Süddeutsche Zeitung

Rocket Internet:Kurs halbiert, Aktie kassiert

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Rocket Internet galt als große Börsenhoffnung. Doch der Wert der Unternehmensschmiede sank und sank. Nun will sich die Firma von der Börse zurückziehen. Anlegerschützer sind empört.

Von Victor Gojdka, Frankfurt

Vielleicht hätten Anleger bereits an jenem 2. Oktober 2014 ahnen können, wie es enden würde. Damals, als der bekannte Investor Oliver Samwer mit seiner Unternehmensschmiede Rocket Internet an die Börse ging. Als Banken alles ausreizten, um den ersten Kurs der Aktie nach oben zu drücken. Als sich die Samwer-Brüder schnell in die abgeschirmte Lounge zurückzogen. Und als die intelligente Glasfront der Lobby von Transparenz-Optik auf Milchglas-Look schaltete. Dass dann sogar noch die Feuersirene durch den Börsensaal röhrte? Aus heutiger Sicht wohl ein Alarmzeichen.

Sechs Jahre nach seinem Börsendebüt plant Rocket Internet nun nämlich die Rolle rückwärts: runter vom Parkett. Geht es nach den Unternehmenslenkern der Berliner Start-up-Schmiede, soll das Unternehmen künftig vom Kurszettel der Börse verschwinden. Das Unternehmen dürfte sich damit der ungeliebten Transparenzpflichten entledigen wollen - stößt Privatanleger allerdings vor den Kopf. "Beim Börsengang hat man das Geld der Anleger noch gerne genommen, doch jetzt will man sie nicht mehr haben", sagt Aktionärsvertreter Michael Kunert von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK). "Das ist eine bodenlose Frechheit."

Viele Unternehmen hadern mit den harten Börsenregeln

Dass das Börsen-Aus der Firma wohl unweigerlich bevorstehen dürfte, gilt als sicher - auch wenn auf einer Hauptversammlung am 24. September formell noch die Anleger zustimmen müssen. Doch der Plural "die Anleger" entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Singular: Denn Unternehmenslenker Oliver Samwer und eine ihm nahestehende Gesellschaft besitzen knapp 50 Prozent der Rocket-Anteile. Bei Rocket, so sehen es viele, wird gemacht, was Samwer will.

2014 war der Unternehmenslenker noch erpicht auf die Börse, schließlich konnte er so rund anderthalb Milliarden Euro einnehmen. Geld für mögliche Investitionen in Start-ups, das zu dieser Zeit in Deutschland noch schwierig aufzutreiben war. Doch inzwischen gibt es auch hierzulande zahlreiche Geldgeber mit tiefen Taschen. "Ein hinreichender Zugang zu Kapital ist auch außerhalb der Börse gesichert", schreibt das Unternehmen in einer Mitteilung. Zumal der Rocket-Chef kürzlich selbst zugab, "mehr Kapital als Ideen" zu haben. Doch Samwer dürfte mit der Börse auch aktiv gefremdelt haben: Formalia, Veröffentlichungspflichten und Transparenzvorgaben? Mit diesen Börsenbedingungen hadern viele Unternehmen am Parkett. In das Konzept einer laut Beobachtern eher verschwiegenen Unternehmensschmiede mag es noch weniger passen. "Die haben immer schon kein Wort mehr gesagt als sie mussten", sagt SdK-Mann Kunert.

"Eine Menge verbrannter Erde"

Was Anlegerschützer irritiert, sind vor allem zwei Zahlen: Zu einem Kurs von 42,50 Euro gelang Rocket Internet vor sechs Jahren der Sprung aufs Parkett. Um die Gesellschaft nun von der Börse nehmen zu können, wollen sie den Anlegern jedoch weniger als die Hälfte davon bieten: 18,57 Euro. Juristisch müssen Unternehmen ihren Anlegern in solchen Fällen bloß einen Durchschnittskurs der vergangenen sechs Monate offerieren. "Und Rocket Internet zahlt keinen einzigen Cent mehr", sagt Privatinvestor Christian Röhl, der sich für die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz intensiv mit Rocket Internet auseinandergesetzt hat.

Besonders pikant: Als die Berliner ihr mögliches Rückkaufangebot skizzierten, offerierten sie Anlegern sogar weniger als den aktuellen Kurs. So waren die Titel am Montagabend zu 18,95 Euro aus dem Handel gegangen. Das Unternehmen stellte den Anlegern am Dienstagmorgen jedoch bloß 18,57 Euro in Aussicht. "Samwer hinterlässt damit eine Menge verbrannte Erde", sagt Anlegerschützer Kunert.

Er vermutet hinter dem umstrittenen Manöver auch eine sinistre Absicht des Tech-Investors: Das Unternehmen könnte nämlich jede Aktie, die Anleger nun an die Gesellschaft zurückverkaufen, gewissermaßen absaugen. Mit jeder abgesaugten Aktie würde der Investor Samwer ein prozentual größeres Kuchenstück von Rocket Internet besitzen. "Man verschiebt damit gewissermaßen Anteile von den Aktionären in die Taschen von Herrn Samwer", kritisiert Anlegerschützer Kunert.

Bei Geisteraktien müssen Anleger kreativ werden

Privatanleger haben nun mehrere Optionen: Sie können sich theoretisch an der Börse zu einem Kurs von aktuell 18,80 Euro von den Papieren verabschieden. Sollte die Rocket-Hauptversammlung den Börsenabschied offiziell absegnen, können sie die Papiere auch zu 18,57 Euro an die Gesellschaft zurückgeben.

Dritte Variante: Sie können schlicht auch gar nicht reagieren und die eigenen Aktien behalten. "Das ist ganz wichtig zu verstehen", sagt Investor Christian Röhl. "Ein Börsen-Aus ist keine Enteignung." Wenn Anleger ihre Anteile an Rocket-Internet behalten, gehört ihnen weiter ein Teil der Firma. Sie könnten zum Beispiel darauf spekulieren, ob Samwer irgendwann weitere Aktien kaufen will und dafür einen besseren Preis bietet. Sollte das jedoch nicht der Fall sein, wird es für die Anleger schwierig. Unnotierte Aktien lassen sich ohne offiziellen Börsenhandel deutlich schlechter an andere Interessenten weiterverkaufen. "Anleger müssen dann gewissermaßen jemanden auf Ebay finden", sagt Anlegerschützer Kunert. Oder sich auf abseitigen Plattformen umtun, auf denen solche Geisteraktien manchmal gehandelt werden. Das Problem: Theoretisch dürften bereits jetzt viele Großinvestoren ihre Anteile abgeben müssen. Mitunter dürfen sie nämlich gar keine Aktien halten, die nicht mehr offiziell an der Börse handelbar sind. Sollte Samwer irgendwann mehr als 95 Prozent aller Aktien des Unternehmens besitzen, könnte er mit einem sogenannten Squeeze-out die restlichen Anteilseigner gar aus der Firma drängen - dann bliebe ihnen wohl endgültig keine Wahl mehr.

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Quelle:
SZ vom 02.09.2020
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