Fachkräftemangel:Wie deutsche Asylgesetze einen Hotelier verzweifeln lassen

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Am Müritzer See, wo Gunnar Redmers Hotel steht, lässt sich gut Urlaub machen.

(Foto: Antony Sojka)

Ein Unternehmer fürchtet um die Zukunft seines Hotels - ihm fehlen Mitarbeiter. Ein Ehepaar aus der Ostukraine darf er trotzdem nicht mehr beschäftigen. Ein Lehrstück über deutsche Asylpolitik in Zeiten des Fachkräftemangels.

Von Thomas Hahn

Dann sagte dieser Sachbearbeiter auch noch, dass er ein Niemand sei. Die Wut huscht wie ein flüchtiger Schatten über das glatte Gesicht des Hotelbetreibers Gunnar Redmer, wenn er sich daran erinnert, wie dieser profillose Ausländerbehörden-Mensch ihn belehrt hat. "Er sagte: Herr Redmer, Sie sind weder Anwalt noch Prozessbeteiligter." Verschwinden Sie, sollte das heißen. Halten Sie sich raus aus dem Streit um die Arbeitserlaubnis der Eheleute Vorobyov. Kümmern Sie sich um ihre eigenen Angelegenheiten. Was gehen Sie die geflüchteten Ukrainer mit abschlägigem Asylbescheid an? Das hat Gunnar Redmer so geärgert, dass er es immer wieder erzählt. Dieser Streit ist nämlich sehr wohl seine Angelegenheit. Er ist der Chef der Vorobyovs. Er braucht sie.

Zweierlei Umstände beschäftigen das reiche Deutschland in dieser Zeit. Menschen kommen, nachdem sie aus ihrer Heimat vor Krieg und Unterdrückung geflohen sind. Menschen fehlen, weil es in vielen Branchen mehr Arbeit als Personal gibt. Daraus müsste sich eigentlich eine sogenannte Win-win-Situation für die Zukunft basteln lassen. Vertreter der Wirtschaft mahnen das seit Jahren an. In Mecklenburg-Vorpommern, wo der Hotelier Redmer zu Hause ist, forderte die Vereinigung der Unternehmerverbände vor den Landtagswahlen 2016 unter anderem: "Asylbewerber besser beruflich integrieren". Und als Achim Dercks, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), kürzlich den neuesten Arbeitsmarktreport kommentierte, klang er wie der Botschafter einer düsteren Prophezeiung. "Der Fachkräftemangel ist inzwischen ein volkswirtschaftlicher Engpass. Und er ist auch der zentrale Engpass für viele politische Vorhaben in diesem Land."

Nach DIHK-Zahlen sehen mehr als 60 Prozent der deutschen Unternehmen den Fachkräftemangel als zentrales Geschäftsrisiko. Im Gastgewerbe sind es sogar 70 Prozent. "Nur mit inländischen Arbeitskräften lässt sich der Engpass nicht beheben", sagt Dercks und findet: "Erleichterungen bei der Zuwanderung sind nötig."

Der "Widerruf der Beschäftigungserlaubnis" brachte das Hotel in Schieflage

Aber der Hotelier Redmer aus Röbel an der Müritz spürt gerade wenig von Erleichterungen. Im Gegenteil. Seit Wochen rennt er durch den Dschungel der deutschen Bürokratie, telefoniert, schreibt Anträge, streitet, um die Arbeitskräfte zurückzubekommen, die ihm die Ausländerbehörde in Neubrandenburg am 13. Juli, einem Freitag, von jetzt auf nun weggenommen hat. Er ist nicht der einzige Unternehmer, der solche Erfahrungen macht. Gerade im Osten Mecklenburg-Vorpommerns, wo die rechten Strömungen stark sind, haben viele Betriebe den Eindruck, dass Deutschlands aktuelle Asylgesetzgebung immer wieder den Versuch erschwert, den Kampf um fehlende Arbeitskräfte mit der Integration von Geflüchteten zu verbinden. Diese Geschichte geht deshalb nicht nur die Vorobyovs, deren Anwalt und den Hotelier Redmer etwas an. Sondern alle, die auch in Zukunft in einer funktionierenden Konsumgesellschaft leben wollen.

