Süddeutsche Zeitung

Elektroautohersteller:Wie Teslas Auto-Revolution funktioniert

Der kalifornische Autohersteller Tesla fasziniert viele, trotz gewaltiger Verluste. Über die Gründe.

Von Jürgen Schmieder, Fremont

Nein, dieser Mann ist nicht größenwahnsinnig und auch kein Außerirdischer. Behauptet er zumindest. Er steht vor einem Gebäude des Elektroautobauers Tesla in Los Angeles und will eine Beobachtung zum Weltganzen loswerden. Es ist nicht Tesla-Gründer Elon Musk, der hätte das mit dem Größenwahn und dem fremden Heimatplaneten wohl augenzwinkernd bestätigt. Es ist ein Kunde, gerade hat ihm Musk höchstpersönlich mitgeteilt, dass die soeben präsentierte Batterie für daheim die Welt verändern wird. "Jetzt mal ehrlich", sagt der Mann: "Mit einem Tesla bekommen Sie jede Frau!"

Tesla-Fahrer halten sich für grandiose Geschöpfe, die diesen Planeten allein durch den Kauf eines Elektroautos ein bisschen gesünder machen.

Wer in diese Firma investiert, der beteiligt sich an der grünen Revolution gegen all die grauen Autobau-Dinosaurier, die ihr eigenes Aussterben dadurch befördern, indem sie weiter den Kometen bauen, der die Welt vernichten wird. Natürlich steckt in dieser Gerechtigkeit ganz viel Selbstgerechtigkeit und natürlich finden es Besitzer und Anleger schick, als größenwahnsinnig oder außerirdisch bezeichnet zu werden, denn seien wir mal ehrlich: Wurde nicht jeder, der die Welt verändert hat, zu Beginn als größenwahnsinnig oder außerirdisch bezeichnet?

Um weiter so schön ehrlich zu sein: Tesla ist eine Firma, die in diesem Jahr nach eigenen Angaben 52 000 Autos ausliefern wird. Das sind 0,059 Prozent aller Fahrzeuge weltweit, ein winziger Strich in einem Kuchendiagramm. In fünf Jahren sollen es 500 000 sein, noch immer nicht viel mehr als ein Strich. In den drei Quartalen des laufenden Geschäftsjahres hat Tesla 488,79 Millionen Dollar Verlust erwirtschaftet. Erst im August besorgte sich das Unternehmen 738,8 Millionen Dollar frisches Kapital, um die geplante Revolution weiter finanzieren zu können.

Was ist derart faszinierend an diesem Unternehmen, dass es derzeit mit 30 Milliarden Dollar bewertet wird, laut Musk in zehn Jahren 700 Milliarden wert sein könnte und vom Magazin Forbes gerade zur innovativsten Firma der Welt erklärt wurde?

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel verkündete kürzlich stolz, dass er sich bereits mit Musk, diesem genialen Visionär, über den Bau einer Batteriefabrik in Deutschland unterhalten habe und dass er gern Arbeitsplätze in einer strukturschwachen Region gegen staatliche Fördermittel tauschen würde. Wie beides funktioniert - also sowohl dieser Austausch als auch die beinahe kindliche Begeisterung von Politikern für Musk -, das war im vergangenen Jahr in Nevada zu beobachten. Dort baut Tesla für fünf Milliarden Dollar die Gigafactory 1 und wird dafür innerhalb von 30 Jahren Zuschüsse und Steuervergünstigungen von 1,25 Milliarden Dollar erhalten. "Dieser Deal wird Nevada für immer verändern", sagt Gouverneur Brian Sandoval: "Unserem Bundesstaat steht eine grandiose Zukunft bevor."

Noch einmal: Was in aller Welt ist so faszinierend an Tesla?

Die Analysefirma Gartner hat im Jahr 1995 für technologische Entwicklungen den "Hype-Zyklus" eingeführt und das Diagramm in fünf Phasen aufgeteilt: technischer Auslöser, Gipfel der überzogenen Erwartungen, Tal der Enttäuschungen, Pfad der Erleuchtung und Plateau der Produktivität. Die traditionellen Autofirmen befinden sich nicht erst seit dem Emissions-Skandal von Volkswagen bei ökologischen Fortschritten eher im Tal, gerade im umweltbewussten Kalifornien. Tesla dagegen ist unweit des Gipfels zu finden. Die einen behaupten, der notwendige Absturz stehe kurz bevor, die anderen glauben an einen Aufstieg, der so schnell nicht enden werde. So oder so: Fasziniert sind sie alle.

