Konjunktur:Warum die deutsche Wirtschaft doch schrumpft

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Wie schnell ist Schrittgeschwindigkeit? Dazu gibt es ganz unterschiedliche Vorstellungen. (Foto: Monika Skolimowska/dpa)

Deutschland rutscht in eine Rezession. Die Aussichten sind trübe. Wodurch kommt das? Und was bedeutet es für Firmen und Bevölkerung? 

Von Alexander Hagelüken

Die deutsche Wirtschaft ist in den ersten drei Monaten dieses Jahres erneut geschrumpft. Die Gründe dafür sind vor allem die Inflation und speziell die durch den Krieg in der Ukraine rasant gestiegenen Energiepreise, die seit Längerem auf die Konjunktur drücken. Aktuell sind die wirtschaftlichen Perspektiven der Industrie schlecht. Wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag meldet, nahm das Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal dieses Jahres um 0,3 Prozent ab. Damit revidieren die Statistiker eine frühere Meldung.

Weil die Wirtschaft auch im letzten Quartal 2022 geschrumpft war, befindet sich die Bundesrepublik damit in einer sogenannten technischen Rezession. So etwas kommt selten vor. Ökonomen sprechen von einer technischen Rezession, wenn das Bruttoinlandsprodukt zwei Quartale in Folge abnimmt. Sie grenzen diese Art Rezession damit von schwereren Wirtschaftseinbrüchen ab, die noch seltener vorkommen. Der letzte schwere Einbruch geschah durch die Corona-Pandemie, als die Wirtschaft im Gesamtjahr 2020 um fast vier Prozent schrumpfte. Davor erlebte die Bundesrepublik einen zehnjährigen Boom.

Wenn das Bruttoinlandsprodukt wie jetzt abnimmt, bedeutet das am Ende weniger Einkommen für die Bundesbürger. In einer Rezession sind die Unternehmen auch zurückhaltender damit, neue Leute einzustellen, tendenziell steigt die Arbeitslosigkeit. Diesem negativen Effekt wirkt zurzeit aber entgegen, dass zahlreiche Firmen wegen der Alterung der Gesellschaft Personalmangel haben und teils hängeringend nach Arbeitskräften suchen.

Für das ganze Jahr 2023 erwarten die meisten Konjunkturforscher derzeit ein leichtes Plus. Allerdings sind die Aussichten zunehmend trübe. So machen den Verbrauchern die hohen Preise nach wie vor zu schaffen. Die Inflation schwächte sich zuletzt etwas ab. Die jährliche Teuerung lag im April mit 7,2 Prozent aber immer noch auf ungewöhnlich hohem Niveau.

Die privaten Konsumausgaben gingen im ersten Quartal um 1,2 Prozent zurück, melden die Statistiker. Dabei gaben die Verbraucher sowohl für Essen und Getränke als auch für Kleidung und Schuhe sowie für Einrichtung weniger aus. Die Deutschen kauften zudem weniger Autos, was wohl mit der Reduzierung der Prämien für Elektrofahrzeuge und dem Wegfall der Zuschüsse für Plug-in-Hybride zu tun hat.

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Positive Impulse kamen nach Angaben der Statistiker zu Jahresbeginn von den Investitionen. Gerade am Bau lief es wegen des milden Winters besser als erwartet. Auch die Ausfuhren ins Ausland nahmen zu. Allerdings werden dort die Perspektiven düsterer. So hat sich die Stimmung in der für Deutschland besonders wichtigen Exportindustrie merklich verschlechtert. Die Erwartungen sind im Mai auf den niedrigsten Wert seit mehr als einem halben Jahr gefallen, meldet das Ifo-Institut. "Die weltweiten Zinserhöhungen schlagen langsam auf die Nachfrage durch", sagt Forscher Klaus Wohlrabe. "Der deutschen Exportwirtschaft fehlt die Dynamik." Die wirtschaftliche Erholung in China steigert bisher kaum die Investitionen, von denen deutsche Exporteure in früheren Aufschwüngen profitierten. In der gesamten deutschen Wirtschaft verschlechtert sich erstmals seit Längerem die Stimmung. Das Ifo-Geschäftsklima fiel im Mai, nachdem es zuvor sechs Monate in Folge gestiegen war. Auch die aktuelle Lage schätzen die befragten Firmen als weniger gut ein, gerade in der Industrie und am Bau.

Das Risiko, dass die deutsche Wirtschaft auch in den nächsten Monaten eine Rezession durchläuft, ist spürbar gestiegen. Das signalisiert der Konjunkturindikator des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie (IMK). Für den Zeitraum von Mai bis Ende Juli zeigt er eine Rezessionswahrscheinlichkeit von 38 Prozent an. Im April waren es nur 26 Prozent. "Es ist davon auszugehen, dass die deutsche Wirtschaft im zweiten Halbjahr schrumpfen wird", warnt Thomas Gitzel von der VP Bank. "Umso wichtiger wäre es, dass die Europäische Zentralbank die Leitzinsen nicht zu weit erhöht, was die Binnennachfrage unverhältnismäßig dämpfen würde", mahnt IMK-Forscher Thomas Theobald.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sieht wegen der schwachen Wirtschaftsdynamik Handlungsbedarf: "Das ist ein Auftrag an die Politik". Deutschland drohe auf Abstiegsplätze abzurutschen. Deswegen brauche es jetzt auch eine wirtschaftspolitische Zeitenwende. Lindner sagte, man werde Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen und mehr Fachkräfte anlocken. Außerdem werde es noch dieses Jahr weitere Maßnahmen geben, um Investitionsbedingungen zu verbessern, etwa eine stärkere Förderung von Forschung.

Die Bundesbank macht Hoffnung, dass sich die Konjunktur im Frühjahr verbessert. "Im zweiten Quartal dürfte die Wirtschaftsleistung wieder leicht ansteigen", heißt es im neuen Monatsbericht. Die Lieferengpässe lösten sich langsam auf, die Industrie habe ein großes Polster von Aufträgen. Außerdem sinken die Energiepreise. Positive Signale kommen aus den USA. Dort wuchs die Wirtschaft im ersten Quartal mit aufs Jahr hochgerechnet 1,3 Prozent etwas stärker als zuletzt gemeldet. Die Bundesregierung erwartet wie die führenden Konjunkturinstitute für das Gesamtjahr 2023 in Deutschland ein leichtes Wachstum. Im kommenden Jahr werde die Wirtschaftsleistung dann mit 1,6 Prozent stark wachsen, so jedenfalls die Prognose.

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