Risikokapital:Geld für den Tag X

Risikokapital: Jonas Schmieder hatte schon viele gute Ideen. Der Unternehmer orientiert sich mehr an Möglichkeiten und dem Zeitgeist als an persönlichen Vorlieben.

Jonas Schmieder hatte schon viele gute Ideen. Der Unternehmer orientiert sich mehr an Möglichkeiten und dem Zeitgeist als an persönlichen Vorlieben.

(Foto: privat)

Jonas Schmieder hat ein Start-up für den Onlineverkauf von Inkontinenzprodukten gegründet. Viel Zeit steckt er regelmäßig in die Suche nach neuen Investoren.

Von Marcel Grzanna

Es begann alles mit dem Rüeblikuchen. Jonas Schmieder war überzeugt davon, dass ihn keiner besser machte als er selbst. Also klapperte er als 14-Jähriger die Cafés seiner Heimatstadt Freiburg ab und schlug den Betreibern vor, sie mögen sein Backwerk doch bitte auf die Karte nehmen. Der Teenager war so überzeugt von der Qualität seines Kuchens, dass er nicht locker ließ, selbst nachdem es anfangs nur Absagen hagelte. Er kehrte mit Kostproben in die Cafés zurück und bat darum, man möge erst einmal probieren und danach entscheiden. Der Plan ging auf. Sein Rüeblikuchen, anderswo in Deutschland auch Karottenkuchen genannt, wurde zum Renner. Bis zu 20 Torten pro Woche verkaufte er an die Gastronomen, alle gebacken in Mutters Küche.

Etwa ein Jahr lang ging das, bis die Schule ihren Tribut forderte und der heimische Ofen kalt blieb, um den Abschluss nicht zu gefährden. Von Schmieders Berufsplänen, einmal Bäcker zu werden, ist ein Vierteljahrhundert später zwar nichts mehr übrig geblieben. Stattdessen gründete der 38-Jährige 2014 die Firma Insenio, ein Onlineversand für Inkontinenzprodukte mit Sitz in Berlin. Dennoch sind zwei Dinge hängen geblieben, die den Unternehmer bis heute antreiben. "Es war prägend für mich, die ersten Kuchen zu verkaufen und zu sehen wie die Nachfrage wächst. Auch das Gefühl, dass ich mehr Geld verdiente, je mehr ich verkaufte. Das lag in meiner Hand. Als Zeitungsbote konnte ich vorher nur meinen Zeitaufwand optimieren, nicht meinen Verdienst", sagt Schmieder.

"Die meisten Banken sind sehr zögerlich bei der Kreditvergabe an Gründer."

Dass er heute in einer ganz anderen Branche arbeitet, liegt auch in den damaligen Erfahrungen begründet. Und Schmieder orientiert sich mehr an Möglichkeiten und Zeitgeist, weniger an persönlichen Vorlieben. Kurz nach dem Studium eröffnete er eine Tauschbörse für Handyverträge. Das Projekt brach er nach einer Weile ab, weil ihm ein plötzlicher Hype um die Prepaid-Karte in die Quere kam und die Geschäftsidee unterwanderte. Stattdessen heuerte Schmieder beim Klambt-Verlag an, wo er bis zu seinem Entschluss zur Selbständigkeit unter anderem die digitale Unternehmensentwicklung leitete.

In den Jahren bei Klambt verfolgte er die Entwicklung zahlreicher Branchen aus nächster Nähe. Es zeichnete sich ab, dass Gesundheit ein immer größeres Thema werden würde. Und Digitalisierung verstand sich fast schon von selbst für einen, der in den Achtzigerjahren geboren wurde. Also entschied sich Schmieder dafür, eine Beratungsfirma für pflegende Angehörige aufzubauen. Er sprach bei zahlreichen Banken vor, um sich die Anschubfinanzierung zu sichern. Es glich einem Spießrutenlauf. "Die meisten Banken sind sehr zögerlich bei der Kreditvergabe an Gründer, die mit ihrem Geschäftsmodell am Anfang stehen", sagt er. Nur eine einzige Bank schenkte ihm schließlich das nötige Vertrauen und lieh im etwa zwei Drittel des Eigenkapitals von insgesamt 150 000 Euro.

