Rocket Internet:Samwer-Brüder planen den Raketenstart

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Die Samwers aus Berlin machen Tempo: Ihre Start-up-Fabrik Rocket Internet soll an die Börse. Doch ob das Geschäftsmodell zündet, ist noch unklar - und Anlegerschützer warnen bereits vor den Aktien.

Von Elisabeth Dostert, Harald Freiberger, Lutz Knappmann und Benedikt Müller

Sie sind jung und sie brauchen Geld. Ein paar Hundert Millionen. Noch nicht einmal für sich. Die Samwer-Brüder Marc, Oliver und Alexander brauchen das Geld für ihre Firmen. Sie gieren nach Gründungen. Zehn pro Jahr sollen es sein - im Schnitt. Ihre Start-up-Fabrik aus Berlin heißt Rocket Internet. Schon der Name sagt alles. Die Firma ist eine Art Raketenbasis. Sie schießt Firmen in die Wirtschaftswelt - nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Wer zaudert, verliert im weltweiten Wettstreit mit Giganten wie Amazon und Alibaba.

Nun planen die Brüder die ganz große Nummer. Sie wollen Rocket Internet an die Börse bringen. Neue Aktien aus einer Kapitalerhöhung sollen etwa 750 Millionen Euro bringen. Damit wäre Rocket Internet insgesamt rund fünf Milliarden Euro wert, mehr als die im Deutschen Aktienindex notierten Konzerne K+S und Lanxess. Schon im Oktober dürfte Rocket so weit sein. Tempo, Tempo.

"Wir würden nie mit dem öffentlichen Interesse spielen"

Die Samwer-Brüder sind tüchtige Geldsammler. Seit der Gründung von Rocket Internet 2007 hat die Firma Milliarden eingesammelt. Die Rolle des Außenministers in der Samwer-Welt kommt Oliver, dem Mittleren der Brüder zu: bisweilen charmant, häufig überzeugend und immer rastlos. Nach Angaben des schwedischen Investors Kinnevik, dem größten der fünf Verbündeten, haben Drittinvestoren fast drei Milliarden Euro in die Start-ups von Rocket Internet gesteckt. Die Gesellschaft selbst, an der das Samwer-Trio über seine Gesellschaft Global Founders die Mehrheit hält, spendierte 100 Millionen Euro.

Einen Wertpapierprospekt hat Rocket Internet bislang nicht veröffentlicht. Einen Termin dafür will der Pressesprecher nicht nennen. Für die Formalitäten, die Aufsichtsbehörde Bafin muss den Wertpapierprospekt billigen, reichen vier bis sechs Wochen. "Wir sind nicht Alibaba", versichert der Rocket-Sprecher: "Wir würden nie mit dem öffentlichen Interesse spielen." Der chinesische Amazon-Konkurrent hatte seinen Börsengang immer wieder angekündigt und macht jetzt erst ernst.

Die Aktien von Rocket sollen zunächst im Entry Standard der Deutschen Börse platziert werden, da sind die Transparenzvorschriften gering. Strengere Maßstäbe könne Rocket derzeit nicht erfüllen, räumt der Sprecher ein: "Wir sind noch komplexer als Zalando." Der Online-Händler, an dem Rocket Internet knapp ein Prozent hält und dessen Börsengang sich für Anfang Oktober abzeichnet, strebt in den Prime Standard mit deutlich höheren Veröffentlichungspflichten.

An dem von Rocket angestrebten Börsensegment stören sich auch Aktionärsschützer. Im Entry Standard gelistete Unternehmen müssen nicht jedes Quartal umfassend über den Geschäftsverlauf berichten, sondern nur einmal im Jahr und zum Halbjahr in einer deutlich abgespeckten Version. Auch die Adhoc-Pflicht fällt weg, wonach ein Unternehmen sofort über Nachrichten berichten muss, die den Kurs beeinflussen können. Und schließlich muss es auch nicht Geschäftsberichte vorweisen, die über drei Jahre zurückreichen.

Alles schön verschachtelt: Die Gründerfabrik Rocket Internet, ihre Firmen und Investoren. (Foto: SZ-Grafik)

"Es ist total ungewöhnlich, dass ein Unternehmen dieser Größenordnung in den Entry Standard geht", sagt Daniel Bauer von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK). Normalerweise befänden sich dort Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von 50 Millionen Euro, Rocket sei geschätzt 100-mal so groß. Anleger investierten in ein Unternehmen, "das einer Blackbox gleicht".