Wer das alles verstehen möchte, der muss nach Fremont ins Silicon Valley fahren. Dort werden in einem 510 000 Quadratmeter großen Gebäude die Fahrzeuge gefertigt: die Limousine Model S, seit wenigen Wochen der Flügeltüren-SUV Model X und möglichst schon vom kommenden Jahr an das Mittelklassen-Model 3. Es gilt als Katalysator der Revolution, schließlich ist Tesla ein "High End Disruptor". Die Firma erschüttert den Markt zunächst mit hochwertigen und hochpreisigen Produkten und will ihn dann mit günstigeren Versionen erobern. Apple hat das mit dem Ipod getan, Starbucks mit Kaffee und gemütlichen Cafés. Model 3 soll also nicht als Frauenköder, Statussymbol und Gewissensbereinigung herhalten, sondern mit einem Grundpreis von etwa 35 000 Dollar tauglich für den Massenmarkt sein.

In der Fabrik in Fremont gibt es die üblichen Silicon-Valley-Verrücktheiten wie etwa einen Fahrradweg, auf dem die Mitarbeiter zu ihren jeweiligen Stationen radeln. Auffällig sind mehr als 500 rote Roboter. Jeder erinnert an J.A.R.V.I.S., das intelligente Helferlein des Superhelden Iron Man. Es wirkt futuristisch, wenn sich bis zu acht Exemplare gleichzeitig mit einem Model S beschäftigen und dabei aussehen, als würden sie einem nebenbei zuwinken. Natürlich gibt es in jedem Automobilwerk der Welt zahlreiche Roboter, doch bei Tesla sind sie stolz, dass ihre Versionen besondere sind, einige von ihnen können bis zu fünf verschiedene Aufgaben übernehmen: schweißen, biegen, vernieten, greifen, bewegen. Es gibt zehn Riesenroboter, die sind nach Superhelden benannt: Wolverine etwa oder Thunderbird oder Colossus.

Multitasking-Roboter mit Superhelden-Namen sind cool. Sie gelten bei Kritikern allerdings als ineffizient und als der Grund dafür, warum es immer wieder zu Verzögerungen bei der Produktion und damit zu geringeren Einnahmen kommt. Nun muss ihnen auch noch beigebracht werden, wie sie eine neue Variante zu fertigen haben.

"Model X ist das wahrscheinlich am kniffligsten zu produzierende Auto", sagt Musk. Das sei aber kein Problem, schließlich wolle er nicht das profitabelste, sondern das beste Auto der Welt bauen. Mit den besten Robotern der Welt.

Deren Namen sind kein Zufall, Musk gefällt sich in der Rolle des Visionärs, des Weltverbesserers, des Superhelden. Bisweilen wird er mit Iron Man verglichen, der die Welt in einer selbst gefertigten und solarbetriebenen Rüstung rettet. Sein Alter Ego, der Milliardär Tony Stark, ist Genie und Großkotz zugleich - aber um die ganze Zeit so schön ehrlich zu bleiben: Arrogante Großkotze sind doch die faszinierendsten Typen - so lange sie Genies sind.

"Die beste Motivation der Mitarbeiter: Man sagt ihnen, dass etwas nicht möglich ist."

Musk stilisiert sich gerne als Getriebener, nichts weniger verlangt er von seinen Angestellten. Wer die Welt verändern will, der muss dafür Opfer bringen. Dieses Mantra haben sie sich hier mit dem Mitarbeiterausweis umgehängt.

Diarmuid O'Connell trägt Stoffhose und kariertes Hemd, bei der Begrüßung schüttelt er einem kräftig und schwungvoll die Hand. Er ist seit beinahe zehn Jahren bei Tesla, davor hat er als Stabschef der US-Behörde für politisch-militärische Angelegenheiten gearbeitet. Das ist der "Deal-Architekt von Tesla", er hat den Kauf dieser Fabrik in Fremont (für gerade mal 42 Millionen Dollar) und auch die Gigafactory in Nevada eingefädelt. Vereinfacht ausgedrückt: Musk flüstert den Politikern ins Ohr, O'Connell lässt sie unterschreiben.