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Gunnar Redmer fürchtet um das Fortbestehen seines Strandhotels.

(Foto: Antony Sojka)

Redmer sitzt im lichten Gastraum seines Hotels. Natalia Vorobyova und Alexander Vorobyov sind auch da. Es ist ein früher Sonntagnachmittag. Draußen scheint die Sonne, die meisten Gäste erholen sich am nahegelegenen Müritz-Strand oder genießen sonst wie die Natur der Mecklenburgischen Seenplatte. Es ist ruhig im Hotel, auch Redmer wirkt entspannt. Aber das täuscht. "Widerruf der Beschäftigungserlaubnis" lautete der Titel des Behördenbriefes aus Neubrandenburg, der ihm mit sofortiger Wirkung untersagte, die Vorobyovs weiter zu beschäftigen. Das hat seinen Betrieb in eine Schieflage gebracht. Natalia Vorobyova kümmerte sich jeden Morgen um das Frühstück für die Gäste. Alexander Vorobyov kellnerte abends im Restaurant.

Redmer kann sie nicht so schnell ersetzen, schon gar nicht in Zeiten des Fachkräftemangels. Also hat er ihre Schichten übernommen. Dazwischen erledigt er seine Pflichten als Hoteldirektor und streitet mit den Behörden. Freie Tage gibt es für ihn gerade nicht, und es sieht nicht so aus, als würde sich daran etwas ändern bis zum Ende der Saison im Oktober. Redmer lächelt müde. "Meine Krankenkasse freut sich, weil danach bin ich durch."

"Um Fachkräfte geht es gar nicht nur, es geht darum, Löcher zu stopfen."

Redmer ist kein Gutmensch. Er hat unternehmerische Interessen. Als die Vorobyovs mit ihren drei Kindern Anfang 2015 nach Röbel kamen, hatten er und seine Frau gerade das Strandhotel übernommen. Es war die Erfüllung ihres Traumes. Nach verschiedenen Stationen in der Tourismus-Branche waren sie endlich ihre eigenen Chefs. Allerdings brauchten sie Leute. Redmer nennt den Fachkräftemangel lieber Arbeitskräftemangel. "Um Fachkräfte geht es gar nicht nur, es geht darum, Löcher zu stopfen." Er war dankbar, als ihn eine Flüchtlingsbetreuerin auf die Vorobyovs aufmerksam machte. Redmer kontaktierte die Eheleute. Ihr Deutsch war noch schlecht. "Aber wir haben gleich gespürt, dass ein unheimlicher Wille da ist", sagt Redmer. Er stellte sie an.

Natalia Vorobyova ist blass und schön. Alexander Vorobyov hat ein rundes Gesicht und wirkt härter in seinen politischen Ansichten. Sie kommen aus Donezk in der Ostukraine, haben dort an der Universität Management studiert und arbeiteten in guten Jobs, sie als Buchhalterin, er als Manager im Großhandel. Aber in Donezk herrscht Krieg, prorussische Kräfte kämpfen um die Abspaltung der proklamierten Republiken Donezk und Luhansk. Die Familie geriet zwischen die Fronten. Eine Bombe zerstörte ihre Wohnung und alle persönlichen Dokumente. Als es passierte, waren die Vorobyovs bei Freunden zum Waschen, weil bei ihnen selbst die Wasserleitungen tot waren. Sie mussten weg.

