Investoren in der Bundesrepublik:Herzlich willkommen in China-Land

In der Messzelle der A8 Qualitaetssicherung im Karosseriebau tasten automatische Sensoren die Huelle

Bis 2025 will die Regierung in Peking das Land in einer Reihe von Schlüsselindustrien Nummer eins werden. Dafür steigen chinesische Firmen zum Beispiel bei Autozulieferern ein.

(Foto: imago/Stephan Görlich)

Seit Jahren kaufen Chinesen deutsche Firmen. In der Politik wächst das Misstrauen, in den Unternehmen sind die neuen Eigentümer oft erwünscht. Aber welche Ziele verfolgen sie?

Von Thomas Fromm

Die beiden Männer, die sich bei diesem Galaabend Ende März immer wieder anlächeln, haben zwar keine gemeinsame Sprache, aber einen Dolmetscher. Leute, die sie gut kennen, sagen, dass sich der Deutsche und der Chinese sehr gut verstehen. Das ist wichtig, denn der Chinese hat das Unternehmen des Deutschen vor zwei Jahren für 925 Millionen Euro gekauft.

Gerade hat der eine seine Rede gehalten und ist zurück zu seinem Platz im noblen Münchner Hotel Bayerischer Hof gegangen. Der andere wartet auf ihn. Nickt, lacht und reicht ihm über den Tisch hinweg die Hand. Die hält die Hand des anderen lange fest. Danke, vielen Dank. So nice.

Deutsch-chinesische Harmonie: Der Chef des staatlichen Chemiekonzerns Chem China, Ren Jianxin, genannt Chairman Ren, ist zufrieden mit dem Auftritt des Deutschen: Frank Stieler, der erste Mann des Maschinenbaukonzerns Krauss-Maffei, hat eine Rede zum 180. Geburtstag seines Unternehmens gehalten. Und sie war ganz nach dem Geschmack des Gastes aus Fernost. Mit der richtigen Mischung aus Strategie und Industrie, garniert mit einem kräftigen Schuss Pathos. Krauss-Maffei sei "wieder zurückgekehrt zu einem Eigentümer, der seine Unternehmen und Mitarbeiter in seine Familie aufnimmt", schwärmt der Deutsche. Und man habe mit "Chem China einen Eigentümer bekommen, dem die Zukunft des Unternehmens am Herzen liegt". Dann werden Gastgeschenke verteilt, die Gäste klatschen, und eine Moderatorin sagt: "Toll, dass Sie sich auf diesen weiten Weg gemacht haben." Wenn Chinesen deutsche Unternehmen übernehmen und dann gemeinsam im Bayerischen Hof gefeiert wird, dann geht es um ganz große Gefühle.

Investoren in der Bundesrepublik: Die Maschinen von Krauss-Maffei.

Die Maschinen von Krauss-Maffei.

(Foto: Eberhard Franke/OH)

Krauss-Maffei, der 180 Jahre alte Traditionskonzern mit seinen 5000 Mitarbeitern, er soll seine Firmenzentrale in München behalten. Die Manager sollen freie Hand haben, Schlüsseltechnologien im Konzern bleiben. Der Konzern soll aber auch in Shanghai börsennotiert und dafür in eine bereits gelistete Firma von Chem China eingebracht werden. Mit dem Geld der chinesischen Investoren, so das Kalkül, soll Krauss-Maffei dann weiter wachsen, vor allem in: China.

Eigentlich soll in München also alles bleiben, wie es ist. Andererseits soll sich alles verändern. Wie das alles zusammen- geht? In einem Jahr, vielleicht in zwei, wird man es genauer wissen.

Seit die Regierung in Peking 2015 ihre Initiative "Made in China 2025" beschlossen und eine ganze Reihe von Schlüsselindustrien definiert hat, die das Land zur Nummer eins machen sollen, weiß die Welt: China hat einen Masterplan. Seitdem sind die Investitionen stark angestiegen. Ein Zufall ist das nicht. Ging es bis dahin "nur" darum, Geld zu verdienen und Technologien an Land zu ziehen, bekam die Expansion danach ein politisches Ziel. Heute gelten längst nicht nur Staatskonzerne wie Chem China als Erfüller dieses Plans - auch in privaten Unternehmen, berichten Insider, wachse die Rolle der Partei.