O'Connell mag es nicht, wenn allzu überschwänglich oder allzu kritisch über Tesla berichtet wird. Wenn zehn Wörter genügen, um einen Sachverhalt darzustellen, sagt O'Connell exakt zehn. Über andere Autofirmen und deren Pläne zur Elektrifizierung sagt er: "Die stümpern nur rum und versuchen es nicht einmal." Über die Tesla-Mitarbeiter: "Deren beste Motivation: Man sagt ihnen, dass etwas nicht möglich ist." Über Musk: "Er schert sich nicht um alte Regeln oder darum, ob etwas seit Jahrzehnten so gemacht wird. Er fragt: 'Wie sollte es gemacht werden?' Danach sucht er nach einer Lösung, das zu realisieren."

Wer sich mit O'Connell unterhält, der merkt recht schnell, dass der sich weniger für das Wohlergehen dieser Firma interessiert als vielmehr für die Revolution. "Bei einer Führung in Stuttgart durfte ich im ersten Auto der Welt sitzen", sagt er: "Irgendwann meinte einer: 'Es kann sein, dass es das alles bald nicht mehr geben wird.' Das fand ich interessant." Nicht umsonst würden sich nun auch Technologieunternehmen wie Google und wohl auch Apple mit Autos beschäftigen: "Die vier großen Herausforderungen - Elektrifizierung, Vernetzung, Autonomie und Gemeinschaftsnutzung - lassen sich nicht direkt mit Autobauern in Verbindung bringen."

Er steht auf und zeichnet an einer Tafel einen Kreis und darin den Marktanteil von Tesla - den bereits erwähnten winzigen Strich. "Wir wollen nicht einen Ein-Prozent-Markt dominieren, sondern ein bedeutender Mitspieler auf einem größeren Markt sein", sagt er: "Letztlich ist das Ziel dieses Unternehmens eine Revolution auf dem Massenmarkt hin zu nachhaltigem Transport. Jeder, der diese Revolution vorantreibt, ist herzlich willkommen. Wir laden jeden ein, mit uns zu konkurrieren."

Wenn Elon Musk großspurig vom Verbessern der Welt spricht, dann meint er nicht wie 99,9 Prozent der Silicon-Valley-Chefs das Verbessern der eigenen Marktposition. Er meint tatsächlich das Verbessern der Welt - und davon dürfen gerne auch andere profitieren. Bestenfalls freilich mit Fahrzeugen, die auf den frei verfügbaren Patenten von Tesla basieren und damit deren Batterien verwenden.

"Die Autos von heute werden den Bedürfnissen der Menschen von heute nicht mehr gerecht."

Gardena, eine Kleinstadt im Süden von Los Angeles. Direkt neben einem Friedhof für Tiere steht ein gar nicht mal so kleines Metallgebäude, nur ein winziges Schild deutet auf die dort angesiedelte Firma hin. Faraday Future ist dieses mysteriöse Unternehmen, das soeben angekündigt hat, im Januar auf der Consumer Electronics Show in Las Vegas einen gewaltigen Auftritt hinlegen zu wollen; auf der Homepage des Unternehmens heißt es: "Ein neues Konzept für die Zukunft des Transports."

Iron Man Elon Musk

Bei Tesla in Fremont gibt es zehn Riesenroboter, die sind nach Superhelden benannt: Wolverine etwa oder Thunderbird oder Colossus. Multitasking-Roboter mit Superhelden-Namen sind cool. Er wolle nicht das profitabelste, sondern das beste Auto der Welt bauen, sagt der Tesla-Chef Elon Musk. Mit den besten Robotern der Welt. Deren Namen sind kein Zufall, Musk gefällt sich in der Rolle des Visionärs, des Weltverbesserers, des Superhelden. Bisweilen wird er mit Iron Man verglichen, der die Welt in einer selbst gefertigten und solarbetriebenen Rüstung rettet.

