Süddeutsche Zeitung

Rohstoffgewinnung in der Tiefsee:"Die Ozeane sind der neue Wilde Westen"

Lesezeit: 4 min

Vorstoß in eine Welt voller Rätsel und Geheimnisse: Papua-Neuguinea vergibt die erste Lizenz für eine Mine am Meeresboden. Ein kanadisches Unternehmen will dort Gold und Silber fördern. Wissenschaftler und Meeresschützer fürchten um die unerforschten Lebensräume. Sie wollen den Tiefenrausch stoppen.

Moritz Koch

Papua-Neuguinea hat den Lauf der Weltgeschichte bisher nicht gestaltet. Das Inselreich im Pazifik war ein Spielball im Kräftemessen der Kolonialländer. Holländer, Deutsche und Briten rangen um die Vorherrschaft über das rohstoffreiche Land. Später lieferten sich Japan und die US-Marine erbitterte Gefechte. Erst jetzt hat Papua-Neuguinea Geschichte geschrieben, wenn auch weitgehend unbemerkt. Das bitterarme Land hat eine neue Front im globalen Kampf um Ressourcen eröffnet: die Tiefsee.

Die Regierung in Port Moresby hat die weltweit erste Lizenz für eine Mine am Meeresboden ausgegeben. Zwanzig Jahre lang darf die kanadische Aktiengesellschaft Nautilus Minerals wertvolle Metalle vom Grund der Bismarcksee fördern. "Solwara 1" heißt das Pilotprojekt. Es geht um gewaltige Reichtümer: Gold, Silber, Kupfer, später auch um Seltene Erden. Ein paar Fragen sind aber noch zu klären. Nach Branchenangaben gibt es Streit mit der Regierung von Papua-Neuguinea, die Partnerin von Nautilus bei diesem Projekt. Offenbar legen beide Seiten die Verträge unterschiedlich aus, ein ehemaliger Richter soll bald schlichten.

Nautilus - so wie das Tauchboot in Jules Vernes Roman "20 000 Meilen unter dem Meer" heisst die kanadische AG. Und nicht nur der Name des Unternehmens, das gesamte Projekt erinnert an die Phantasie des Schriftstellers. Seit 1997 versucht Nautilus die Schätze der Tiefsee zu bergen. Anfangs hatten Skeptiker den Firmenchef Stephen Rogers als Träumer verhöhnt. Minen auf dem Meeresgrund erschienen ihnen so praktikabel wie Förderstationen auf dem Mars - doch nun wird der Traum Realität. Rogers' Mission markiert den Beginn einer neuen Ära des Rohstoffabbaus. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung schwärmt der Nautilus-Chef von einem "historischen Moment" und der Pionierarbeit. "2014 wird die Förderung beginnen", sagt er und verspricht Papua-Neuguinea einen Geldregen. Mit 30 Prozent ist das Land an dem Projekt beteiligt.

Seit sich die Schwellenländer im Eiltempo industrialisieren, kennt die globale Rohstoffgier keine Grenzen mehr. Regenwälder werden abgeholzt, Flüsse vergiftet. Selbst im ewigen Eis wird nach Metallen gegraben und geschürft. Warum also nicht auf dem Meeresboden? Die Ölkonzerne haben es vorgemacht. Die Plattform Deepwater Horizon war ein Monument des technisch Möglichen - bis sie zum Menetekel der menschlichen Hybris wurde.

Rogers hat früh auf die Ressourcenknappheit spekuliert, nun kann er auf satte Rendite hoffen. Pro Jahr will Nautilus 80 000 Tonnen Kupfer und 150 000 Unzen Gold vom Meeresgrund schaben - mit einem Förderschiff, einem eigens konstruierten Tiefsee-Bagger und einer Hochleistungspumpe, die das rohstoffreiche Gestein durch ein 1600 Meter langes Staubsaugerrohr zutage fördert. Ein Abnehmer ist gefunden: China, das wie kein zweites Land nach Rohstoffen giert.

Die Fördergenehmigung umfasst ein Gebiet, das mit 158 000 Quadratkilometern fast halb so groß wie Deutschland ist. Doch Rogers will noch mehr. Nautilus hat Anträge auf weitere Tiefseelizenzen gestellt, für Tonga, Fidschi, Neuseeland und die Salomonen. Das Unternehmen stößt in eine Welt voller Rätsel und Geheimnisse vor. Der Meeresboden ist heute noch ein weitgehend unerforschtes Terrain. Selbst über die Mondoberfläche wissen Forscher mehr als über die Tiefen der Ozeane. Doch zuletzt sind bei der Vermessung enorme Fortschritte erzielt worden. Immer öfter stoßen Meeresgeologen auf Gesteinsformationen, in denen Metalle in ungewöhnlich hoher Konzentration vorkommen. "SMS" heißen sie im Jargon der Rohstoffbranche, S eafloor Massive Sulfide Deposits.

