Simon Haddadin, 33, ist nicht allein. Im kleinen Besprechungsraum auf der Industriemesse in Hannover steht Panda, das jüngste Robotermodell des Münchner Start-ups Franka Emika. Eine Gruppe um Simon Haddadin, 33, und seinen Bruder Sami, 38, hat die Firma 2016 gegründet. Sie will Roboter herstellen, die jeder Mensch nutzen kann, intuitiv, ohne Programmierkenntnisse. Und sie sollen in Deutschland hergestellt werden.
SZ: Herr Haddadin, Ihre Mutter stammt aus Finnland, Ihr Vater aus Jordanien, Sie haben im Ausland studiert. Woher rührt eigentlich Ihr Faible für Deutschland?
Simon Haddadin: Zum Leben ist das der schönste Ort der Welt. Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen. Wir genießen viele Freiheiten, die es in anderen Ländern nicht gibt. Ich lebe in München, und ich kann abends rausgehen, wann und wohin ich will. Meine Eltern haben Unfassbares geleistet in einer schwierigen Zeit. Sie haben mir und meinen beiden Geschwistern stets vermittelt, dass uns dieses Land viel gegeben hat. Viele Leute schimpfen auf Deutschland, aber waren nie woanders. Wenn man die Welt gesehen hat und nicht nur die schönen Ecken, dann weiß man, wie schön es in Deutschland und in Europa ist. Ich bin überzeugter Europäer. Aber man darf sich nicht auf seinem Wohlstand ausruhen.
Was fehlt?
Klare Ziele.
Was wäre ein gutes Ziel für Deutschland?
Ich nenne ein Ziel für München. In zehn Jahren sollte die Stadt das für Robotik sein, was das Silicon Valley für IT-Konzerne ist.
Wie soll das gehen?
Warum funktioniert das Silicon Valley?
Erklären Sie es?
Weil es starke Universitäten gibt. Ohne Berkeley und Stanford, wo die klügsten Köpfe der Welt zusammenkommen, gäbe es das Silicon Valley nicht. Die bayerische Staatsregierung hat das Potenzial der Robotik mittlerweile erkannt und an der TU München die Munich School of Robotics and Machine Intelligence gegründet, die mein Bruder Sami leitet. Auf der Forschungsebene ist der Grundstein gelegt.
Was muss nun geschehen?
Start-ups müssen stärker gefördert werden. Es kann nicht sein, dass innovative Kollegen, die jahrelang ein Forschungsprojekt umgesetzt und nun ein cooles Produkt haben und sogar eine Ausgründung planen, mehr als ein Jahr mit ihrer Uni über Lizenzen verhandeln müssen. Das muss zack, zack gehen.
Woran mangelt es noch in Deutschland?
Geld. Es ist viel Geld da, aber es wird falsch investiert. Die Leute stecken ihr Geld lieber in Immobilien als in Hightech.
Gibt es noch andere Ärgernisse?
Wir haben in Deutschland große Konzerne, die historisch sehr viel geleistet haben, aber die meisten sind nicht wirklich offen. Sie übernehmen oder beteiligen sich gerne an Start-ups, um sie dann vom Markt zu nehmen. Wie viele Start-ups stammen denn aus Deutschland, die international so anerkannt werden, wie derzeit Franka Emika? Unser Roboter Panda hat es im November sogar auf die Titelseite des Magazins Time geschafft, als eine der 50 besten Innovationen des Jahres 2018.
Zalando ist auch ziemlich bekannt!
Ist das ein Technologieunternehmen? Aus meiner Sicht ist dies eine Handelsplattform. Deutschland ist ein Technologiestandort. Seit SAP gibt es meines Wissens nach keine Technologiegründung, die international so wahrgenommen wird, wie derzeit Franka Emika. Das ist schon ein Problem für Deutschland.
Mit Voith hat Franka Emika seit fast einem Jahr auch einen Konzern als Investor, und Sie haben ein Gemeinschaftsunternehmen Voith Robotics. Wie liefen die Gespräche mit Investoren? Ist Franka Emika ein Unicorn, gab es Bewertungen von mehr als einer Milliarde Dollar?
