ReportMit der Kraft des Windes

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Lange galt das Baskenland als Armenhaus Spaniens, jetzt blüht es wirtschaftlich auf.

Von Thomas Urban, Bilbao

Das Meer ist hier nie ruhig, und fast immer weht eine scharfe Brise. "Wir Basken sind sturmerprobt", ruft Imanol Zenborain durch den Wind, während das kleine Boot der Bimep-Forschungsstation hart über die Wellen hüpft. Nebel zieht auf, wie so oft vor der zerklüfteten Felsenküste. Zenborain arbeitet für die baskische Energiebehörde EVE mit Sitz in Bilbao. Bimep ist eines ihrer Paradeprojekte, die Abkürzung steht für Biscay Marine Energy Platform. Erforscht wird die Stromproduktion aus der Energie von Meereswellen, einer der neueren Trends im Bereich erneuerbare Energien. "Überaus vielversprechend", sagt der EVE-Mann.

Die Biskaya ist gefürchtet als eine kalte und raue See. Zwölf Meter hohe Wellen werden jeden Winter gemessen, auch Windstärke 12, hart von Nordwest, ist keine Seltenheit. Selbst im Sommer ist das Meer oft aufgewühlt. Windstille Tage können die Schiffer an einer Hand abzählen; der Winkel zwischen der spanischen Nordküste und dem Südwesten Frankreichs verlangt ihnen alles ab. Die ungeheuren Kräfte des Atlantiks werden in vielen Balladen besungen, meist sind es traurige Geschichten, in denen der Mensch dem Meer unterliegt.

Doch seit einigen Jahren versuchen Menschen nicht nur, den Naturgewalten zu trotzen, sondern sie auch für sich zu nutzen: Die Küste des Baskenlandes ist zum Experimentierfeld für erneuerbare Energien aus Wind und Wasser geworden. Dutzende Produzenten haben sich hier angesiedelt, ebenso wie die großen Stromversorger. Und inzwischen drängen die baskischen Firmen zunehmend auf den Weltmarkt und fordern die deutsche und die ebenfalls stark expandierende chinesische Konkurrenz heraus.

Es war allerdings ein harter Weg dahin. Noch vor einer Generation hatte nichts auf diesen Aufschwung der Region hingedeutet, ganz im Gegenteil: Die Krise der europäischen Montanindustrie, die auch das Ruhrgebiet, das Saarland, Lothringen und Mittelengland erschütterte, führte im industrialisierten Küstenstreifen um Bilbao zur Schließung von Werften, Stahlwerken und anderen metallverarbeitenden Betrieben. Innerhalb weniger Jahre wurden mehr als 100 000 Menschen arbeitslos.

Wie unabhängig die Basken sind, zeigte sich jetzt beim Misstrauensvotum in Madrid

In dieser Zeit fand die Terrororganisation Eta, die ein sozialistisches Himmelreich auf Erden versprach, gerade in der jungen Generation viele Anhänger. Mit Autobomben und Genickschüssen wollte sie die Unabhängigkeit von Spanien erzwingen und prägte damit Jahrzehnte lang den Blick aus dem Ausland auf die Region. Doch das ist Geschichte. Anfang Mai dieses Jahres haben die noch verbliebenen Eta-Kämpfer die Auflösung der Terrortruppe verkündet. Für ein unabhängiges Baskenland kann sich heute gerade noch ein Fünftel der Bevölkerung erwärmen. Überraschend ist das nicht: Die Region hat mit rund 35 000 Euro im Jahr das höchste Pro-Kopf-Einkommen in Spanien und mit elf Prozent die niedrigste Arbeitslosenquote, sechs Punkte unter dem Landesdurchschnitt.

Dieser beachtliche Aufschwung sei vor allem den Wirtschaftsreformen der Regionalregierung zu verdanken, sagt Mikel Burzako von der Baskischen Nationalistischen Partei (PNV). Die Zentrale der langjährigen Regierungspartei, die trotz ihres Namens gemäßigte Positionen vertritt, befindet sich mitten im Geschäftsviertel von Bilbao mit seinen prachtvoll renovierten Bürgerhäusern, die den neuen Reichtum der Stadt widerspiegeln. Zu einem Glas Rioja aus der Region erklärt Burzako: "Die Politiker erkannten in den Hochzeiten des Eta-Terrors vor drei Jahrzehnten, dass nur eine wirtschaftliche Erholung das Auseinanderbrechen der Gesellschaft verhindern kann." Lächelnd fügt er hinzu: "Orientiert haben wir uns am bayerischen Modell, wir haben wie München auf Zukunftstechnologien gesetzt."

