Bei uns in Rom:Feindliche Übernahme

Früher sagten die blasierten Römer: Wie konntet ihr nur die Stadt verlassen! Jetzt sagen sie das nicht mehr.

Von Ulrike Sauer

Es wird eng. Unangenehm eng. Das Gefühl kennen ja viele. Zumal die coronamüden Heimarbeiter, die den Kampf um ein ruhiges Fleckchen in der Stadtwohnung für sich und den Laptop leid sind. Aber im Wald? Du spinnst ja, im Wald doch nicht!

Okay, in der sogenannten einsamen Natur fällt einem nicht so leicht die Decke auf den Kopf. Erst recht nicht jetzt, da die laue Mai-Luft den duftenden Ginster und Jasmin erblühen ließ. Zwischen einem Videocall und einem Abgabetermin locken sie vor die Tür. Eigentlich ist das auch in diesem Jahr wieder ein Frühlingstraum. Wären da nicht: die Wildschweine.

Die ungebetenen Gäste - Gäste? - pflügen schon seit Jahren öfters mal den Garten um. Damit arrangierte man sich. In Hochbeeten wurden Tomaten und Rucola in Sicherheit gebracht. Doch jetzt, im zweiten Jahr der Pandemie, schwindet der Raum für ein friedliches Miteinander. Denn jetzt treffen sich mehrere Großfamilien vor der Haustür. Neulich war der Fiat Panda am frühen italienischen Abend von mehr als 20 Wildschweinen umringt. Der Anblick war ein Schock. Ruft man besser doch den befreundeten Jäger an?

Noch schwankt die Toleranz gegenüber der feindlichen Übernahme. Gestern waren sie doch niedlich, sagt der Mann beim Frühstück. Kurz vor Mitternacht hatten sechs Ferkel zwischen den Rosen randaliert. Wohnt man in einem Steineichenwald, fragt man sich aber gereizt, warum sich die grunzenden Biester ausgerechnet an der Terrasse austoben müssen. Der Jäger klärt auf: Sie fühlen sich dort sicher. Denn im Wald hat sich der Wolf ausgebreitet.

Das ist in der Gegend niemandem entgangen. Auf dem morgendlichen Weg zum Zeitungskiosk im Dorf lag neulich ein halbes Reh am Straßenrand. Drei Kilometer entfernt rissen die Wölfe alle vier Schafe, die Domenico in dem Gehege am Ortsausgang großgezogen hat.

Früher sagten die Römer, die blasiert auf Landbewohner herabblicken, bei jeder Gelegenheit: Wie konntet ihr auch Rom verlassen! Jetzt sagen sie das nicht mehr. Denn auch ihnen rückt die Natur auf die Pelle. Eine Frau floh auf dem Parkplatz eines Supermarkts vor einem Wildschwein, das begierig in ihren Einkaufstüten herumgeschnüffelt hatte. Auf der römischen Instagram-Seite Welcometofavelas geht das Video vom Familienausflug der Borstenviecher durchs Viertel Vigna Clara viral. "Die bauen ein Heer auf, bald beherrschen sie ganz Rom", postet Laura. Im Viale dell'Astronomia, wo Italiens Industrieverband residiert, greifen Krähen im Sturzflug Passanten an. Wenn man Glück hat, ziehen sie an den Haaren. Manche haben Pech und landen im Krankenhaus. Es ist verflixt, aber immer öfter fällt einem Schätzings Ökothriller "Der Schwarm" ein, in dem die entfesselte Natur zurückschlägt.

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