"Beim Aufbau eines E-Commerce-Geschäfts benötigt man viel Kapital."

Das endgültige Geschäftsmodell fiel ihm eines Morgens in einem Berliner Café ein. Der Wirtschaftsaufmacher einer Tageszeitung prophezeite ein Milliardengeschäft mit Inkontinenzprodukten für die Zukunft. Der demografische Wandel sprach für diese Prognose. Schmieder konzentrierte sich fortan auf das Anbieten von Produkten für Inkontinenz. Doch er teilte das Risiko und holte sich Investoren ins Haus, seinen früheren Arbeitgeber Klambt zuallererst. Später folgte ein Logistikunternehmen, ein internationales Medienhaus sowie ein großes Handelsunternehmen. Insgesamt sammelte der Unternehmer rund zwei Millionen Euro ein.

"Die Finanzierungen waren wichtige Schritte für uns. Beim Aufbau eines E-Commerce-Geschäfts benötigt man viel Kapital", sagt er. Waren, die im Lager liegen und auf Abverkauf warten, binden Kapital. Zudem muss man gerade anfangs viel Geld in Marketing investieren. Nicht zuletzt fließt auch ein nicht unerheblicher Anteil in die Personalkosten. Schmieder profitierte von persönlichen Kontakten bei der Suche nach Investoren. Doch mit einer Finanzierungsrunde war der Kapitalbedarf nicht gestillt, und er begann, Klinken zu putzen, um weitere Investoren zu finden. Er bat schriftlich um die Gelegenheit zu einem persönlichen Gespräch. "In so einer Situation muss jedes Wort passen, um das Interesse von potenziellen Partnern zu gewinnen", sagt der Unternehmer. Der Zeitaufwand war enorm. Von zehn Gesprächen entwickelten sich vielleicht drei oder vier zu einem weiteren Austausch. "Und am Ende bleiben dann nur ein oder allenfalls zwei übrig, deren Interesse bestehen bleibt." Die Interessenten klopften nicht nur Schmieders Businessplan genauestens ab. Sie vergewisserten sich auch bei Geschäftspartnern über dessen Integrität.

Schmieder studierte Wirtschaftsrecht und kennt sich in den Grundlagen der Gesellschafterbeteiligung aus. Doch in den Detailfragen war auch er überfordert und benötigte juristische Unterstützung. Während das operative Geschäft weiterlief, musste der Gründer hinter den Kulissen dafür sorgen, dass genügend neues Kapital zur Verfügung stand. Zu Beginn eines Geschäftsjahres war Schmieder bewusst, dass er im Dezember eine Million Euro benötigte. Jede Finanzierungsrunde nimmt rund vier bis sechs Monate Zeit in Anspruch. Als dann ein fest eingeplanter Investor kurzfristig absprang, suchte Schmieder fieberhaft, aber erfolgreich nach Alternativen. "Wenn dann etwas auf der Zielgeraden schiefläuft, kann es ganz schön eng werden mit der Liquidität. Das gut gefüllte Bankkonto oder die Pleite liegen in solchen Phasen oft nur einen Hauch voneinander entfernt", sagt Schmieder.

2018 machte Insenio bereits einen Umsatz von mehr als fünf Millionen Euro. Statt 300 Produkte wie vor fünf Jahren bietet die Plattform heute 3500 Produkte an. Auch Eigenmarken wie Active-Pro oder Care-Dry tragen schon rund ein Sechstel zum Umsatz bei. Die hauseigenen Produkte lässt das Unternehmen in Tschechien, der Türkei und in China produzieren. Sie sollen langfristig eine Ergänzung des Sortiments bleiben.

Aus dem Start-up, das einst selbst nach Investoren suchte, ist inzwischen sogar ein Einkäufer geworden, der sich mit der Übernahme eines Schweizer Anbieters auch jenseits der Landesgrenzen vergrößert hat. Neben dem Bereich Inkontinenz setzt das Unternehmen nun auf ein weiteres Tabuthema: Impotenz. Auch arbeitet Schmieder an der Zusammenarbeit mit weiteren Vertriebspartnern im Offline-Bereich. Inzwischen hat Insenio die Gewinnzone erreicht, was künftige mögliche Finanzierungen für das Wachstum und Übernahmen leichter machen wird.

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