Süddeutsche Zeitung

Videokonferenzen im Home-Office:Mensch, siehst du frisch aus!

Lesezeit: 3 min

In immer mehr Heimbüros taucht jenes weiche Leuchten auf, das bislang vor allem Influencer erstrahlen ließ. Macht das Ring Light jeden schön?

Von Michael Moorstedt

Es passiert ja immer wieder, dass Objekte eine absolute Umdeutung ihres Daseinszwecks erleben. Ein SUV aus schwäbischer Herkunft etwa galt vor nicht allzu langer Zeit als Krönung deutscher Ingenieurskunst. Heute ist es vor allem Symbol einer überkommenen Weltsicht.

Das aktuellste Beispiel dieser antithetischen Dinge ist das Ring Light. Jene kreisförmigen Lampen, die in immer mehr Heimbüros auftauchen und dazu dienen, bei der Videokonferenz in möglichst gutem Licht zu erscheinen. Bislang waren die semiprofessionellen Lichtanlagen vor allem als Werkzeug eitler Influencer bekannt, die darauf bestehen, dass ihre Wangenknochen auch in jeder noch so banalen Lebenslage perfekt ausgeleuchtet sind. Instagram-Stars und Youtube-Persönlichkeiten gehörten zu den Pionieren der Technik und ließen ihr Publikum darüber rätseln, wie sie es nur schaffen, jederzeit so frisch auszusehen.

Nach beinahe einem Jahr mit der Pandemie und einer fast ebenso langen Zeit im Home-Office greifen nun immer mehr gewöhnliche Menschen auf die Profiausrüstung zurück. Das scheint auch dringend nötig zu sein. Denn das platte künstliche Licht, das seinen momentanen Lebensraum erhellt, lässt den Heimarbeiter in seinem Videofensterchen müde und leicht kränklich aussehen. Konturen verschwimmen, die Haut wirkt fettig, und die Gesichtsfarbe wird grau eingefärbt. Eine Assoziation, die man wohl gerade in diesen Tagen lieber vermeiden will. Da hilft auch der lustigste virtuelle Hintergrund nicht, den die Software über das heimische Bücherregal im improvisierten Büro blendet.

Die Hersteller der Lichtanlagen melden deshalb Rekordabsätze und Lieferengpässe, das einstige Spezialinstrument wird Teil der Mainstream-Ausstattung. Auf der diesjährigen Branchenmesse CES, die normalerweise in Las Vegas, nun aber im Netz stattfindet, werden neben den üblichen Entertainment-Gadgets wie hochauflösenden Fernsehern oder leistungsfähigen Tablets vor allem Produkte gezeigt, die das medial vermittelte Leben und Arbeiten ein bisschen erträglicher und effizienter gestalten. Es geht um die Bandbreite der Internetverbindung, um schnelle Router, gestochen scharf aufzeichnende Webcams oder Mikrofone mit Popschutz.

Die Nutzer müssen sich erst daran gewöhnen, vom bloßen Empfänger auch wieder zum Sender zu werden, vom stumpfen Medienkonsumenten zum smarten Produzenten. Jeder Mensch der Gegenwart weiß zwar, welche Gesichtsmuskeln er bemühen muss, um auf einem schnellen Selfie halbwegs vorzeigbar auszusehen. Eine mehrstündige Videokonferenz unter dem kritischen Auge des Chefs zu überstehen, ist dagegen schon ein anderes Kaliber. Da hat man, während die Kinder im Hintergrund schreien und gleichzeitig schon die Töpfe auf dem Herd köcheln, weder Zeit noch Muße für einen Weißabgleich.

Wer das neue Superlicht benutzt, hat ringförmige Reflexe in den Pupillen

Ist all die Ausrüstung einmal aufgebaut, erkennt man jene, die bereits mitmachen, leicht an den ringförmigen Reflexionen der Lichtanlage in ihren Pupillen. Sie haben im wahrsten Sinne ein goldenes Schimmern in den Augen. Die Investition zahlt sich aus. Der gnädige Schein der Lampe bewirkt einen ausgewogenen Hautton und lässt einen locker ein paar Jahre jünger wirken.

Der Arbeitnehmer ist nun in der Pflicht, selbst zum Influencer in eigener Sache zu werden. Er muss dementsprechend neue Fähigkeiten entwickeln. Nicht mehr nur die Kernkompetenzen seines Berufs sind gefragt. Genauso wichtig ist es, diese auch standesgemäß zu kommunizieren, die eigene Sendung muss eine gewisse Produktionsqualität haben.

Die Frage ist, ob das eigentlich wirklich so verwerflich ist, wie es im ersten Moment klingt. Schließlich wurde und wird ja auch im echten Leben erwartet, dass man sich im professionellen Kontext möglichst seriös und, wie man sagt, von seiner besten Seite präsentiert. Das bedeutet: Natürlich hat sich bis März 2020 niemand darüber gewundert, dass man im Anzug oder Kostüm ins Büro geht.

Durch den pandemiebedingten Exodus ins Home-Office hat sich, wie in einer Krise üblich, nur der Einsatz erhöht. Früher konnte man einen vergeigten Auftritt beim Jour fixe immerhin noch mit einer beherzter Performance beim After-Work-Bier, wenn die Krawatten dann gelockert wurden, wiedergutmachen. Die hautfreundlichen Lichter sind für den Arbeitnehmer nur ein weiteres Mittel auf der Suche nach Legitimation.

Bei stark reduzierten Möglichkeiten, einen direkten Eindruck bei den Kollegen und Vorgesetzten zu machen, wird man zum Star des langweiligsten Youtube-Kanals der Welt - nämlich seines eigenen. Der Ich-Channel hat gleichzeitig das kleinstmögliche Publikum, und trotzdem ist es so wichtig wie nie zuvor, gut rüberzukommen. Eine einzige begeisterte Chefin oder ein wirklich überzeugter Vorgesetzter - sie können für das eigene Fortkommen immer noch mehr bedeuten als Zigtausende von Online-Fans.

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