Rohöl:Das verkannte Kartell

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Ist die Opec heute ohnmächtig angesichts des Ölpreis-Verfalls? Mitnichten. Sie wird nur falsch verstanden.

Von Jan Willmroth

Für die Konferenz, die das Machtgefüge der Ölwirtschaft für immer verändern sollte, interessierte sich kaum jemand. Am 10. September 1960, Bagdad hatte gerade zwei Jahre zuvor eine Revolution und das Ende der Monarchie erlebt, trafen Vertreter der wichtigsten Erdöl-Staaten in der irakischen Hauptstadt ein. Die westlichen Ölkonzerne kontrollierten noch große Teile der damals bekannten Ölvorkommen und damit die Preise. Die Wut über deren willkürliche Preispolitik trieb Minister aus Saudi-Arabien, Venezuela, Kuwait, dem Irak und Iran nach Bagdad; die Führung Katars nahm beobachtend teil.

Vier Tage verhandelten die Vertreter, angeführt von dem Venezolaner Juan Pablo Pérez Alfonso und dem ersten saudischen Ölminister Abdullah Tariki. Die irakische Republik war noch jung, Bagdad mit Panzern bewacht, und hinter dem Sitz eines jeden Konferenzteilnehmers stand ein bewaffneter Wachmann.

Aus dem Gründungstreffen der Opec wurde, was der spätere Vize-Generalsekretär der Organisation, Fadhil al-Chalabi, als "ersten Wendepunkt" bezeichnete. Ein Wendepunkt "in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen hin zu einer staatlichen Kontrolle natürlicher Ressourcen". Am 14. September 1960, völlig unterschätzt von westlichen Politikern, Geheimdiensten und Medien, war die Organisation Erdöl exportierender Länder geboren, als Gegenpol zur Macht westlicher Konzerne. Ein Akt der Verteidigung. Fünf Staaten, die 80 Prozent aller Ölexporte kontrollierten, hatten sich zu einem Kartell vereint.

Der US-Geheimdienst widmete der Organisation nach ihrer Gründung ganze vier Zeilen

Und fast niemand nahm es ernst. In einem damals geheimen, 43 Seiten langen Bericht über das "Öl des Mittleren Ostens" widmete die CIA der Opec ganze vier Zeilen. "Das Auftauchen der Opec schien wie eine weitere unwichtige Ansammlung unwichtiger Interessengruppen", schrieb Jeffrey Robinson in der Biografie über den saudischen Ölminister Zeki Yamani.

Seit diesen Tagen in Bagdad ist viel geschehen. Unter dem Eindruck zweier Ölpreisschocks in den Siebzigerjahren wurde auch in Deutschland jedem klar, wie dramatisch die Bedeutung der Öl-Allianz unterschätzt wurde. In der Nordsee entdeckten und erschlossen europäische Konzerne große Ölfelder, die Sowjetunion implodierte, Russland bemühte sich mit aller Macht, wieder zu den größten Ölexporteuren zu gehören. Die USA kehrten während der vergangenen zwölf Jahre an die Weltspitze der Ölproduzenten zurück. Es ist in der Zwischenzeit viel gesagt und geschrieben worden über die Opec. Immer wieder beschworen Kommentatoren ihren Zerfall oder beschrieben das Kartell als "zahnlosen Tiger" - zumeist in Zeiten wie heute, da die Mitglieder der Organisation anscheinend lieber streiten, als ihre Fördermengen zu kürzen und Preise zu erhöhen.

Die Ölkrise von 1973 überraschte die von Wirtschaftswunder und billigem Öl verwöhnte deutsche Gesellschaft. Hamsterkäufe an Tankstellen waren die Folge. (Foto: dpa)

Dabei gilt immer noch, was der Ölminister Kuwaits wartenden Reportern 1981 nach einem von besonders hitzigen Diskussionen geprägten Treffen sagte: "Die Nachrichten vom Tod der Opec waren stark übertrieben." Die Opec ist heute ein Zusammenschluss tüchtiger Geschäftsleute aus 13 Ländern, die teils seit Jahrzehnten im Ölgeschäft arbeiten und die trotz aller Differenzen ein Ziel eint: Mit dem Rohstoff möglichst viel Geld für ihre Staaten zu verdienen. Bedeutungslos war sie nie.