Diese Ablagerungen bilden sich im Laufe der Jahrtausende in der Nähe der rätselhaften "Schwarzen Raucher", die vor allem dort, wo die Kontinentalplatten aufeinandertreffen, wie Schornsteine aus dem Meeresgrund ragen und brühend heiße Fontänen ausspeien - hochgiftig, aber reich an Gold, Silber und Kupfer. Das eiskalte Wasser der Tiefsee kühlt das Magma aus dem Erdinneren, Strömungen schichten es zu Hügeln auf. Hier will Rogers die Schaufeln seines Baggers ansetzen.

400 Millionen Dollar haben Bau und Entwicklung der Spezialausrüstung gekostet, das Förderschiff verschlang weitere 150 Millionen. Doch Rogers ist sich sicher, dass sich das Investment lohnt - selbst dann, wenn sich der Kupferpreis halbieren sollte. "Im Vergleich zum herkömmlichen Bergbau sind die Summen, die wir benötigen, ausgesprochen gering", sagt er. Neue Straßen, Umsiedlungen, all das kann sich Nautilus sparen. Umso größer seien die erwarteten Erträge. Die Konzentration an Kupfer, Gold und Silber sei um ein Vielfaches höher als in konventionellen Minen. Der Rohstoff-Rausch unter dem Meer lockt Abenteurer aus aller Welt. Einer von ihnen: der Amerikaner Tom Dettweiler. Erst im Juli war er in den Schlagzeilen. Sein Unternehmen Odyssey Marine Exploration barg 43 Tonnen Silber aus dem Wrack des britischen Handelsschiffes Gairsoppa, das im Zweiten Weltkrieg von einem deutschen U-Boot vor der irischen Küste versenkt worden war. Nun will Dettweiler einen viel größeren Schatz heben - denselben Schatz, dem Rogers hinterherjagt. "Wir sind davon überzeugt, dass die Menschheit in die Tiefsee vorstoßen muss, um ihren Rohstoffbedarf zu decken", sagt Dettweiler. Der Kampf um den Schatz der Tiefsee hat begonnen: Auch Odyssey investiert in Fördertechnik, in spätestens vier Jahren sollen die ersten Abbauzonen bewirtschaftet werden, auch im Südpazifik.

Die Gewässer von Papua-Neuguinea gelten als ideales Abbaugebiet. Das Wasser ist ruhig und wird nur selten von Stürmen aufgewühlt, die Arbeiten unterbrechen könnten. Doch noch bevor der Minenbetrieb beginnt, braut sich ein anderer Sturm zusammen, ein Zyklon des Protests. Wissenschaftler, Entwicklungshelfer und Meeresschützer fürchten um die fast völlig unerforschten Lebensräume, die sich um die Schwarzen Raucher gebildet haben. Und sie formieren sich, um den Tiefenrausch zu stoppen. "Die Ozeane sind der neue Wilde Westen", sagt Catherine Coumans von der kanadischen Organisation Mine Watch. "Papua-Neuguinea, ein Land, das sich kaum selbst regieren kann, soll vor seiner Küste eine Technik überwachen, die nie zuvor erprobt wurde. Das ist absurd." Ähnlich aberwitzig sei die Behauptung von Nautilus-Chef Rogers, die Metallförderung am Meeresgrund sei schonender als der Minenbetrieb am Festland. "Wir wissen nichts über die Welt, in die wir vordringen wollen. Es ist, als würden wir eine Bibliothek abfackeln, ohne auch nur eines ihrer Bücher gelesen zu haben."

Die extremen Umweltbedingungen in der Nähe der Tiefsee-Schlote erinnern an die Frühgeschichte der Erde. Forscher erhoffen sich von ihnen Einblicke in die Zeit, bevor sich die ersten Organismen bildeten. Als der gesamte Planet brodelte, fauchte und zischte. Einige Biologen glauben sogar, dass sich die giftigen Fontänen als Quell des Lebens erweisen könnten.

Im Laufe der Jahrtausende haben sich die Schwarzen Raucher zu einem ganz eigenen Biotop entwickelt, zu einer Lebenswelt aus kreidebleichen Fischen und gespenstischen Krebsen, die ohne jedes Licht auskommt. 500 bisher unbekannte Arten wurden in den vergangenen Jahren in ihrer Nähe entdeckt. Keiner weiß, welche Kreaturen sich noch in der ewigen Dunkelheit verbergen. Keiner weiß, wie die Ökosysteme mit den anderen Lebensräumen der Ozeane verbunden sind. Und keiner weiß, welche Folgen die Rohstoffförderung auf die Fischerei haben könnte.

Für Kritikerin Coumans ist das Wissen, das in den Tiefen darauf wartet, gesammelt zu werden, wertvoller als Gold, Silber, Kupfer und Seltene Erden. Sie fordert ein Moratorium für Minen am Meeresgrund: "Statt über unberührte Lebensräume herzufallen, sollte sich die Rohstoffbranche lieber darum kümmern, ihre Umweltstandards auf dem Festland zu verbessern."

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Quelle:
SZ vom 28.08.2012
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