Genauso sieht es Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). "Normalerweise machen das Unternehmen, die einen gewissen Hang zur Intransparenz haben", sagt er. Es sei auch ein Zeichen von Nicht-Wertschätzung der Aktionäre. Der Grund dafür sei häufig, dass Unternehmen ab einer gewissen Größenordnung die Börse brauchen, um an Eigenkapital zu kommen und weiter zu wachsen.

Gleichzeitig wollten sie sich aber nicht in die Karten schauen lassen. Aktionärsschützer raten zur Vorsicht. "Privatanleger sollten eigentlich immer mindestens den Prime Standard wählen", sagt Kurz. Nur so hätten sie die Sicherheit, nicht "die Katze im Sack zu kaufen". Rocket Internet sei jetzt schon schwer zu durchschauen, und es werde nicht dadurch besser, dass es in einem intransparenten Segment notiere.

Das Tempo, mit dem die Samwer-Gründung an die Börse prescht, erinnert an die Zeiten des Neuen Marktes Ende des vergangenen Jahrtausends, als sehr junge Firmen von Anlegern Millionen einsammelten. Ein Unternehmen wie EM.TV der Brüder Thomas und Florian Haffa, die auf der ersten Pressekonferenz nicht viel mehr vorzuzeigen hatten als den Frosch Kermit aus der Muppet-Show, war an der Börse zeitweise um die zehn Milliarden Euro wert. Noch schneller als der Aufstieg folgte dann der Absturz.

Der Anleger muss wissen, ob ihm die wenigen Informationen reichen

Für Aktionärsschützer Kurz ist noch nicht ausgemacht, ob das Geschäftsmodell von Rocket Internet zündet. "Es ist nicht zu erkennen, dass bei den Beteiligungen ein ähnlich erfolgreiches Unternehmen dabei ist wie Zalando", sagt er. Anleger sollten sich bewusst sein, dass es sich um ein Risikoinvestment handelt, bei dem sie Geld verlieren können. Sehr viel Geld.

Grundsätzlich mache das Unternehmen nichts Verbotenes. Der Börsenprospekt werde auf die Risiken auch umfassend hinweisen. "Es ist eher das Problem des Anlegers", sagt Bauer. "Er muss wissen, ob ihm die Informationen reichen, die man ihm gibt." Künftig wolle Rocket transparenter werden, sagt der Rocket-Sprecher. Denn binnen 18 bis 24 Monaten ist ein Listing im Prime Standard geplant. Dort locken noch kapitalkräftigere Investoren, denn nur wer in diesem Börsensegment geführt wird, darf in den Dax, MDax, TecDax oder SDax aufgenommen werden. Warten will Rocket Internet nicht.

Im Portfolio der Beteiligungsfirma stecken rund 120 Unternehmen, etwa 70 davon sind selbst gegründet. Eine komplette Liste der Beteiligungen verweigert Rocket. Zu den "proven winners" zählen Firmen wie der Möbelhändler Home 24. Wobei die Einstufung als "Gewinner" nichts über die Ertragslage der Unternehmen aussagt: Von positiven Ergebnissen ist das Gros der Gründungen meilenweit entfernt. Investor Kinnevik zufolge setzten die zehn größten Rocket-Firmen 2013 insgesamt 743 Millionen Euro um, ihre operativen Verluste summierten sich auf 432 Millionen.

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Die Strategie der Samwers ist für alle ihre Gründungen die gleiche: Der Markt muss mindestens eine Milliarde Dollar groß sein. Aus Märkten, in denen wie in China und den USA die Konkurrenz bereits groß ist, hält sich Rocket lieber raus. Das Umsatzpotenzial des Start-ups müsse bei mindestens 100 Millionen Euro liegen, das Geschäftsmodell sich bewährt haben, heißt es in einer Darstellung des "Firmenuniversums". Mit anderen Worten: Um ihr eigenes Risiko zu mindern, kopiert Rocket Internet andere Firmen.

Schon Alando, die erste Firma der Samwers, die sie 1999 zusammen mit Jörg Rheinboldt, Max Finger und Karel Dörner gegründet haben, war eine Kopie, ein Ebay-Plagiat. An diesem Prinzip haben die Samwers nie etwas geändert. Sie kopieren andere und sie kopieren sich selbst. Dafiti und Zalora machen die gleichen Geschäfte wie Zalando, nur in anderen Regionen der Welt.

Auch die Partnervermittlung im Internet haben die Samwers nicht selbst erfunden. Allerdings ist bei einem Portal wie E-Darling auch gar nicht so leicht zu durchschauen, dass die Samwers dahinterstecken. E-Darling etwa wird von der Rocket-Beteiligung Affinitas GmbH betrieben. Alles schön verschachtelt. Schließlich geht es den Raketen-Brüdern nicht um Transparenz. Es geht um Tempo.

© SZ vom 13.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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