Süddeutsche Zeitung

Report:Bildung aus dem Baukasten

Bill Gates und Mark Zuckerberg finanzieren private Schulen in Afrika: Sie sind billiger als die staatlichen - und besser. Trotzdem haben sie nicht nur Fans, denn die Investoren wollen Geld verdienen.

Von Bernd Dörries, Kampala

Der frühe Vogel fängt den Wurm. So ist es auch hier in Uganda. Und so steht es auf dem kleinen Schild in der Schule von Balyama Jane. Sie hat 24 Jahre lang, also fast ein Vierteljahrhundert, in den staatlichen Schulen darauf gewartet, dass die Lehrer in der Frühe in die Schule kommen, dass sie zumindest überhaupt irgendwann erscheinen. Sie hat als Schulleiterin ihre Kollegen ermahnt, sie hat Listen geführt, sie hat Verweise geschrieben. Irgendwann hat sie aufgegeben. Nun sitzt sie in einem kleinen Raum mit Mauern aus Stein und einem Dach aus Wellblech und hält ein kleines Tablet in der Hand. "Das hier hat alles verändert", sagt sie.

Sie ist nun wieder Direktorin, nicht mehr in einer staatlichen, sondern in einer Schule der privaten Kette Bridge International Academies, die sich vorgenommen hat, das Schulsystem in ganz Afrika zu verändern. Das Tablet in ihrer Hand ist der Schlüssel. "Morgens loggen sich die Lehrer mit ihren eigenen Geräten ein, ich sehe also, wer da ist und wer nicht." Dann gehen sie in die Klassenzimmer, einfache Räume, Mauern aus Stein, das Dach aus Wellblech, in den Fenstern Drahtgitter. Dreißig Schüler sitzen in einem Raum, die Uniformen so grün wie die Gebäude. An den Wänden die Sprüche vom frühen Wurm. Vorne der Lehrer mit dem Tablet in der Hand, auf dem der Stoff für den Unterricht herunterläuft. "Wenn er nicht wischt, merke ich, dass etwas nicht stimmt", sagt die Schulleiterin, dann bekommt sie eine Alarmmeldung.

Der Lehrer wischt und fragt, wer denn die Lösung für eine mathematische Aufgabe wisse, einen Dreisatz, kniffliges Ding. Jungen und Mädchen in Grün stehen auf und heben die Hand. "Faulheit ist Zeitverschwendung und bringt euch nicht weiter", steht auf einem Schild an der Wand. "Wir brechen hier den Kreislauf der Armut", sagt die Schulleiterin und lächelt. Der Lehrer wischt auf seinem Tablet, die Kinder schauen erwartungsvoll.

Für die einen ist es der Himmel. Für die anderen die Hölle.

Seit acht Jahren breiten sich solche Schulen wie die Bridge Academy in Kampala über den ganzen Kontinent aus, es ist die größte Kette von Primarschulen der Welt - 520 von ihnen gibt es schon, mehr als 10 000 Bridge-Schulen sollen es werden. Sie haben die gleichen Mauern, die gleichen Uniformen und die gleichen Tablets. Wenn die Schüler ihre Tests schreiben, gehen die Ergebnisse nach Cambridge in den USA, wo ein paar Dutzend Leute vor ihren Computern sitzen und bewerten, ob die Bekämpfung der Armut in Afrika Fortschritte macht. Was für die Frage wichtig ist, ob man mit den Schulen für die Ärmsten jemals Geld verdienen kann.

So wie man mit Facebook, Uber und Google ja auch eine Menge Geld verdient und angeblich die Welt rettet oder zumindest ein bisschen besser macht. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hat in die Bridge International Academies investiert und Bill Gates auch - ein "Social Enterprise" nennen sie Firmen wie Bridge, was so klingt, als seien Kapital und Gemeinwohl kein Gegensatz, sondern die Lösung.

"Es entstünde ein milliardenschwerer internationaler Schulkonzern."

Bridge will billiger und besser sein als andere, in dem es dieselbe Schule möglichst oft reproduziert. Mit den gleichen Wellblechdächern, den gleichen Büchern und den gleichen Uniformen. Je mehr Schulen, desto geringer die Kosten. Es ist ein gewaltiger Markt, den die Gründer von Bridge ausgemacht haben, 700 Millionen Kinder weltweit, die in Armut leben. "Ein aggressives Start-up-Unternehmen, das es schafft, für weniger als fünf Dollar qualitativ hochwertige Bildung anzubieten für diese 700 Millionen Kinder würde den Status quo radikal verändern und wäre ein milliardenschwerer globaler Schulkonzern", sagte Jay Kimmelman, einer der Gründer. Und so radikal wie der Plan ist mittlerweile auch der Widerstand.

"Moralisch falsch", nennen Lehrergewerkschaften und auch ein UN-Sondergesandter das Modell von Bridge. Bildung müsse frei sein, dürfe nicht zum Spielball der Kapitalisten aus dem Silicon Valley werden. Kein Bildungs-Uber, bei dem die Lehrer mit Dumpinglöhnen abgespeist werden, damit Bildungskonzerne möglichst große Profite machen.