Was also ist hier noch Wirtschaft, was Politik? Im Bayerischen Hof wird an diesem Abend gratuliert, gefeiert, gegessen. Und irgendwann zwischen Ravioli, pochiertem Kalbsfilet und dem Auftritt eines Digital-Magiers geht der Chairman persönlich ans Mikrofon. Er beschwört die "vielversprechende Jahreszeit des Frühlings"; Krauss-Maffei sei ein "erfolgreiches Beispiel für die Kooperation zwischen Deutschen und Chinesen", für das Zusammenspiel deutscher Technologie und der "Made in China 2025-Initiative".

Dann werden die 200 Galagäste Zeugen einer bemerkenswerten Wandlung: Chairman Ren, Herr über ein staatliches Imperium, das vor drei Jahren schon für sieben Milliarden Euro die italienische Reifenlegende Pirelli schluckte, dieser Chairman verwandelt sich während seiner Laudatio in einen Lyriker und Philosophen. Er sagt Sätze wie: "Der riesige Ozean nimmt Hunderte von Flüssen auf, und er ist groß, weil er so viel aufnehmen kann."

Insider beobachten eine "zunehmend anti-chinesische Stimmung"

Das Gleichnis vom großen Ozean, man muss es erst einmal auf sich wirken lassen. Chinesische Investoren sind seit Jahren auf internationaler Shopping-Tour. Eines ihrer beliebtesten Ziele: Deutschland. 4,5 Milliarden Euro legte der südchinesische Kühlschränkehersteller Midea für den Augsburger Industrieroboterhersteller Kuka hin und löste damit eine politische Großdebatte aus. Darf man dieses hochsensible Geschäft nach China verkaufen? Was passiert nun mit der Technologie, was mit den Kunden? Der chinesische Mischkonzern HNA kaufte sich bei der Deutschen Bank ein, Chinesen kauften den Betonpumpenhersteller Putzmeister, den Gabelstaplerspezialisten Kion, die traditionsreiche Frankfurter Privatbank Hauck & Aufhäuser. Zuletzt wurde bekannt, dass Li Shufu, Chef und Eigentümer des größten chinesischen Autobauers Geely, fast zehn Prozent der Daimler-Aktien gekauft hat. Im Hintergrund, heimlich, still und leise - bis er den Konzern vor vollendete Tatsachen stellte.

Seitdem beobachten Insider eine "zunehmend anti-chinesische Stimmung" in der Szene. Das Anschleichen an einen Dax-Konzern ohne großen Ankeraktionär ist nicht nur unfreundlich, man könnte es durchaus als feindlichen Akt einstufen. Neulich schrieb der Geely-Chef einen offenen Brief: Man müsse "aktiv die Möglichkeit umfangreicher Allianzen ausloten, anstatt uns der Realität zu entziehen und den Kopf in den Sand zu stecken". Li Shufu, der Selfmademan aus China, will bei Daimler mehr als nur Geld investieren.

Milliarden geben Chinesen Jahr für Jahr in Deutschland aus. Mal investieren sie in große Unternehmen in großen Städten, manchmal greifen sie nach kleinen Firmen in der Provinz. Und so gibt es in dieser Welt der chinesischen Firmenübernahmen sehr unterschiedliche Geschichten. Die einen sagen, dass sie nur ihr Geld investieren wollen und sichere Renditen suchen. Andere wollen Technologien und Märkte.Und bei einigen ist gar nicht so klar, was sie eigentlich wollen.

In Essen im Ruhrgebiet, ein paar Straßen hinter den Grugahallen, geht es um viel Geld. Hier residiert der Essener Energie- und Immobiliendienstleister Ista, eine Firma, die Menschen vor allem kennen, weil sie ihre Leute einmal im Jahr in die Wohnungen der Republik schickt, um etwa Heizungszähler abzulesen. Als der britische Finanzinvestor CVC Capital das Unternehmen im vergangenen Sommer an den Investor CKI des Hongkonger Milliardärs Li Ka-Shing verkaufte, sollen zwischen vier und fünf Milliarden Euro geflossen sein. Wer noch einen Beleg dafür brauchte, wie lukrativ das Geschäft mit dem Ablesen in Privatwohnungen ist - bitte, hier war er. Ein Wärmemesskonzern, der in Millionen Wohnungen den Heizungsverbrauch erfasst, war nun chinesisch - das kann man durchaus problematisch finden. Ista-Chef Thomas Zinnöcker weist Kritik zurück. Der Investor sei aus Hongkong, weit weg von Peking: "Die Daten liegen bei uns und das bleibt auch so. Unser Gesellschafter hat keine übergeordneten geopolitischen Interessen und Strategien." Auch gehe es nicht darum, "Technologie abzusaugen". Es soll bei dem Investor, der über den Mischkonzern Hutchison Whampoa mit 40 Prozent an der Drogeriekette Rossmann beteiligt ist, also vor allem um eines gehen: Geld. "Wir haben die Aufgabe, eine Dividende zu liefern", sagt Zinnöcker.