Sie zogen zunächst in den Süden nach Mykolajiw, um den Wirren zu entgehen. Aber dort gab es Ärger. Europa-freundliche Ukrainer beschuldigten sie, auf russischer Seite zu kämpfen. "Ich bin kein Separatist", ruft Alexander Vorobyov empört. Wie viele aus dem Ostteil des Landes sind er und Natalia keine überzeugten Ukrainer. Russisch ist ihre Muttersprache, Ukrainisch haben sie in der Schule gelernt. "Für mich, Ukraine ist kein Land", sagt Natalia. Alexander nickt. Sie spürten, dass die Landsleute sie nicht akzeptierten. Also flüchteten sie nach Deutschland.

Es sah so aus, als würde alles gut. Dann kam der Brief von der Ausländerbehörde

Als Gunnar Redmer beschlossen hatte, sie einzustellen, wollte das Arbeitsamt zunächst wissen, ob es wirklich keine Deutschen für die Jobs gebe. Gab es nicht, und nach einigen Schreiben und Anrufen konnte Redmer sie also auf 20-Stunden-Basis einstellen. Sie erledigten zunächst kleinere Arbeiten wie Tische decken, Mahlzeiten vorbereiten, nichts im direkten Service. Sie lernten Deutsch mithilfe von einer benachbarten Lehrerin und Vokabellisten, die sie bei der Arbeit pflegten. Sie machten schnell Fortschritte. Bald stiegen sie in eine sogenannte Teilqualifizierungsmaßnahme des Arbeitsamtes ein mit dem Ziel, Hotelfachfrau bzw. -mann zu werden. Sie arbeiteten in Redmers Hotel von Mai bis Oktober und besuchten von November bis April das überbetriebliche Ausbildungszentrum in Waren. Die Kinder gingen in die Schule und in den Kindergarten. Es sah so aus, als würde alles gut.

Dann kam der Brief von der Ausländerbehörde. Redmer hatte plötzlich wieder Leerstellen. "Zack. So ist es. Aus die Maus." Die Vorobyovs mussten Sozialhilfe beantragen.

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Alexander Vorobyov und seine Familie fühlen sich wie auf dem Abstellgleis. Fotos: Antony Sojka

(Foto: Antony Sojka)

Natalia Vorobyova und Alexander Vorobyov sprechen mittlerweile ganz gut Deutsch. Nicht so fließend wie die 13-jährige Tochter zwar, die von ihrer Gesamtschule eine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen hat. Aber mit den Gästen können sie sich unterhalten, und sperrige deutsche Ausdrücke wie "Widerruf der Beschäftigungserlaubnis" oder "aufenthaltsbeendende Maßnahmen" kennen sie mittlerweile ohnehin. Sie verstehen, dass sie in die Mühlen einer oft überhitzten Flüchtlingsdebatte geraten sind. Der Trend in Deutschland geht zum schnelleren Asylverfahren. Eine rechte Kernforderung ist dabei die zügige Abschiebung von rechtmäßig abgewiesenen Antragsstellern. Und für manchen konservativen Politiker scheint es eine Errungenschaft zu sein, möglichst viele Menschen möglichst schnell in ihre Heimat zurückzuschicken.

Mit Ukrainern können sie ihre Bilanz aufbessern. Deren Aussicht auf Asyl ist schlecht, weil im Westen des Landes ja offiziell Frieden herrscht. Das Beispiel der Vorobyovs zeigt, wie zielstrebig Behörden eine Abschiebung ansteuern können, wenn sie das wollen.

Natalia Vorobyova und Alexander Vorobyov können sich über die Aufnahme in Deutschland nicht beschweren. Sie bekamen in Röbel eine Sozialwohnung, Miete, Sozialleistungen. Aber ihren Versuch, in Deutschland Fuß zu fassen, begünstigte der Staat nicht. Während ihres Asylverfahrens bekamen sie immer nur eine Duldung für sechs Monate - zu wenig für das Recht auf einen Deutschkurs. Laut Aufenthaltsrecht dürfen Flüchtlinge in Deutschland bleiben, während sie eine dreijährige Ausbildung und anschließend zwei Jahre im Betrieb arbeiten. Für die Vorobyovs gilt das nicht, weil sie schon eine Ausbildung in der Ukraine gemacht haben. Die geförderte Teilqualifizierung gilt nicht als vollwertige Ausbildung, die Teilnahme am dritten Lehrjahr ist ihnen schon gestrichen. Ihre Abschiebung ist in Vorbereitung. Die Arbeitserlaubnis haben sie verloren, weil sie einen neuerlichen Antrag auf Aufenthaltstitel gestellt haben, um die Abschiebung zu verhindern.