Das Unternehmen gibt kaum etwas von sich preis. Einträge im Handelsregister von Kalifornien weisen die Chinesin Chaoying Deng als Geschäftsführerin aus. Die arbeitet bei Leshi Internet Information & Technology, einem Medienunternehmen. Eigentümer ist Jia Yueting, der Mann mit einem geschätzten Vermögen von sieben Milliarden Dollar gilt als "Elon Musk von China". Es heißt, dass Faraday bis zu sieben verschiedene Modelle produzieren will und mit Nevada verhandelt, um beim Bau einer Ein-Milliarden-Dollar-Fabrik Vergünstigungen zu erhalten wie Tesla.

Das Gesicht von Faraday Future ist derzeit Nick Sampson, der von 2010 bis 2012 bei Tesla gearbeitet hat. Auch er bleibt sehr vage, was Faraday da eigentlich vorhat, er sagt lediglich: "Früher haben wir Musik gekauft, heute abonnieren wir sie. Ich muss nicht mehr ein bestimmtes Auto kaufen, ich kann immer genau das Modell wählen, das ich gerade brauche - die Autos von heute werden den Bedürfnissen der Menschen von heute nicht mehr gerecht." Sampson spricht von Tesla nicht als Konkurrenz: "Ich würde all diese Unternehmen als Verbündete bezeichnen. Je mehr Firmen mitmachen, desto mehr Kunden werden die Möglichkeiten erkennen."

Die wildeste Spekulation, die jedoch gar nicht mal so unrealistisch klingt: Faraday will elektrische und automatisierte Autos bauen, die der Kunde gar nicht kaufen soll. Er abonniert Kilometer pro Monate und bekommt jeweils das Fahrzeug geliefert, das er gerade braucht: ein sparsames Modell für die Fahrt zur Arbeit, einen SUV für den Familienausflug, einen Sportflitzer für das Date mit der Frau. Bei Tesla finden sie die Idee beeindruckend, O'Connell sagt: "Ich wünsche ihnen viel Glück, neue Mitspieler sind die Katalysatoren der Revolution."

Zurück in Fremont wird klar: Das Faszinierende an Tesla ist, dass dieses Unternehmen so faszinierend ist. Je größer der Hype um Tesla, desto größer der Hype um umweltfreundliche Fahrzeuge. Das Unternehmen hat als größenwahnsinniger Pionier die Revolution angeregt, selbst Musk glaubte zunächst, sein Projekt werde scheitern. Nun sprechen die Menschen über diese faszinierende Firma und animieren dadurch zum Mitmachen, zum Kopieren, zum Weiterdenken. Ganz ehrlich: Wer derzeit ein elektrisches Auto produziert, der ist cool. Also machen nicht nur ein paar traditionelle Autohersteller wie BMW mit, sondern auch Technologieunternehmen und neue Firmen wie Faraday Future, Atieva oder NextEV - die allesamt von Investoren aus China gefördert werden.

Natürlich kann Tesla scheitern, schließlich folgt im "Hype-Zyklus" auf den Gipfel der überzogenen Erwartungen erst einmal das Tal der Enttäuschungen. Es ist auch möglich, dass einer der Mitstreiter noch bessere Fahrzeuge bringt und Tesla deshalb kein bedeutsamer Mitspieler auf einem womöglich gewaltigen Markt wird. Wenn jedoch jedes Auto so angetrieben wird wie ein Tesla, dann profitiert das Unternehmen einerseits über die Batterieproduktion, andererseits kann die Welt dadurch tatsächlich ein besserer Ort werden.

Daran glauben sie bei Tesla, und wenn Elon Musk ehrlich war bei dem, was er bisher über nachhaltigen Transport gesagt hat, dann ist es ihm egal, ob Tesla letztlich finanziell erfolgreich ist - so lange die Revolution möglichst schnell vollzogen wird.

Wer die Fabrik in Fremont verlässt, der ist freilich nicht restlos überzeugt, dass Tesla einmal 700 Milliarden Dollar wert sein wird und dass ein Tesla-Fahrer jede Frau bekommen kann. Er hat jedoch erfahren, dass Musk und seine Mitarbeiter verrückt genug sind, die Welt verbessern zu wollen. Und der Besucher ist nun verrückt genug, es zu glauben, dass ihm der Roboter Wolverine zum Abschied zuwinkt.

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Quelle:
SZ vom 28.11.2015/jasch
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