Viele Unternehmen hoffen neben Geld vor allem auf neue Geschäftschancen in China

Der Immobilienmanager, ein ziemlich großer, ziemlich kräftiger Mann mit festem Händedruck, ist in der Branche kein Unbekannter. Beim Wohnungskonzern Vonovia saß er mal im Vorstand. Nach dem Ista-Verkauf dann machte er ganz neue Erfahrungen. Da saß Zinnöcker in seinem Hotel in Hongkong, als der Sohn des Investors anrief. "Kurze Zeit später saß er auf dem Schreibtischstuhl meines Hotelzimmers, ich saß auf dem Bett. Wir unterhielten uns lange. Beim Abendempfang habe ich dann den ganzen Abend an seiner Seite gesessen. Ich war das quasi neueste Kind in seiner Industriefamilie."

Zinnöckers Ablesekonzern gehört zur Familie, Krauss-Maffei ist Familienmitglied, und auch Kuka-Chef Till Reuter spricht gern von der Familie. Es geht schnell, in diesen deutsch-chinesischen Beziehungen adoptiert zu werden. Und dann?

Wie gerät man als Firma aus der nordbayerischen Provinz ins Visier der Chinesen?

Im Flur der Firmenzentrale des Autozulieferers Preh in Bad Neustadt an der Saale hängt noch ein altes Familienbild. Es zeigt den Firmenurahn Jakob Preh, der das Unternehmen vor fast 100 Jahren in einem alten Wirtshaus mit Kegelbahn gründete. In der Kantine gibt es heute Rinderrouladen mit Knödel - willkommen in Unterfranken, bei einem alten Traditionsunternehmen, das seit sieben Jahren zu einer neuen Familie gehört: Der Joyson-Gruppe aus Ningbo.

Dass chinesische Investoren den Dax-Konzern Daimler, den Roboterbauer Kuka und auch Krauss-Maffei interessant finden, das ist vielleicht alles nicht überraschend. Wie aber gerät man als Hersteller von Fahrerbediensystemen aus der nordbayerischen Provinz ins Visier von Joyson?

Die Geschichte geht anders, als man denkt. Preh gehörte bis 2011 dem Finanzinvestor Deutsche Beteiligungs AG. Als verkauft wurde, fanden die Preh-Leute einen chinesischen Eigentümer interessant. Die Befürchtungen: Ein deutscher Investor, zumal, wenn er aus der gleichen Branche kommt, streicht meistens Stellen und legt Büros zusammen. Ein reiner Finanzinvestor will Zahlen sehen und interessiert sich nicht für Autoelektronik, und ein US-Investor filetiert und verkauft. Und außerdem wollten die Franken auf den chinesischen Markt. "Um in China Geschäfte zu machen - auch mit deutschen Autoherstellern wie Volkswagen - muss man lokal präsent sein", sagt Preh-Chef Christoph Hummel. Der chinesische Eigentümer als Türöffner für den größten Automarkt der Welt, so etwas hilft. 2010 noch machte Preh einen Umsatz von 352 Millionen Euro. Heute sind es 1,3 Milliarden. 2011 hatte das Unternehmen 2800 Mitarbeiter weltweit. Heute 6500. "Wir sind froh, dass wir diesen Eigentümer haben", sagt Hummel. Und er meint es wohl so, wie er es sagt.

Investoren in der Bundesrepublik: Auch der Zulieferer für Autoteile Preh wurde für chinesische Investoren interessant.

Auch der Zulieferer für Autoteile Preh wurde für chinesische Investoren interessant.

(Foto: OH)

Aber nicht alle trauen dem großen Ozean. Der Bundesverfassungsschutz mahnte in diesen Wochen: Der Verkauf deutscher Firmen nach China könne nicht nur auf Kosten des hiesigen Technologievorsprungs, sondern auch der Sicherheit gehen. "Wirtschaftsspionage ist nicht mehr notwendig, wenn man unter Nutzung des liberalen Wirtschaftsrechts die Unternehmen einfach aufkaufen und sie dann ausweiden oder ausschlachten kann, jedenfalls, was das Know-how dieser Unternehmen angeht", warnt Verfassungsschutz-präsident Hans-Georg Maaßen.