Die Profite von Sylvia Nakadua werden an diesem Tag vielleicht einen Euro betragen, wenn es gut läuft. Was an diesem Morgen vor allem läuft, ist der Regen, der den kleinen Weg hinunterkommt und unter ihrem kleinen Stand hindurchfließt. Tomaten hat sie heute im Angebot und Auberginen, so wie sie jeden Tag Tomaten im Angebot hat und Auberginen. Drei bis vier Hände voll. Sie holt sie am frühen Morgen auf dem Markt, eine Fußstunde entfernt, und wartet dann den ganzen Tag darauf, dass Kunden kommen. Ein ganz normaler Beruf in Afrika, der Job von Millionen Frauen wie Sylvia Nakadua, 37, die wiederum Millionen Kinder haben, die zur Schule sollen, die zur Schule wollen. Drei Kinder hat Nakadua, die alle zur Schule gehen, alle auf die Bridge Academy. Ihr Ältester Adrian, 12, hat neulich einen Preis bekommen als bester Schüler, Pilot wolle er mal werden.

Etwa drei Euro zahlt die Mutter pro Monat und Kind an der Bridge Academy. Wie sie das schafft mit ihrem Gemüsestand, ist ein kleines Wunder. Das Geld schickt sie mit dem Handy an die Schulverwaltung, wenn etwas nicht klappt, wenn die Kinder morgens krank sind, kann sie bei der Hotline anrufen. "Ich bin stolz, dass meine Kinder zu Bridge gehen, eine staatliche Schule ist mir zu teuer. Außerdem sind die Lehrer selten da. Ich war selbst auf einer und kann bis heute kein Englisch sprechen."

"Diese Leute sind nur am Profit interessiert."

Der freie Zugang für Bildung in den Entwicklungsländern ist seit Jahrzehnten eines der großen Ziele internationaler Organisationen und Geberländer. Die Zahl der Kinder, die in Afrika zur Schule gehen können, ist in den vergangenen Jahren deutlich größer geworden. Die große Frage ist aber, ob die Schulen in dieser Zeit auch große Fortschritte gemacht haben. Eine Frage, über die im Westen nicht gern diskutiert wird, weil sie viele der angeblichen Erfolge in der Bildungspolitik wieder infrage stellt, weil zwar viele Kinder in Schulen gehen, dort aber nichts lernen.

Nach Schätzungen der Weltbank beträgt die Abwesenheitsquote der Lehrer in Kenia 30 Prozent, andere Untersuchungen gehen von 50 Prozent aus. In Uganda fallen 56 Prozent der Unterrichtszeit aus, weil keine Lehrer da sind. In vielen anderen afrikanischen Ländern sieht es nicht besser aus. Die Lehrer warten auf ihre Löhne und müssen anderen Berufen nachgehen. In vielen Ländern wie in Uganda sind die Schulen offiziell kostenlos. In der Realität werden sie vom Staat oft alleingelassen und sie müssen sich teilweise selbst finanzieren. Mit einer Gebühr für den Erhalt der Gebäude, mit ein bisschen Geld für die Lehrer.

Millionen Eltern haben sich deshalb vom staatlichen Schulsystem abgewandt und schicken ihre Schüler auf etwa eine Million Privatschulen. Ein unüberschaubares Durcheinander, in dem viele damit werben, nach englischen oder französischen Lehrplänen zu unterrichten. Was aus dem Ausland kommt, kann nicht schlecht sein, so denken viele Eltern. Zumindest besser als das, was ich daheim bekomme.

In Kenia bestanden 50 Prozent der Lehrer einen Test nicht, der für Schüler der achten Klasse gedacht war. In Uganda wurden die Lehrer gefragt: Eine Kuh gibt sechzig Liter Milch. Eine andere 70. Wie viel mehr Prozent sind das? Drei Viertel der Lehrer sagten: 10. In Liberia scheiterten neulich alle 25 000 Schulabsolventen an der Aufnahmeprüfung zu den staatlichen Hochschulen. Kein Einziger bekam die Zulassung.

Dort hat das Bildungsministerium einen Pilotversuch genehmigt, ob Anbietern wie Bridge nicht einfach fast das gesamte Schulsystem eines Landes überlassen werden sollte. In Nigeria hat sich der Staat bereits selbst an Bridge beteiligt. Schafft ein Unternehmen aus den USA das, woran die afrikanischen Staaten und auch die internationalen Geber seit Jahren scheitern: Bezahlbaren Zugang zu Bildung für alle. Zu guter Bildung? Die Fehlzeiten der Lehrer an den Bridge Academies liegen bei einem Prozent. Auch die Ärmsten der Armen können sich die Gebühren leisten. Sehr viele Schüler schneiden in den Abschlussprüfungen gut ab, einige werden später auch auf die Uni gehen. Viele frühe Vögel.

"Für mich war die Schule ein wohliger Ort, er gab mir Sicherheit, es gab Lehrer, die auf mich eingegangen sind. Ich hätte all die Chancen nicht gehabt, die ich jetzt habe. Es ist so schade, dass viele Schüler das nicht haben." So erzählt es Shannon May, die Gründerin von Bridge.

