Ausbau der industrialisierten Schlachtung, miserable Löhne: An den Zuständen kann nur der Verbraucher mit bewussten Kaufentscheidungen gegen Billig-Fleisch etwas ändern, finden die Autoren des Fleischatlas. Ihre Botschaft: "Ernährung ist nicht nur Privatsache."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1858113
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.