In der Politik sieht man die Dinge einiges kritischer als in der Wirtschaft: Peking blockiert das freie Internet und zwingt ausländische Unternehmen und ihre internen Informationen auf chinesische Server. Der Nationale Volkskongress hebt die Amtszeitbegrenzung des Präsidenten auf - Xi Jinping forever! In den Unternehmen aber macht man derweil business as usual.

Zum Beispiel bei Kiekert, einem Hersteller von Türschlössern aus Heiligenhaus bei Düsseldorf, gegründet 1857. Der Autozulieferer, der in den Siebzigerjahren die Zentralverriegelung erfand, wurde 2012 an den börsennotierten chinesischen Autozulieferer Lingyun verkauft, der wiederum zum staatlichen Industriekonglomerat China North Industries gehört. Im Grunde das gleiche Muster wie bei Preh: Der eine investiert und erhält dafür Technologien und einen Zugang zu den internationalen Märkten, der andere baut sein Geschäft aus, vor allem in China. "Auch nach Jahren der Übernahme handelt unser strategischer Investor eher mit der Mentalität eines Häuslebauers", sagt Kiekert-Chef Karl Krause. "Man baut langfristig und ist nachhaltig orientiert." Und man sehe "nirgendwo, dass bei uns Technologie abgezogen wird."

Und doch ist es nicht so, dass sich die neuen Eigentümer ihren Einfluss nicht sichern würden. Nach den Übernahmen ziehen die Vertreter der neuen Eigentümer meist in den Aufsichtsrat ein, bei Preh sitzt ein chinesischer Manager mit in der Geschäftsführung. Er heißt Charlie Cai, hat sich neulich bei Würzburg ein Haus gekauft und sei - darauf legt Preh-Chef Hummel großen Wert - "kein 'Statthalter' des Eigentümers". Der heißt Jeff Wang und ist Gründer der Joyson-Gruppe, Wang und Hummel telefonieren einmal in der Woche, einmal im Monat treffen sie sich, entweder in Deutschland oder in China. Dass Wang sein Familienmitglied nach einigen Jahren bald wieder verkaufen könnte, glaubt der Deutsche nicht. "Chinesen denken in langen Zeitabschnitten", sagt er.

Manchmal kann es aber auch ganz schnell gehen. Die frühere Osram-Lampentochter Ledvance, für über 400 Millionen Euro an den chinesischen LED-Spezialisten MLS verkauft, steht schon wenige Monate später vor einem radikalen Kahlschlag. 1 400 der 2 300 Jobs in Deutschland sollen abgebaut werden. Maßnahmen, so heißt es bei Ledvance, für die man nicht den neuen Eigentümer aus China verantwortlich machen dürfe. Unter dem früheren Eigentümer Osram wäre es früher oder später "genauso gekommen".

Die Manager geben sich zurückhaltend, Politiker dagegen sind zunehmend alarmiert

Warum aber haben sich die Chinesen dann darauf eingelassen? "MLS hat das Geschäft gekauft, um global Fuß zu fassen", sagt ein Ledvance-Sprecher. "Die haben noch Großes mit uns vor." Erst klein machen, dann Großes vorhaben? Kritiker sagen: Die Chinesen könnten es auf die Vertriebskanäle und den Ruf der Firma Osram abgesehen haben. Der Rest - nun ja.

Anders läuft es derzeit bei Kuka. "Wir haben eine langfristige Investorenvereinbarung, die läuft über siebeneinhalb Jahre und reicht von Zusagen zu Standorten und Arbeitsplätzen bis hin zu Vereinbarungen über eine eigene IT und eigene Server", sagt Kuka-Aufsichtsrat Michael Leppek von der IG Metall. Zurzeit also: alles klar. Wird es aber so bleiben?

Ista, Krauss-Maffei, Kuka - es gibt viele Gründe, warum Chinesen nach Deutschland kommen und oft sogar sehr willkommen sind. Die Politik aber ist alarmiert: Bayern will sich dafür einsetzen, dass Übernahmen deutscher Unternehmen durch Ausländer erschwert werden. Ohne China zu nennen, war in München in dieser Woche von "Ländern mit staatlich gelenkter Wirtschaft" die Rede. In der Wirtschaft, da wo die meisten derzeit ganz gut mit den Chinesen fahren, ist man zurückhaltend. Es gehöre zwar zu einem "freien Welthandel dazu, sich gegenseitig zu öffnen", sagt Preh-Chef Hummel. "Aber mit der Brechstange sollte man das nicht versuchen. Geben wir den Chinesen noch etwas Zeit."

Mit der Zeit ist das natürlich so eine Sache. Chinesen planen ja eher langfristig.

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