Geholfen hat freilich auch, dass es den Basken - anders als den Katalanen - gelungen ist, der spanischen Regierung schon 1979 eine weitreichende Autonomie abzutrotzen, einschließlich Verfügungsrechten über die Steuereinnahmen. Das erleichterte die Wirtschaftsförderung, die Basken müssen nicht mehr als Bittsteller nach Madrid reisen, auch wenn man sich dort immer wieder großzügig zeigte. Wie unabhängig die Basken heute sind, zeigte sich jetzt, als sie dem spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy die Gefolgschaft aufkündigten, obwohl dieser der Region Millionen-Investitionen zugesagt hatte.

Das jüngste Projekt: Strom aus der Energie der Wellen

Ihr Geld haben die Basken geschickt eingesetzt. Als Zukunftstechnologien identifizierten sie die IT- und die Biotech-Branche sowie die erneuerbaren Energien. Das zahlt sich nun aus - auch für Spanien insgesamt. Heute ist das Land bei der Nutzung des Windes Spitzenreiter weltweit, Windkraft rangiert im spanischen Energiemix an erster Stelle, noch vor der Atomenergie. Der Wind sichert ein Viertel der gesamten Stromproduktion, Tendenz weiter steigend, während der Anteil der einst so hoffnungsvoll ausgebauten Solarenergie stagniert. Dies ist auch eine der Folgen der Wirtschaftskrise von 2008. In den Boomjahren davor hatte die spanische Regierung den Solarstrom stark subventioniert, doch in der Krise, als der Staatshaushalt saniert werden musste, setzte das Finanzministerium den Rotstift an. Seitdem streitet Madrid mit Energiekonzernen, auch ausländischen, um Entschädigung.

Bei Wasser- und Windkraft gab es dagegen keine Rückschläge. Und auch das Baskenland blieb von der Krise weitgehend verschont. In Bilbao sagt man, dies liege vor allem daran, dass man hier die Dinge selbst in die Hand nehme. Die Basken rühmen sich als gute Organisatoren, ihnen liege Erfindergeist im Blut, sie ließen sich von Rückschlägen nicht entmutigen, sondern verfolgten hartnäckig ihre Ziele, außerdem seien sie sparsam - all diese Eigenschaften spricht man den Spaniern gern ab. Doch richtig ernst gemeint sind solche Sprüche nicht: Viele der 2,2 Millionen Einwohner des Baskenlandes sind aus anderen Ecken Spaniens hierher gezogen.

Realistischer ist vielmehr eine andere Erklärung. Die Sonne scheint zu wenig im Baskenland, es gibt zu viel Nebel, also setzen die Basken vor allem auf den Wind. Einen Partner fand die Regionalregierung in dem in Bilbao ansässigen Energiekonzern Iberdrola, der mittlerweile der Branchenführer des ganzen Landes ist. Das Iberdrola-Hochaus in Bilbao bietet einen grandiosen Blick auf die Stadt und das 1997 eröffnete futuristische Guggenheim-Museum mit seiner titanverkleideten Fassade, das zu einem Symbol für den Aufbruch und zu einem Touristenmagnet wurde.

Zugute kommt den Basken aber noch eine andere Entwicklung: Während auch andere Regionen Spaniens sehr früh auf die Windkraft setzten und sich im Land seit der Jahrtausendwende die Windräder rapide ausbreiteten, allen voran in Westandalusien entlang der Straße von Gibraltar, wo fast immer ein kräftiger Wind weht, war man im Baskenland zurückhaltender. Es gibt hier nicht die großen Latifundien wie in anderen Regionen Spaniens, alles ist viel kleinteiliger - und viele Grundbesitzer sträubten sich gegen die enormen Windräder. So setzten die Stromkonzerne auf Windparks im Meer.

