Süddeutsche Zeitung

Report:Schockgefrostet

Rund um die Angst junger Frauen, den richtigen Zeitpunkt zum Kinderkriegen zu verpassen, ist eine Industrie gewachsen.

Von Kathrin Werner, New York

Es könnte irgendeine dieser vielen After-Work-Partys in Manhattan sein. Ein schickes Hotel, nicht weit vom Empire State Building entfernt. Junge Frauen, die meisten noch in Bluse, im Blazer und in High Heels vom Tag im Büro, stehen in kleinen Gruppen zusammen und plaudern. Jemand verteilt Sushi, Krabbenküchlein, Mini- Hühnchenspieße. Weiße Kerzen werfen ihr Licht an die dunkle Mustertapete, ab und an das weiche Ploppen eines Sektkorkens. In den Cocktailgläsern schwappt ein rosafarbener Drink, der für diesen Abend einen eigenen Namen bekommen hat: Banxxtini, ein Mix aus Prosecco und Chambord, dem französischen Beerenlikör.

Aber irgendetwas ist hier anders als sonst auf diesen Feierabendfeiern, es ist nicht leicht zu fassen, eine Spannung surrt durch den Raum. Die Stimmen sind zu leise, die Blicke zu ernst. Es wird zu wenig gelacht und nicht genug getrunken. Es ist eine After-Work-Party ohne After-Work-Party-Spaß. An den Stehtischen mit den weißen Tischdecken fallen überall ähnliche Sätze: "Ich bin 37 und langsam mache ich mir Sorgen", sagt die eine. "Das hier ist meine letzte Hoffnung", sagt eine andere. Manche stehen allein in der Ecke und lesen in lilafarbenen Broschüren. Die Frauen blicken immer wieder zur anderen Seite des Raumes, hin zu einem Rednerpult und den Stuhlreihen davor. Sie warten.

Und dann klingelt das Glöckchen, es geht los. Eine dunkelhaarige Frau im Cocktailkleid tritt ans Mikrofon. "Setzt euch, hier vorne sind noch Plätze frei", sagt sie. Einige müssen hinter den Stuhlreihen stehen bleiben, es ist einfach zu voll. "Die Gynäkologin in mir ist so froh, so viele Frauen hier zu sehen. Allein die Tatsache, dass ihr hier seid, zeigt mir, dass ihr über eure Fruchtbarkeit nachdenkt. Dass euch bewusst ist, dass es eine biologische Uhr gibt. Vielleicht tickt eure schon. Vielleicht wollt ihr sie anhalten." Der spaßige Teil des Abends ist spätestens jetzt vorbei.

Die Frau im Kleid ist Fahimeh Sasan, sie ist Frauenärztin und Assistenzprofessorin im New Yorker Unikrankenhaus Mount Sinai und Chief Medical Officer von EggBanxx. Sie ist im Vorstand der jungen Fruchtbarkeits-Firma verantwortlich für alle Fragen zur Medizin - und an diesem Abend wird es viele geben. EggBanxx hat zu der Party ins Nomad-Hotel beim Empire State Building geladen - darum der Banxxtini. Der Slogan des Unternehmens:

"Smart Women Freeze", schlaue Frauen frieren ein.

Das Eizellen-Einfrier-Startup aus New York ist Teil einer wachsenden Industrie, die Geld mit der biologischen Uhr der Frau verdient. Frauen, die noch nicht bereit sind Kinder zu bekommen, sei es, weil sie erst Karriere machen wollen oder weil ihnen der passende Partner fehlt, sie können ein paar Eizellen ernten und schockfrosten lassen und selbst dann noch auftauen, wenn sie im Vorstand ihrer Firma sitzen oder Partnerinnen ihrer Kanzlei geworden sind, aber eigentlich nicht mehr fruchtbar wären. Mit Ende 30, Anfang 40 - oder vielleicht sogar noch mit 50?

Die Eier, die biologische Uhr, das Kinderkriegen: auf Eis gelegt.

Für viele ist es die Fortsetzung der Emanzipation, die Pille hilft vor zu früher Schwangerschaft, das Einfrieren verhilft zu späterer, die Frau übernimmt die Kontrolle über ihren Körper, ein bisschen mehr Gleichheit mit den Männern, für die keine Uhr tickt. Dahinter steckt auch der Gedanke, dass es kein Problem gibt, das sich nicht lösen lässt - man braucht nur die richtige Technik und genug Geld. Die Prozedur kostet mindestens 20 000 Dollar.

Egg Freezing ist ein Phänomen - und zwar weltweit.

