Süddeutsche Zeitung

Riskante Anlageprodukte:Commerzbank muss hohen Schadensersatz leisten

Banken geben ihren Anlageprodukten gern Namen wie "Wachstum" oder "Chance". Damit verschleiern sie Risiken, entschied nun ein Gericht. Es verurteilte die Commerzbank zu hohem Schadensersatz.

Von Harald Freiberger, Frankfurt

Wer je ein Beratungsgespräch bei einer Bank absolviert hat, kennt die Begriffe. Kreditinstitute sind erfindungsreich, wenn es darum geht, die Produkte zu beschreiben, die sie ihren Kunden verkaufen. Die Anlagestrategien heißen zum Beispiel, je nach Risikoneigung des Anlegers, "Wachstum", "Chance" oder ähnlich. Gesetzliche Vorschriften dazu gibt es bisher nicht. Die Banken können die Begriffe fast nach Belieben verwenden.

Das könnte sich nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart (Az. 9 U 52/13) ändern. Es verurteilte die Commerzbank, einem Kunden einen Verlust von 44.453,52 Euro plus Zinsen zu ersetzen, den er 2011 mit seiner Geldanlage erlitten hatte. Sie war in die Strategie "Wachstum" eingestuft, die dritthöchste von vier Risikoklassen der Bank. Diese war abgegrenzt von der noch riskanteren Klasse "Chance".

Beide Begriffe spielen in der Urteilsbegründung eine wichtige Rolle. "Entscheidend ist, dass das Gericht Begriffe mit Leben ausgefüllt hat, die im Gesetz bisher nicht näher definiert sind", sagt Peter Gundermann von der Tübinger Kanzlei Tilp Rechtsanwalts GmbH, der den Kläger vertritt. Demnach seien solche Begriffe auslegungsbedürftig, wenn die Bank sie verwende. Der Maßstab dafür, so urteilten die Richter, ist "der Anlegerhorizont".

Nach Gundermanns Ansicht haben damit erstmals Richter die Begriffe für Risikokategorien kritisch hinterfragt, die Banken regelmäßig verwenden. "Das Gericht stellt eine Falschberatung fest, weil die verwendeten Strategiebegriffe ,Wachstum' und ,Chance' dem Anleger ein zu geringes Risiko suggerierten", sagt er. Dies könne weitreichende Folgen für andere Anlageverfahren haben.

"Ich gehe davon aus, dass vielen Bankkunden unter Verwendung auslegungsbedürftiger Begriffe zu Risikokategorien nicht zu ihnen passende Strategien und Musterdepots empfohlen wurden", sagt der Anwalt. Das Urteil mache solchen Anlegern Hoffnung.

Der konkrete Fall: Beim Kläger lief im Sommer 2011 die hohe Anlagesumme von 750.000 Euro bei einem anderen Institut aus. Er ließ sich von der Commerzbank beraten und vereinbarte, dass das Geld unter der Strategie "Wachstum" zu 60 Prozent in Einzelaktien und zu 40 Prozent in konservative Anlagen investiert werden soll. Die Bank legte es in sechs Aktienfonds und in vier Rentenfonds an.

Nach fünf Wochen stellte der Mann fest, dass bereits ein Verlust von mehr als 40.000 Euro aufgelaufen war - es war im August 2011, als wegen der Euro-Schuldenkrise die Börsen einbrachen. Der Kunde war darüber entsetzt, weil das Portfolio, das ihm die Bank zusammenstellte, nicht seinen Risikovorstellungen entsprach. Am 20. August forderte er von der Bank, die Wertpapierkäufe rückgängig zu machen und ihm die ursprüngliche Anlagesumme gutzuschreiben.

Es kam zum Prozess. Im März 2013 gab das Landgericht Hechingen noch der Commerzbank Recht. Der Kläger ging in Berufung, nun entschied das Oberlandesgericht Stuttgart anders. "Die Risiken wurden tatsächlich als zu niedrig dargestellt, es befanden sich hochriskante Papiere im Portfolio", sagt Anwalt Gundermann. So habe die Bank den Eindruck erweckt, dass ein bestimmter Rentenfonds wenig riskant und den 40 Prozent der konservativen Anlagen zuzurechnen sei, die der Kläger für sein Portfolio vorgab.

Tatsächlich aber habe sich der Rentenfonds in der höchsten Risikoklasse befunden, weil mit ihm sehr hohe Kursverluste möglich waren. Die Folgerung des Gerichts: Die Beratung der Bank war "nicht anlegergerecht" - unter Berücksichtigung des Wissensstands des Anlegers, seiner finanziellen Situation, seiner Risikobereitschaft und des konkreten Anlageziels hinsichtlich Sicherheit oder spekulativem Charakter.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Zwar ließ das Oberlandesgericht eine Revision nicht zu, die Commerzbank kann sich diese aber beim Bundesgerichtshof mit einer Nichtzulassungsbeschwerde noch erstreiten. Anwalt Gundermann ist "zuversichtlich, dass das Urteil Bestand hat".

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SZ vom 15.01.2014/mahu
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