Aber ist sie auch ein Kartell? Die Bezeichnung ist eng verbunden mit den Erfahrungen der 70er-Jahre: Als die USA nach sechs Tagen in den Yom-Kippur-Krieg eingriffen, sahen die Opec-Staaten ihre Zeit gekommen, kürzten ihre Fördermengen und verhängten ein Öl-Embargo. Innerhalb eines halben Jahres vervierfachte sich der Ölpreis. Deutschland reagierte mit dem Energiesicherheitsgesetz, mit Sonntagsfahrverboten und Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen. Plötzlich war da ein Länderklub, der die Abhängigkeit der Welt vom Öl schamlos ausnutzte.

Auch das: eine Fehleinschätzung. Die Geschichte zeigt, dass Absprachen nur selten erfolgreich waren und die Organisation den Ölpreis nur in Ausnahmesituationen über längere Zeit beeinflussen konnte. In der Tat hat die Opec zwar viele Merkmale eines Kartells. In ihrem Gründungsstatut etwa heißt es, die Organisation verpflichte sich, die Ölpolitik der Mitgliedstaaten zu koordinieren, die Preise zu stabilisieren und den Staaten ein stetes Einkommen zu sichern. Das klingt nach Absprachen und Aushebeln des Wettbewerbs.

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Rundungsbedingte Differenzen möglich. SZ-Grafik; Quellen: IEA, OPEC, Bloomberg

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Rundungsbedingte Differenzen möglich. SZ-Grafik; Quellen: IEA, OPEC, Bloomberg

Wirklich effektiv hat die Opec als Kartell aber selten funktioniert. Ihre Mitglieder haben von Beginn an um Marktanteile konkurriert. Die aktuelle Ansage Irans, vor irgendwelchen Absprachen unbedingt seine früheren Märkte wieder bedienen zu wollen, ist typisch. Absprachen über Investitionen, künftige Produktionsmengen oder die Aufteilung von Kundengruppen hat es zwischen den Mitgliedern nie gegeben. Die Marktmacht des Kartells erreichte ihren Höhepunkt just 1973, im Jahr der ersten Ölkrise, bei einem Weltmarktanteil von etwa 51 Prozent. Seither bewegte sich dieser Anteil bei etwa 40 Prozent und darunter, dabei wird es mittelfristig bleiben. Je geringer aber der Marktanteil, desto weniger haben Produzenten die Möglichkeit, Preise zu manipulieren. Bei allen Versuchen, ein mächtiges Kartell zu sein: Die Opec hat niemals annähernd den gesamten Markt kontrollieren können.

Wenn heute vor jedem Opec-Treffen die Spannung steigt, ob die Staaten unter der Ägide Saudi-Arabiens ihre Förderung drosseln, mischen sich Verklärung ihrer tatsächlichen Macht und mangelndes Verständnis ihrer Positionen. Die Opec hat nur dreimal ohne besondere äußere Umstände die Fördermengen ihrer Mitglieder erfolgreich koordiniert: 1986, 1998 und 2008. Sie hatte stets das Problem, Länder außerhalb der Organisation zum Mitmachen zu bewegen, so wie Russland, mit dem Saudi-Arabien, Venezuela und Katar jetzt eine Begrenzung ihrer Fördermengen erwägen.

Nicht zu unterschätzen: Die Opec kontrolliert mehr als 70 Prozent der heute bekannten Ölreserven

Blieb der Ölpreis lange Zeit hoch genug, provozierte das stets einen Anstieg der Produktion in Nicht-Opec-Staaten. Die Schocks der Siebzigerjahre brachten einen Boom in der Nordsee-Förderung, es kam fortan mehr Öl aus dem Golf von Mexiko und der Sowjetunion. Die Phase steigender Preise bis 2014 befeuerte den Schieferöl-Boom in den USA - und der hat das globale Machtgefüge auf absehbare Zeit wieder grundlegend verschoben. Die Opec steckt derweil in ihrem alten Dilemma: Kürzen die Länder die Förderung und treiben die Preise hoch, riskieren sie Marktanteile. Tun sie nichts, bricht einigen bald das Gefüge ihrer Staatsfinanzen zusammen. Machtlos wird die Opec so bald aber nicht sein: 70 Prozent der heute bekannten Ölreserven sind unter ihrer Kontrolle.

© SZ vom 18.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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