In Deutschland gibt es inzwischen in fast jeder größeren Stadt Fortpflanzungsmediziner, bei denen junge Frauen ihre Eizellen tiefgekühlt einlagern können. Und eine Forsa-Studie im Auftrag der Zeitschrift Eltern kam gerade zu dem Ergebnis, dass 64 Prozent der 1061 befragten Männer und Frauen zwischen 18 und 30 Jahren dem Einfrieren von Eizellen gegenüber aufgeschlossen sind und 31 Prozent sich das für sich selbst vorstellen können.

Ärzte in Tschechien und Spanien bewerben ihre Dienste auch für deutschsprachige Interessentinnen. Und gerade hat Diana Hayden, 42 Jahre alt und ehemalige Miss World aus Indien, in Mumbai ein Baby zur Welt gebracht, für das sie vor acht Jahren Eizellen hat einfrieren lassen.

"Schenke dir selbst ein wenig Zeit."

Doch so verbreitet und so normal wie in den USA ist das Egg Freezing nirgendwo in der Welt. Freundinnen reden beim Brunch darüber, Frauenärzte empfehlen es ihren Patientinnen auch ungefragt. In der S-Bahn von New York nach New Jersey hängen Werbeplakate ("Schenke dir selbst ein wenig Zeit"), es gibt Informationsdienste per SMS und inzwischen sogar konkurrierende Egg-Freezing-Partys. Eine andere New Yorker Fruchtbarkeitsfirma hat kürzlich in die Eisbar im Hilton eingeladen. Tresen, Wände, Tische, alles ist hier aus Eis. Motto: "Friere deine biologische Uhr ein". Im Silicon Valley hat sich eine Ärztin zur "Ei-Flüstererin" erklärt und sich die Website www.eggwhisperer.com gesichert.

Auch EggBanxx, das Start-up hinter der Egg-Freezing-Party im mustertapezierten Nomad-Hotel, ist ein Unternehmen, das Gewinne machen will. Es vermittelt die passenden Kliniken, angeblich bieten sie ihre Dienste 15 Prozent billiger an, wenn die Frauen über EggBanxx zu ihnen kommen. Und das Start-up hilft bei der Finanzierung, viele Frauen nehmen Kredite auf, um sich die Prozedur zu leisten.

Bei EggBanxx warten "niedrige Zinsen ohne Anzahlung". Auch die Pharmaindustrie verdient gut an dem neuen Geschäft, zum Beispiel an den Medikamenten, die junge Frauen spritzen müssen, damit ihr Hormonhaushalt passt für die Eier-Ernte. EggBanxx gehört zur Fruchtbarkeits-Firma Progyny, an der wiederum der Darmstädter Pharmakonzern Merck beteiligt ist über seinen unternehmenseigenen Wagniskapitalarm MS Ventures.

Merck ist der Marktführer in der Fruchtbarkeitsmedizin.

"Erzähl mal, so von Mädel zu Mädel, von Freundin zu Freundin."

Daniela Nuccio hat vor einem Jahr Eier mit EggBanxx eingefroren, jetzt kommt sie manchmal zu den Egg-Freezing-Partys, um ihre Geschichte zu erzählen. "Erzähl mal, so von Mädel zu Mädel, von Freundin zu Freundin", fordert EggBanxx-Ärztin Sasan die 37- Jährige auf. "Ganz ehrlich, alles, wovor ich vorher Angst hatte, war gar nicht schlimm", sagt Nuccio.

Ihre Eierstöcke seien zwar auf die Größe von Grapefruits angeschwollen nach all den Hormonen, sagt sie. Aber jetzt habe sie 16 Eier auf Eis - obwohl der Arzt nur fünf bis zehn prognostiziert habe. Nuccio, blond und braun gebrannt, strahlt in die Menge der fragenden Frauengesichter. "Wenn ich die Wahl hätte, würde ich es noch mal machen", sagt sie. "Allerdings schon mit 33 Jahren." Mit 33, sagt sie, habe sie zum ersten Mal darüber nachgedacht, ihre Eier einfrieren zu lassen. "Ich wollte meine Karriere nicht zurückstellen und weiter viel um die Welt reisen", sagt sie.

An ihrem Geburtstag saß sie mit ihrer Mutter beim Mittagessen und hat ihr von ihrer Idee erzählt. Ihre Mutter riet ihr sofort zu. "Aber dann war ich in einer Beziehung und dachte, ich warte wohin das führt", sagt Nuccio. "Es führte zu nichts." Eine Woche nach der Trennung hat sie sich zum Schockfrosten angemeldet.

