Richard Socher könnte der perfekte Beweis sein, dass Deutschland künstliche Intelligenz kann. Mit Anfang 40 zählt der gebürtige Dresdner zu den meistzitierten KI-Forschern, hat mehrfach Firmen gegründet, war Chefwissenschaftler des Milliardenkonzerns Salesforce und möchte mit seinem Start-up You.com dem Giganten Google Konkurrenz machen. Die Technische Universität Dresden verlieh ihm die Ehrendoktorwürde, deutsche Medien nennen ihn einen KI-Überflieger.
Es gibt nur einen Haken: Socher hat seine Heimat vor mehr als 15 Jahren verlassen. „Ich bin in die USA gegangen, weil ich meinen Doktor mit den besten Forschern der Welt machen wollte“, sagt er. Und die finde man nun mal eher in Stanford als in Sachsen. Seit 2009 lebt und arbeitet er im Silicon Valley, dem Mekka für alle, die irgendwas mit KI machen.
„In Deutschland gibt es nicht genügend Exzellenz“, sagt Socher. Alle Fördermittel würden auf 16 Länder verteilt, und am Ende komme keine Spitzenuni dabei heraus. „Deutschland hat immer noch eine Chance, aber es muss sich einiges verändern.“ Es brauche weniger Bürokratie und mehr Geld, sagt Socher. „Und Informatik als Pflichtfach in der Schule wäre wichtig, das bringt mehr als Latein.“
Socher pfeift auf Sicherheit
Während seiner Promotion in Stanford arbeitete Socher mit den KI-Koryphäen Christopher Manning und Andrew Ng zusammen, denen er eine ungewöhnliche Idee präsentierte: Man könnte neuronale Netze nutzen, um Struktur und Bedeutung von Sprache zu analysieren. Andere hätten das vielleicht als Spinnerei abgetan, aber Manning ließ sich auf den Vorschlag des Doktoranden ein.
„Das war nicht selbstverständlich“, sagt Socher. „In Deutschland probieren Menschen seltener etwas Neues aus.“ Mannings Offenheit zahlte sich aus. Die beiden legten den Grundstein für die Entwicklung heutiger Sprachmodelle, ohne ihre Forschung wäre Chat-GPT nicht möglich gewesen.
Socher verkörpert eine Eigenschaft, die nicht unbedingt als typisch deutsch gilt: Er pfeift auf Sicherheit, wenn ihm die vermeintlich riskante Entscheidung verlockender erscheint. Ein Angebot für eine Assistenzprofessur in Princeton schlug er aus, obwohl er ursprünglich in der Wissenschaft bleiben wollte. Stattdessen gründete er die Firma Metamind und sammelte noch während seines Doktorstudiums mehrere Millionen Dollar Risikokapital – noch etwas, das ihm in Deutschland kaum gelungen wäre.
„Mit Google zu konkurrieren, ist hart.“
Nach zwei Jahren übernahm Salesforce das Start-up. Socher stieg dort mit Anfang 30 zum Chefwissenschaftler auf und leitete ein großes Team renommierter Forscherinnen und Forscher. Aber auch diesen Job gab Socher auf, um 2020 erneut von vorn anzufangen. Mit You.com hat er sich ein Ziel gesetzt, an dem bislang fast alle Unternehmen gescheitert sind: Das Start-up will die Suche im Netz neu erfinden.
„Mit Google zu konkurrieren, ist hart“, gesteht Socher. Er sieht You.com nicht als Such-, sondern als Antwortmaschine. „Wir fokussieren uns auf komplexe Fragen, die man mit KI zehnmal besser beantworten kann als mit der klassischen Suche.“ Dieses Ziel verfolgen Open AI, Perplexity und mittlerweile auch Google selbst. Doch Socher hält You.com für ebenbürtig – mindestens.
„Firmenkunden und Wissensarbeiter sagen uns, dass sie mit unserem neuen Recherche-Assistenzen ARI viel Zeit sparen“, sagt der gebürtige Sachse. Tatsächlich war sein Start-up mit vielen KI-Funktionen früher dran als die bekanntere Konkurrenz, manche Aufgaben löst You.com besser. „Vielleicht bin ich etwas zu deutsch: Ich war beim Marketing zu vorsichtig“, sagte Socher in einem Interview mit Zeit Online. „In diesen Bereich werden wir jetzt mehr investieren.“
Das Paramotor-Paradies
Auch wenn Socher seine deutsche Herkunft noch immer prägt, kann er sich schlecht vorstellen, je in seine Heimat zurückzukehren. Seine Frau, ebenfalls Informatikerin mit eigener Firma, stammt aus den USA, genau wie der Freundeskreis des Paares. Und dann ist da noch eine Leidenschaft, die gar nichts mit KI zu tun hat. Socher liebt die amerikanischen Nationalparks und das Fliegen mit dem Paramotor, einem motorisierten Gleitschirm.
Wer seine Ranch südlich von San Francisco besucht, erblickt nicht nur den Pazifik, sondern auch ein riesiges Wohnmobil und einen Paramotor-Startplatz. „Hier kann ich einfach von meinem Grundstück aus losfliegen“, sagt Socher. In Deutschland wäre das verboten. Um Richard Socher zurückzuholen, bräuchte es also nicht nur bessere Rahmenbedingungen für Forscherinnen und Gründer, sondern auch weniger Regulierung für Paramotor-Flüge.