Gab es. Aber wir haben uns für Voith entschieden, weil wir ähnlich ticken. Wir sind Familienunternehmen. Wir haben mehr als 150 Gespräche geführt. Es gab Leute, die mehr geboten haben.
Was soll denn aus Franka Emika mal werden, so was wie Siemens oder MAN?
Das Apple der Robotik. Aber uns geht es nicht um Geld und schiere Größe. Wir haben nahezu 150 Mitarbeiter, für sie und ihre Familien macht man Umsatz und Gewinn. Wir haben ein klares Ziel: Wir wollen Robotik für alle möglich machen. Die Menschen in der Produktion sollen unsere Roboter wie einen Schrauber oder einen Hammer benutzen, der ihnen das Leben leichter macht. Der nächste Schritt sind die Krankenhäuser, da fehlt es an Personal, und das vorhandene ist überlastet. Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Ich bin Arzt und habe einige Jahre im Krankenhaus gearbeitet, um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Auf Dauer war das nichts für mich.
Warum?
Ich mochte den Umgang mit Patienten. Aber als kleines Rädchen in so einer Maschinerie, kann man nichts bewegen.
Viele Menschen fürchten, dass die Roboter sie nicht nur entlasten, sondern ihnen die Arbeit wegnehmen!
In der Vergangenheit haben neue Technologien meist mehr Jobs geschaffen als gekostet. Allein in unserem Ökosystem, bei Franka Emika, in der Produktion im Allgäu, und bei Zulieferern sind mehr als 400 Arbeitsplätze in Deutschland entstanden. Darüber hinaus wurden bereits einige Tausend neue Jobs weltweit um unsere Technologie geschaffen. Im vergangenen Jahr wurde die Schließung der letzten Computerfabrik Europas bekanntgegeben. Wir sprechen alle über Digitalisierung und sind nicht mal mehr in der Lage, Computer zu bauen. Das ist die Realität. Der Standort hätte erhalten werden können, wenn die Fabrik stärker automatisiert worden wäre. Wenn ein Facharbeiter Herr über fünf oder mehr Roboter ist, lassen sich höhere Stückzahlen erreichen, und dann ist ein Hochlohnland wie Deutschland wettbewerbsfähig. Nun wird dieser Standort geschlossen, und es fallen 1500 Arbeitsplätze ersatzlos weg. Man muss den Leuten die Angst nehmen. Unsere Roboter machen ihnen das Leben leichter und entlasten sie von schweren und gefährlichen Arbeiten.
Wozu ist dann der Mensch noch da?
Sicher nicht, um acht Stunden am Tag einen Stecker in das gleiche Loch zu stecken oder andere stupide Arbeiten zu erledigen, sondern um kreativ zu sein - Mensch zu sein. Smartphones oder Textilien, beispielsweise, werden in Niedriglohnländern teilweise unter menschenunwürdigen Bedingungen hergestellt. Wozu muss jemand acht Stunden am Tag monotone Arbeiten erledigen?
Weil er das Geld braucht?
Genau: Wir sind die Sklaven des Geldes. Das kann nicht das Ziel sein. Menschen wollen kreativ sein, Roboter schaffen ihnen Freiräume.
Wie viele Stunden arbeiten Sie?
Ich arbeite gar nicht, ich mache das, was ich liebe. Ich verfolge einen Traum.
Kommen in Ihrem Traum auch die Konkurrenten vor? Wer ist Ihr schärfster?
Wir selbst. Ich habe mir auf der Hannover Messe viele Roboterhersteller angesehen. Bei den Großen habe ich wenig Neues gesehen, es gibt ein paar kleinere Firmen, die versuchen, Systeme wie das unsrige zu entwickeln. Aber unsere Technologie ist schon extrem gut, aber auch komplex.
Worin besteht denn die Komplexität?
Man sieht es ihm nicht an, aber unser Panda besteht aus mehr als 9000 Komponenten. Das Zusammenspiel von Sensorik, Elektronik und Antriebstechnologien in einem System und gleichzeitig ein irre gutes Roboterbetriebssystem, welches jeder versteht und nutzen kann, das ist die Kunst. Das Geniale ist doch, schwierige Dinge einfach zu machen. Wir sollten nicht versuchen, den großen Mächten in der IT und Big Data nachzulaufen ...