EggBanxx hat Fortpflanzungsärzte zur Party eingeladen, die allesamt Dringlichkeit vermitteln. "Zu allererst lasst mich eins sagen: Eure Eier werden niemals besser sein als heute", sagt Spencer Richlin, ein kahlköpfiger Arzt aus Connecticut. Frauen werden mit ein bis zwei Millionen Eiern geboren und verlieren sie Tag für Tag. Mit Ende 30 sind nicht mehr viele übrig. Und nicht alle sind vollständig und gesund. Frauen bekommen später Kinder - aber ihre Körper sind noch immer wie vor Tausenden Jahren. "Besser jetzt einfrieren als später", sagt Stephanie Thompson, eine Frauenärztin aus New Jersey. "Jetzt sind wir an der Reihe. Typen frieren ihr Sperma schon seit den Fünfzigerjahren ein."

Zuerst testen die Ärzte das Hormonlevel und die Eierstöcke der Patientinnen. Wenn alles stimmt, spritzen sich die Frauen selbst ein bis zwei Wochen lang Hormone in den Bauch, die die Eierproduktion ankurbeln, damit die Eierstöcke so viele Eibläschen wie möglich herstellen. Dann folgt die Operation, knapp 15 Minuten unter Vollnarkose, mit einer Nadel holt der Arzt die Eier durch die Vagina heraus, ohne Narbe. Nach der OP landen im Durchschnitt zehn Eier in flüssigem Stickstoff bei einer Temperatur von minus 196 Grad Celsius. Zehn kleine Hoffnungen. "Je jünger die Patientinnen sind, desto mehr gute Eier lassen sich entnehmen", sagt Richlin.

Eine Frau meldet sich, ihre Stimme wackelt. "Und was ist, wenn man nicht Ende 20 oder Anfang 30 sondern vielleicht schon Ende 30 oder Anfang 40 ist? Ist das hoffnungslos?", fragt sie. "Das hier deprimiert mich sehr." Sie kämpft gegen Tränen. "Du brauchst vielleicht mehr als einen Erntezyklus, um genug Eier in den Gefrierschrank zu bekommen", sagt Thompson. "Es ist aber nicht hoffnungslos."

Nicht hoffnungslos, aber teuer. Eine Ernterunde kostet bei EggBanxx 6300 Dollar, dazu kommen Medikamente, die Kosten der Narkose und Arztgebühren. Zwei Egg-Freezing- Runden kosten schon 11 400 Dollar plus Nebenkosten. Pro Jahr im Stickstoff-Lager sind 500 bis 1000 Dollar fällig. In Deutschland kostet das Einfrieren etwa 3000 bis 4000 Euro pro Runde, die Lagerung geht extra. Auftauen und künstliche Befruchtung kosten noch einmal. Die Krankenkassen übernehmen nichts.

Klingt viel - aber wie viel ist ein Baby wert?

"Das ist viel Geld. Aber für mich ist die Seelenruhe unbezahlbar, die mir das Ganze gebracht hat."

Daniela Nuccio hat 12 000 Dollar für ihre Ernterunde bezahlt, erzählt sie ein paar Tage nach der Egg-Freezing-Party, den größten Teil von ihren Ersparnissen, den kleineren per Kredit. "Das ist viel Geld. Aber für mich ist die Seelenruhe unbezahlbar, die mir das Ganze gebracht hat."

Andere Frauen können Eier gebührenfrei auf Eis legen. Apple, Facebook und Intel übernehmen die Kosten für ihre Mitarbeiterinnen. Das lohnt sich, schließlich könnte das Angebot hoch qualifizierte Frauen anlocken. Und schließlich haben die Firmen gelobt, ihre Frauenquote zu steigern, was schwer ist, wenn sich teuer geschulte Mitarbeiterinnen auf dem Höhepunkt der Karriere in die Babypause verabschieden und vielleicht nie zurückkehren.

Freezing-Kritiker sind alarmiert. Was ist, wenn Eier auf Eis nicht nur eine neue Option bleibt, sondern für Arbeitnehmerinnen zur Norm, zu einer gefühlten Pflicht wird? Die Deutschen haben dem Ganzen den Namen "Social Freezing" gegeben, vielleicht soll der Anglizismus cool klingen, vielleicht nach dem Gegenteil: nach etwas, das der amerikanische Internetkapitalismus in unser Leben gebracht hat. Die Amerikaner verwenden den Begriff nicht.

Im Jahr 2009 haben laut dem Fruchtbarkeits-Verband Society for Assisted Reproductive Technology gerade einmal knapp 500 Frauen in den USA ihre Eier einfrieren lassen. 2013 waren es schon fast 4000.