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Während ihres Asylverfahrens bekam die Familie immer nur eine Duldung für sechs Monate.

(Foto: Antony Sojka)

"Gemäß Paragraf 60a, Absatz 6, Nummer 2 Aufenthaltsgesetz darf einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können", steht im Brief der Ausländerbehörde.

"Wo ist die Logik?", fragt Natalia Vorobyova. Sie liegt im politischen Willen zum Abschieben. Im Osten Mecklenburg-Vorpommerns ist die AfD besonders stark. CDU-Innenminister Lorenz Caffier gilt als Freund straffer Rückführungsstrategien. Eine Sprecherin seines Ministeriums bestätigt, dass es den Ausländerbehörden erst im April einen "Anwendungshinweis" zu den Paragrafen schickte, die den Vorobyovs jetzt das Leben schwer machen. "Rechtlich ist das nicht anzufechten", sagt der Rostocker Anwalt Thomas Wanie, der auf Migrationsrecht spezialisiert ist. Trotzdem müsste die Härte nicht sein. Das Aufenthaltsgesetz gibt den Behörden einen Ermessensspielraum - zum Beispiel im Sinne örtlicher Unternehmen. "Wir brauchen Behörden, die sich als Dienstleistungsbehörden verstehen, nicht nur als Ordnungsbehörden zur Gefahrenabwehr", sagt Wanie. Gerade im Osten Mecklenburg-Vorpommerns kommen sie ihm oft vor wie Weichensteller am Abschiebebahnhof.

Der À-la-carte-Betrieb ist zu - wie soll Redmer allein die Teller an die Tische bringen?

Gunnar Redmer beschäftigt auch Syrer. Bei denen bereiten ihm die Behörden keine Probleme. Aber in deren zerrüttetes Bürgerkriegsland kann man ja auch gerade niemanden zurückschicken. Die Vorobyovs ziehen deshalb keine falschen Vergleiche. Sie sitzen aufrecht auf ihren Stühlen und wundern sich über dieses Deutschland, das ihnen lieber Geld zahlt, als sie mitarbeiten zu lassen in der strukturschwachen Provinz. "Ob du arbeitest oder nicht - Geld ist fast gleich", sagt Alexander Vorobyov. Der deutsche Sozialstaat ist großzügig. Knapp 1300 Euro monatlich bekommt die fünfköpfige Familie jetzt - davor mit dem Einkommen nach Mindestlohn abzüglich Steuern, Miete, Krankenversicherung hatte sie 1400. Vorobyov kennt ukrainische Asylbewerber, die eine ähnliche Einstellung haben wie er und seine Frau. Aber er kennt auch welche, die sich nicht für Arbeit interessieren. "Die lassen sich abschieben und nehmen das Geld. 5000, 7000 Euro, das ist schon was in der Westukraine."

Gunnar Redmer schüttelt den Kopf. "Die Politik schafft sich ihre Sozialausgaben selbst, statt Unternehmen die Anstellung von Flüchtlingen zu erleichtern." Arbeit ist für ihn gelebte Integration, und gelebte Integration damit ein Wirtschaftsfaktor. Aber so? Seit die Vorobyovs ausfallen, gibt es im Restaurant nur noch Essen für Gäste mit Halbpension. Der À-la-carte-Betrieb ist zu, weil Redmer nicht wüsste, wie er die Teller an die Tische bringen soll. Das sind monatliche Einnahmeausfälle im fünfstelligen Bereich. "Ich muss über meine Existenz nachdenken." Er, den sie im Amt einen Niemand nennen.

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