Süddeutsche Zeitung

Rettung des Euro:Deutschland ist der Kern der Krise

Die Zukunft des Euro wird in Berlin entschieden und nirgends sonst. Nur Deutschland kann den Großteil der Lasten tragen, die mit der Rettung des Euro verbunden sind. Die Deutschen haben die Wahl zwischen schlimm und katastrophal. Es wird Zeit für eine Entscheidung. Die Uhr tickt.

Nikolaus Piper

Die Zukunft des Euro hängt nicht an Italien. Sie hängt auch nicht an Spanien, Portugal, Irland, Zypern oder gar Griechenland. Wie und ob es weitergeht mit der gemeinsamen Währung, wird sich in Deutschland entscheiden und nirgends sonst. Berlin ist heute der Kern der Krise.

Im Finanzministerium und in der Bundesbank dürfte diese Erkenntnis geläufig sein, öffentlich wird das Thema aber noch längst nicht mit der nötigen Offenheit diskutiert: Nur Deutschland kann den Großteil der Lasten tragen, die mit der Rettung des Euro verbunden sind. Die Frage ist, ob die Deutschen das wollen und auch, wie lange sie es noch können.

Man muss nicht so weit gehen wie Christine Lagarde, die Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF). Sie gab den Politikern (vor zwei Wochen) "weniger als drei Monate Zeit", die Schuldenkrise einzudämmen. Aber die Uhr tickt.

Die Entscheidung von Bundespräsident Joachim Gauck, das Gesetz über den dauerhaften Rettungsschirm erst einmal nicht zu unterzeichnen und dem Verfassungsgericht Zeit zu geben, Eilanträge zu prüfen, zeigt den Ernst der Lage. Das Verfahren ist zwar guter Brauch unter Verfassungsorganen, aber in der jetzigen Situation führt es dazu, dass das Gesetz nicht wie geplant am 1. Juli in Kraft treten kann.

Unmittelbar vor einem weiteren schwierigen EU-Gipfel liefert dies für Politik und Öffentlichkeit in Deutschland Anlass, nüchtern zu kalkulieren und abzuwägen: Was wird uns die Rettung des Euro noch kosten, ökonomisch ebenso wie politisch? Und was würde ein Scheitern kosten, also die Desintegration der Euro-Zone, in welcher Form auch immer? Welche Risiken würden sich in beiden Fällen materialisieren, in den Bilanzen der Banken und der Deutschen Bundesbank? Welche Folgen würde ein Scheitern für die Position Deutschlands innerhalb Europas haben? Soll und kann die Bundeskanzlerin andererseits weiterhin als Zuchtmeisterin Europas auftreten?

Beobachtern aus dem Ausland fällt auf, dass die Deutschen die Debatte über den Euro oft in erstaunlichem Maße moralisch führen: "Wie kommen wir dazu, den Griechen ihre Rente mit 45 zu bezahlen?" Solche Fragen liegen nahe, aber sie sind irrelevant - noch ist kein Euro aus Deutschland in das griechische Rentensystem geflossen. Es wird daher Zeit, die Debatte auf eine ökonomische und eine verfassungsrechtliche Ebene zu heben.

Die Bundesregierung muss ausloten, was sie zur Rettung der Währung darf und kann. Das Grundgesetz markiert diese Grenzen ebenso, wie es die Wirtschaftskraft Deutschlands und die öffentliche Meinung tun. Die Bürger haben Angst um ihr Geld und empfinden die verschiedenen Rettungsschirme mehr und mehr als Bedrohung.

Klar ist, das die bisherige Strategie Angela Merkels in einem wichtigen Aspekt gescheitert ist: Seit Anfang 2010 gab sie immer gerade so viel für die Euro-Rettung, dass es irgendwie weiterging. Sie kaufte Zeit in dem sehr verständlichen Bemühen, den Hebel nicht aus der Hand zu geben, um die Partner zu Reformen zu zwingen.

Die Strategie zeitigte durchaus Folgen, schließlich heißt Italiens Ministerpräsident heute nicht mehr Silvio Berlusconi. Aber die Krise wurde so nicht beendet, im Gegenteil: Deren Kosten stiegen, und die Angst vor einer neuen, diesmal viel schwereren globalen Finanzkrise wächst. Dass die Rating-Agentur Moody's 15 global operierende Banken zum Teil kräftig herabgestuft hat, ist ein Alarmsignal. Das Endspiel um den Euro ist längst im Gange.

Das Auseinanderbrechen der Währungsunion ist heute eine Option, mit der man rechnen muss - im Wortsinne. Deren Folge aus deutscher Sicht wäre nicht nur, dass der Kurs des Nord-Euro oder der neuen D-Mark, wie immer man das Spaltprodukt nennen mag, unkontrolliert in die Höhe schießen würde. Eine globale Depression wäre kaum zu vermeiden, und über die Zukunft der EU insgesamt kann man heute nur spekulieren. Mancher mag dem Euro in diesen Tagen ein Ende mit Schrecken wünschen. Fraglich, ob er auch eine Ahnung von der Dimension dieses Schreckens hat.

Auch die Rettung des Euro wird für Deutschland - übrigens auch für Frankreich, Italien und andere Länder - sehr teuer. Die Vorschläge des IWF, der G-20-Staaten und sehr vieler Ökonomen laufen im Kern auf das Gleiche hinaus: Die Staaten der Euro-Zone müssen die Risiken ihrer Bankensysteme und ihrer Staatsanleihen wenigstens zum Teil gemeinsam tragen. Deutsche und holländische Sparer haften für spanische Konten, deutsche und französische Steuerzahler für Haushalte in Rom, Madrid und anderswo.

Ohne eine zumindest begrenzte europäische Haftungsgemeinschaft kann der Euro nicht mehr glaubwürdig verteidigt werden. Dazu gehört eine schlagkräftige europäische Bankenpolitik. Warum sind immer noch so viele europäische Banken - im Gegensatz zur amerikanischen Konkurrenz - unterkapitalisiert? Weil es keine europäische Instanz gibt, die sie hätte zwingen können, ausreichend Reserven zu bilden.

In Sachen Euro haben die Deutschen die Wahl zwischen schlimm und katastrophal. Sie sollten die schlimme Lösung wählen und dies sehr schnell.

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SZ vom 25.06.2012/fran
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