Rosatom:Ein Atomkonzern spaltet Europa

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Blick in die Leitzentrale des Atomkraftwerks Nowoworonesch, das von Rosatom betrieben wird. Der Konzern expandiert derzeit auch kräftig beim Bau neuer Kernkraftwerke, weil die Konkurrenz sich aus dem Geschäft zurückzieht. (Foto: Andrey Rudakov/Bloomberg)
  • Die Grünen warnen vor der Europawahl vor einer "drohenden Abhängigkeit" Ost- und Mitteleuropas vom russischen Atomkraftwerks-Hersteller Rosatom.
  • Einer neuen Studie zufolge versucht Rosatom, in Staaten wie Ungarn oder Finnland politischen Einfluss zu nehmen.
  • Rosatom weist diese Darstellung zurück und sieht die Studie als Beleg für die "schiere Verzweiflung der Anti-Atom-Eiferer".

Von Matthias Kolb, Brüssel

Einen Monat vor der Europawahl warnen die Grünen vor einer "drohenden Abhängigkeit" Ost- und Mitteleuropas vom russischen Atomkraftwerks-Hersteller Rosatom. "Die EU darf nicht akzeptieren, dass Wladimir Putin über den Staatskonzern Rosatom Einfluss auf Europas Energieversorgung nimmt", sagt Bas Eickhout, einer der beiden grünen Spitzenkandidaten für die Europawahl. Er beruft sich auf eine 73-seitige Studie des niederländischen Energieexperten Jan Haverkamp, der für die Fraktion der Grünen im Europaparlament Rosatoms Aktivitäten in Europa analysiert hat. Sie zeigt, wie der Konzern offenbar politischen Druck ausübt.

Während in mehreren westeuropäischen Staaten nach dem Reaktorunfall in Fukushima 2011 der Ausstieg aus der Atomenergie eingeleitet wurde, ist laut Haverkamp in Mitteleuropa eine "nukleare Expansion" vorstellbar. Anders als die baltischen Staaten und Polen, wo die Regierungen Russland kritisch sehen, haben die übrigen EU-Mitglieder der Region weniger Vorbehalte gegenüber Rosatom. Der Staatskonzern ist der Studie zufolge "De-Facto-Monopolist" für den Bau von Atomkraftwerken (AKW), da die meisten Konkurrenten aus den USA, Südkorea oder Japan das Geschäft für unrentabel erachten.

"Militärisch-ziviler Hybrid"

Haverkamp betont, dass Rosatom nicht nur vom Kreml kontrolliert werde, sondern seiner Ansicht nach als "militärisch-ziviler Hybrid" auch für den russischen Atomwaffensektor verantwortlich sei: "Rosatoms Loyalität wird immer auf Seiten der russischen Sicherheitskräfte liegen."

In Finnland soll Rosatom das AKW Hanhikivi errichten, doch der Baubeginn wird seit Jahren verschoben. 2010 wurde die Genehmigung erteilt, der Bau sollte 2018 beginnen und das AKW 2024 in Betrieb genommen werden. Seither sind die Kosten deutlich gestiegen und die Atomaufsichtsbehörde wirft Rosatom "eine fehlende Sicherheitskultur" vor. Der Konzern hat mittlerweile ein Drittel der Anteile am Bauherrn Fennovoima übernommen und angeblich vergeblich versucht, über eine kroatische Briefkastenfirma Auflagen zu umgehen. Als "wohl klarstes Beispiel für Rosatoms politischen Einfluss" bezeichnet Haverkamp eine Episode aus dem Jahr 2015: Um Hanhikivi zu retten, wurde der finnische Konzern Fortum seinen Recherchen zufolge gedrängt, bei Fennovoima einzusteigen, um das eigene Wasserkraft-Geschäft in Russland nicht zu gefährden.

Der Autor lobt die Unabhängigkeit der Atomaufsichtsbehörde in Helsinki, die Recherchen finnischer Journalisten und das Bürgerengagement. All dies sei in Ungarn, wo Rosatom zwei Generatoren für das AKW Paks bauen soll, nicht gegeben. Kritiker monieren, dass Rosatom den Auftrag ohne öffentliche Ausschreibung erhielt - und dass Ungarns Regierung den Bau durch einen Kredit Moskaus in Höhe von zehn Milliarden Euro finanziert.

Der Vertrag sieht laut Studie vor, dass Budapest 2026 mit der Rückzahlung des Kredits beginnen muss; dann dürfte Paks II noch nicht am Netz sein. Die Umstände des Projekts passen demnach zum Image von Premierminister Viktor Orbán als Putins Verbündeter in Europa: Es wurde 2014 gestartet, als der Kremlchef nach Russlands Annektion der ukrainischen Krim mit Sanktionen der EU bestraft wurde.

Auf SZ-Anfrage nennt Rosatom diese Darstellung "völlig gegenstandslos": Man wolle keinen politischen Einfluss, sondern "Profite durch exzellenten Service" erzielen. Das Paks-Projekt sei von der EU-Kommission und der Euratom-Versorgungsagentur "eingehend überprüft" worden - und beide hätten bestätigt, dass in Sachen Wettbewerbsrecht, Transparenz und Energiesicherheit nichts zu beanstanden sei. Die Studie zeichnet sich nach Ansicht von Rosatom durch "politische Voreingenommenheit" aus und zeige die "schiere Verzweiflung der Anti-Atom-Eiferer". Der russische Staatskonzern kritisiert zudem, dass der Bericht verschweige, dass Rosatom sein Portfolio diversifiziere und etwa in Wind- und Wasserenergie investiere.

Dass die Grünen das Thema Atomkraft zur Europawahl betonen, überrascht nicht. Es beschäftigt deren Kernwähler und ist wahrlich europäisch: Die Folgen eines Reaktorunfalls sind grenzüberschreitend spürbar. Ein besonderer Fall ist das AKW, das Rosatom in Astravets in Weißrussland baut: Es liegt nur 60 Kilometer entfernt von Vilnius, der Hauptstadt Litauens. Die baltischen Bedenken, etwa bezüglich der fehlenden Expertise der Aufsichtsbehörde, werden ignoriert. Litauens Parlament sieht im Projekt in Astravets gar ein "nationales Sicherheitsrisiko".

Für den Grünen Bas Eickhout steht daher fest: "Wir müssen uns von Atomkraft verabschieden und in erneuerbare Energien als einzige zukunftsfähige Energiequellen investieren."

© SZ vom 26.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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