Die Entscheidung war vorausschauend. Denn in vielen Ländern stößt die "Verspargelung" der Landschaft inzwischen auf erheblichen Widerstand in der Bevölkerung. Selbst unter Naturschützern, die ursprünglich von der Nutzung der Windenergie begeistert waren, ist die Technik umstritten: Die riesigen Rotoren gefährden die Vogelwelt, ihr starkes Surren ist lästig, das ständige Vibrieren der Luft, so wird befürchtet, beeinträchtige oder schädige gar jeden lebenden Organismus. Die Windparks im Meer machen nicht diese Art von Problemen. Sie liegen nicht einmal in Sichtweite der Küste und für Vogelschwärme zu weit draußen. Ob sie der Unterwasserfauna schaden ist umstritten, doch das ist nur ein marginales Thema in der öffentlichen Debatte.

Und mit dem Wohlstand kam auch der Frieden.
Und mit dem Wohlstand kam auch der Frieden. (Foto: Marcelo del Pozo/REUTERS)

Für die Anlagenbauer waren die Voraussetzungen im Baskenland günstig: Es gab stillgelegte Industrieanlagen neben den Häfen an der Biskaya-Küste, auf denen man aufbauen konnte. Die Produktion in unmittelbarer Nähe des Meeres macht den Transport der gigantischen Bauteile über Land überflüssig. Auch wurden neue Gewerbegebiete an der Küste erschlossen.

In einem von ihnen hat sich die junge Firma Haizea angesiedelt, der baskische Name bedeutet schlicht: Wind. Firmenchef José Luis García-Alegre führt durch die 500 Meter lange Werkhalle, bis zum Hafen sind es nur ein paar Schritte. Im Zentrum der Halle: die U-förmige Produktionsstraße für die Türme der Windräder. Die Stahlplatten kommen überwiegend aus der benachbarten Region Asturien, deren traditionsreiche Stahlindustrie auf diese Weise ebenfalls vom Windboom der Basken profitiert. Die Platten werden erhitzt, gewalzt und gebogen, verschweißt und lackiert. Alles ist groß hier: Die einzelnen Teile der konisch zulaufenden Türme können bis zu 50 Meter lang sein. Die höchsten in Serie hergestellten Windräder messen 175 Meter, mehr als der Kölner Dom, und wiegen 400 Tonnen. Groß sind auch die Rotorblätter mit 62 Metern und jeweils 15 Tonnen schwer.

Doch nicht nur die Türme selbst, auch deren Innenleben wird größtenteils im Land produziert: die Aufzüge, die Schächte für die Starkstromkabel, schließlich die Dutzende Tonnen wiegenden Maschinenhäuser. Lastkräne hieven die Bauteile auf Spezialschiffe, für die das Hafenbecken von Bilbao bis auf 21 Meter Tiefe ausgebaggert wurde. "Auch diese Schiffe haben einheimische Ingenieure entworfen", betont García-Alegre. Einigen der alteingesessenen Werften haben diese Aufträge das Überleben gesichert. Die Schiffe sind gleichzeitig auch Schwimmkräne, die im Zielgebiet die Einzelteile der Windräder hochwuchten. So ist innerhalb weniger Jahre dank gezielter Förderung eine neue hochspezialisierte Maschinenbauindustrie entstanden.

Die großen Hersteller von Windkraftanlagen, allen voran Siemens und der dänische Marktführer Vestas, hat die rasche Expansion der Basken, die sie anfangs nicht so recht ernst genommen hatten, überrascht. Statt sich auf einen kräfteverschleißenden Preiskampf einzulassen, ging Siemens in die Offensive: Die Münchner gliederten ihre Windsparte aus und schlossen sie im vergangenen Jahr kurzerhand mit dem baskischen Herausforderer Gamesa zusammen. Siemens hält nun 59 Prozent der Anteile, acht Prozent der Stromversorger Iberdrola. Der neue Konzern mit dem Doppelnamen Siemens Gamesa beschäftigt weltweit 27 000 Personen, bei Offshore-Anlagen ist er Weltmarktführer.