... Sie meinen Google, Amazon oder Alibaba ...
Zum Beispiel, die können wir unmöglich einholen. Sie haben eine Marktmacht, die lässt sich nicht mehr verdrängen.
Was können deutsche Firmen?
Alle reden über künstliche Intelligenz in der Produktion, aber eigentlich meinen sie Maschinenintelligenz. Man stattet Maschinen mit Sensoren und Algorithmik aus, damit sie die physikalische Welt erlernen und Dinge erledigen können, die sie vorher nicht konnten. Dann spricht man von maschinellem Lernen.
Ein Beispiel, bitte.
In Hannover haben wir einen Roboter gezeigt, der mit zwei Dutzend Robotern in München über LTE, den Mobilfunkstandard der 3. Generation, vernetzt ist. Alle versuchen, einen Schlüssel in ein Schloss zu stecken und tauschen sich darüber aus, welche Strategien funktionieren und welche nicht. So lernt der eine vom anderen, und am Schluss können alle Roboter den Schlüssel perfekt ins Schloss stecken. Das ist Maschinenintelligenz, basierend auf smarter Mechatronik. Ohne die bringt die intelligenteste Software nichts. Die Maschine lernt also aus Erfahrung und entwickelt keine eigenen Ideen, denn die Maschine ist eben kein Mensch und hat auch kein Bewusstsein.
Was kostet ein Roboter?
Stand heute kostet die reine Hardware 10 300 Euro. Hinzu kommen wie beim Smartphone und je nach Bedarf, Roboter-Apps. Diese variieren im Preis - von kostenlos bis einige Tausend Euro. Sie verleihen dem Roboter zusätzliche Fähigkeiten.
Warum nehmen Sie nicht mehr, wenn die doch so toll sind?
Es gibt Konkurrenten, die würden 50 000 oder 100 000 Euro nehmen. Aber wir wollen Roboter möglichst vielen Menschen und Firmen zugänglich machen. Wir bieten eine Plattform, bestehend aus Roboter, Betriebssystem, Roboter-Apps und "Franka World", eine Cloud für Maschinenintelligenz. Diese Plattform kann der Kunde mit seinen eigenen Applikationen aufrüsten und in seine Produktion eingliedern. Große Unternehmen mit eigener Automatisierungsabteilung machen das selbst, andere suchen sich einen Partner.
Wie viele Roboter haben Sie vergangenes Jahr verkauft?
Ausgeliefert haben wir 1500.
An wen?
Erste Kunden waren Forschungseinrichtungen und Universitäten. Im Berliner Universitätsklinikum Charité zum Beispiel stehen unsere Roboter am Bett und helfen Leuten, die an einer Erkrankung des Nervensystems leiden, im Alltag. Mittlerweile findet man unsere Roboter in Schulen, weltweiten Universitäten, bei Mittelständlern und Konzernen. Amazon Web Services, Microsoft und SAP haben auch welche.
Machen Sie Gewinn?
Es geht uns gut. Vor allem, wenn man bedenkt, dass über 70 Prozent der Komponenten aus Deutschland bezogen werden, knapp 20 aus der Europäischen Union und nur rund zehn Prozent von internationalen Lieferanten. Wir lassen die Roboter sogar im Allgäu produzieren. Unsere Roboter sind durch und durch Made in Germany.
Simon Haddadin wurde 1986 in Bad Oeynhausen als jüngstes von drei Kindern geboren. Sein Vater ist Arzt, die Mutter Krankenschwester. Haddadin studierte Medizin. Schon in seiner Promotion beschäftigte er sich mit der Beziehung von Mensch und Maschine und der Frage: Wie müssen Roboter sein, um den Menschen nicht zu gefährden? 2016 gründete eine Gruppe um Simon Haddadin und seinen Bruder Sami die Franka Emika GmbH . Gemeinsam mit Mitgründer Sven Parusel erhielten sie 2017 den Deutschen Zukunftspreis. Ein Teil des Geldes floss in die Stiftung Robokind. Mit ihrer ersten Initiative Robonatives will sie "jedermann" Wissen in Robotik und künstliche Intelligenz vermitteln. Im Stiftungsrat sitzt auch Haddadins Schwester Jasmin, sie ist Zahnärztin.