Seither berichten Frauenärzte und Fruchtbarkeitskliniken von immer mehr Zulauf, vor allem in Karriere-Metropolen wie New York, San Francisco und Los Angeles, aber auch in anderen Städten und anderen Ländern. EggBanxx schätzt, natürlich im Eigeninteresse, von 2018 an werden 76 000 Amerikanerinnen pro Jahr ihre Eier einfrieren lassen. Die Egg-Freezing-Partys werden immer voller. "Frauen von heute haben Kontrolle über alles", sagt Sasan in die Menge. "Und wir wollen, dass ihr auch über eure Fruchtbarkeit Kontrolle habt."

Früher gab es Egg Freezing fast ausschließlich für junge Krebspatientinnen, die vor einer Chemotherapie standen. Die Ergebnisse waren nicht sehr gut. Seit wenigen Jahren gibt es eine Schnellfrost-Methode, mit der sich weniger Eiskristalle bilden, die der Eizelle schaden, im Jahr 2012 hat die Fruchtbarkeits-Fachgesellschaft American Society for Reproductive Medicine (ASRM) die Prozedur von dem Label "experimentell" befreit, sie gilt jetzt als sicher.

"Einfrieren ist keine Garantie. Doch Sex haben und schwanger werden, ist auch nicht garantiert."

Der ASRM gibt an, dass bei Frauen unter 38 Jahren die Chancen auf ein Baby pro gefrorenem Ei zwischen zwei und zwölf Prozent liegen. Aber es gibt noch nicht genügend zuverlässige Daten. In einer der führenden Einrichtungen, im New Yorker NYU Langone Medical Center, gingen Frauen zwischen 2004 und Mitte 2015 durch insgesamt 2500 Ernte-Runden. 250 Frauen sind zum Auftauen zurückgekommen, 22 waren schwanger, 80 wurden Babys geboren. Das Time-Magazin hat andere Zahlen ausgewertet und kommt zu einer Freezing-zu-Baby-Quote von 24 Prozent. Allerdings sind viele der Eier, die bisher aufgetaut wurden, noch nach der alten Methode eingefroren worden. EggBanxx kommt deshalb auf bessere Chancen: Wer wie Nuccio mit 36 Jahren 16 Eier einfriert, habe eine Chance auf einen genetisch gesunden Embryo von 60 Prozent. "Wir wollen auf keinen Fall, dass jemand hier nach Hause geht und denkt, dass das Eiereinfrieren ihr die 2,5 Kinder garantiert, die sie gern will", sagt Sasan. "Es ist keine Garantie. Aber einfach nur Sex haben und so schwanger werden ist ja auch nicht garantiert."

"Bei allem im Leben gibt es ein Risiko", sagt Nuccio. Sie weiß noch nicht, ob sie ihre Eier jemals auftauen will. "Ich hätte lieber auf natürlichem Weg Kinder. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, die große Liebe zu finden." Aber sie hat keine Eile mehr, zurzeit geht sie gar nicht mit Männern aus, das dauernde Ticktack sei aus ihren Gedanken verschwunden, sagt sie, zur Not könnte sie auch alleine Mutter werden.

Aber noch nicht jetzt, sie hofft noch auf die nächste Beförderung, sie arbeitet als Managerin für eine Notfallklinik. Neulich saß sie mit ihren besten Freundinnen zusammen, alle hatten Kinder oder zumindest Ehemänner. "Aber es hat mich nicht traurig gemacht, ich habe jetzt keinen Druck mehr. Ich weiß ja, dass meine Eier immer 36 Jahre alt bleiben."

Am Ende der Egg-Freezing-Party in Manhattan gibt es noch ein paar Banxxtinis, das Kerzenlicht schimmert, aber die meisten gehen schnell weg. Am Ausgang drückt eine EggBanxx-Mitarbeiterin jedem eine lilafarbene Broschüre in die Hand. "Befreie dich von deiner biologischen Uhr" steht da über dem Bild einer jungen Frau, die jubelnd die Faust in die Luft reckt. Drinnen das Diagramm, das die meisten Frauen an diesem Abend hierher gebracht hat: ein Graph der umso rapider sinkt, je höher die Altersangabe auf der X- Achse ist, die Wahrscheinlichkeit auf natürlichem Weg schwanger zu werden.

Unten rechts ganz klein die Kosten für das Egg Freezing. "Ich könnte heulen", sagt Melissa, die gerade 37 geworden ist. Sie nimmt keine Broschüre mit am Ausgang. "Ich glaube, ich kann mir das einfach nicht leisten." Ihren Nachnamen will sie nicht sagen. "Stell dir vor, meine Eltern lesen das", sagt sie. "Sie sind super christlich, für die geht das gegen Gottes Willen."

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Quelle:
SZ vom 23.01.2016
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