Mittlerweile aber treibt die Europäer ohnehin eine andere Sorge um: Wie lässt sich das Terrain gegen die Konkurrenz aus China verteidigen? Gegen Unternehmen wie Xinjiang Goldwind zum Beispiel, die sich in schnellem Tempo auf dem Weltmarkt breitmachen? Vieles von dem, was die Chinesen anbieten, seien dreiste Kopien patentgeschützter Modelle der europäischen Hersteller, hört man immer wieder in Bilbao, auch wenn niemand damit zitiert werden will. Doch klagen? Koste nur Zeit und Geld, heißt es. Die Fachleute in Bilbao weisen auf einen Konstruktionsfehler in der Handelspolitik der EU hin: Zwar habe die EU hohe Importzölle auf chinesischen Stahl verhängt, da er stark subventioniert werde. Doch in China hergestellte Türme für Windräder, die aus eben jenem Stahl gefertigt werden, unterliegen keinen Beschränkungen.

In Bilbao ist man aber überzeugt, es mit den Chinesen aufnehmen zu können. "Im Offshore-Sektor erreichen die Chinesen bei Weitem nicht die geforderte Qualität", sagt etwa Haizea-Chef José Luis García-Alegre selbstbewusst. Gleichwohl haben sich die baskischen Firmen vor einiger Zeit auf Initiative der Energiebehörde EVE zu einer begrenzten Kooperation entschieden: Gemeinsam betreiben sie nun die Windbox, ein Test- und Forschungsinstitut in den grünen Hügeln im Hinterland von Bilbao. Je ein Viertel des Budgets steuern die EU und die Regionalregierung bei.

Spezialisiert sind die Windbox-Experten auf Belastungstests für die Komponenten von Windrädern für die Offshore-Anlagen, von den Dichtungen über die Getriebe bis zu den Rotorblättern. Die Produzenten setzen immer mehr auf schwimmende Plattformen für die Windräder, die über gewaltige Stahltrossen auf dem Meeresgrund verankert werden. Dies ist billiger als die gigantischen Sockel, die bislang das vorherrschende Baumodell waren. Im Blick haben sie dabei aber weniger die stürmische Biskaya als andere Weltgegenden, in denen das Meer meist ruhiger ist.

Stolz ist man in Bilbao aber vor allem auf das Projekt Bimep, der "Biskaya-Plattform für Meeresenergie", das Strom aus der Energie der Meereswellen gewinnen will. Dies sei "ein ureigenes Ding der Biskaya", sagt EVE-Mann Imanol Zenborain. Vor zehn Jahren wurde mit dem Aufbau begonnen, seit drei Jahren produziert die Anlage Strom. Auf einem Felsen über dem Meer stehen die Forschungs- und die Umspannstation gleich neben dem Fischerdorf Armintza rund 25 Kilometer nordöstlich von Bilbao. Zu ihr führen Unterseekabel von den Bojen, die etwa zwei Kilometer vor der Steilküste die Auf- und Ab-Bewegung der Wellen in Strom umwandeln. Von Weitem sehen die grellorange und grün gestrichenen Bojen wie kleine Blechdosen aus, die auf dem Meer tanzen. Doch sind sie mehr als zehn Meter hoch, wenn sie aus dem Meer ragen.

Noch ist nicht abzusehen, wie schnell sich die Kosten für Produktion und Aufbau solcher Anlagen amortisieren. Die Transformation der Kraft des Ozeans in Strom verbessert sich mit jeder Testreihe, die Übertragungsverluste werden immer geringer. Überdies haben Tierschützer und das Umweltministerium keinerlei Bedenken angemeldet, wie Zenborain berichtet. Der Lebensraum von Vögeln werde nicht eingegrenzt, im Gegenteil: Die sturmerprobten Biskaya-Möwen ruhen sich gern auf den Riesenbojen aus. Fische lassen sich nicht abschrecken, sondern umkreisen neugierig die Anlagen.

Ein Problem aber haben die hochqualifizierten Elektroingenieure noch nicht gelöst: Auf den Sensoren der Bojen siedeln sich schnell Algen an, sodass die übertragenen Daten verfälscht werden. Hier nützt alles Wissen um Hochtechnologie nichts: Man muss mit dem Boot hinausfahren und die Sensoren sauber schrubben.

© SZ vom 02.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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