May stammt aus dem amerikanischen Vorstadtnirgendwo, sie hat fünf Geschwister und eine Familiengeschichte, die nicht immer ganz einfach war. "Es gab Vorfälle häuslicher Gewalt", sagt sie. Die Schule war ein Ort der Sicherheit, eine andere Welt. Mit Lehrern, die sich kümmerten. Lange dachte May, das sei so oder so ähnlich überall auf der Welt. Sie studierte Sozialwissenschaften in Harvard und machte einen Doktor in Berkeley, für die Promotion fuhr sie nach China, weit raus aufs Land und arbeitete in einer Schule. "Nichts hat dort gepasst. Es hat mein Leben verändert. Ich hatte dort das Gegenteil von dem gesehen, wie meine Schule war. Die Eltern schickten ihre Kinder nicht mehr hin, weil sie nichts lernen konnten."

May entwickelte das Konzept von Bridge. Es gab Pilotprojekte und einen Businessplan. Es ging nicht um das große Geld, sagt May, aber die Schulen sollten nicht abhängig sein von Entwicklungshilfe, sie sollten für sich selbst funktionieren. Sie sollten den Wünschen der Eltern entsprechen, die als Kunden über den Erfolg entscheiden würden.

Bill Gates gab hundert Millionen Euro, Mark Zuckerberg zehn dazu. "Bildung ist eine starke Kraft, die Menschen und Gesellschaften verändern kann. Ich hoffe, dass dieses Investment unglaublichen Wandel in vielen Gemeinschaften auslösen wird", sagte Zuckerberg zu seinem Engagement. Besonders gefallen haben ihm die Tablets, über die der "education content" weiter- verbreitet werde.

Zuckerberg, Gates, Content.

Es klingt ein wenig so, als werde die Bildung in einem afrikanischen Land zu einem weiteren Teil der Wertschöpfungskette der Internet-Konzerne. Auch Rivale Google investiert in eine Schulkette für Entwicklungsländer, in den Bridge-Konkurrenten Omega und hat gleich einen Schulbuchverlag mit an Bord.

"Diese Leute sind nur am Profit interessiert", sagt Camilla Croso von der Global Campaign for Education. Es ist das Hauptargument der Gegner, obwohl Bridge jedes Jahr Verluste von geschätzt zehn Millionen Dollar aufhäuft. Der Widerstand gegen die neuen Privatschulen wächst, je weiter man sich von Afrika entfernt. Der Chef der Lehrergewerkschaft in Uganda hat keine Zeit, sich über Bridge zu unterhalten. Von der Lehrergewerkschaft Education International aus Brüssel kommen dagegen fast wöchentlich Vorwürfe gegen Bridge, die mit dazu führten, dass die Regierung in Uganda damit drohte, Bridge-Schulen zu schließen, weil sie Pornografie verbreiten, Kinder zu Lesben und Homosexuellen machen würden. Letztlich ist Bridge vor allem eine Konkurrenz zum staatlichen Schulsystem. In dem es keine Tablets gibt. Die Eltern mögen Tablets, weil sie modern aussehen, nach einer Zukunft. Weil sie die Pünktlichkeit der Lehrer kontrollieren.

Beim Unterricht dürfe es aber nicht um das sklavische Verfolgen von Lernprogrammen gehen, vielmehr um "Denken, Debattieren und Diskussionen", sagt die Bildungsaktivistin Croso. Es ist ein Lernen, wie man es sich im Westen für Afrika vorstellt. In der Realität sieht es an sehr vielen staatlichen Schulen in Afrika etwas anders aus, die Lehrer fehlen, und wenn sie da sind, tragen sie oft einen weißen Kittel wie ein Arzt und einen Stock in der Hand, Schläge gehören zum Alltag. Bei Bridge darf nicht geschlagen werden.

Die Schulen würden nicht den baulichen Mindeststandards entsprechen, sagen die Gegner in Kenia, Aussteiger berichten davon, dass die Lehrer sich selbst darum kümmern müssen, neue Schüler zu rekrutieren. Bridge spricht von einer "Schmutzkampagne" der Lehrer-Gewerkschaften, die aus ideologischen Gründen gegen Privatschulen seien. Von den Vorwürfen der Gegner ist nicht immer etwas hängen geblieben, geschlossene Schulen wurden durch Gerichte wieder geöffnet, in Kenia arbeitet Bridge mit der Regierung an neuen Lehrplänen.

Die Streitereien haben aber Eltern verunsichert, die Schülerzahlen stiegen nicht so schnell, wie man sich es im Business-plan vorgestellt hat. Die Wende soll nun Liberia bringen, eines der ärmsten Länder der Welt, das gerade dabei ist, sein Schulsystem komplett zu privatisieren.

"Bridge-Schüler schnitten besser ab als ihre Mitschüler in staatlichen Schulen.

Liberia, das war einmal eine große Hoffnung, ein Staat für freigelassene Sklaven, die aus den USA zurückkamen. Und das Land zur Hölle machten. Seit einigen Jahren müht sich die Regierung nach Kräften, das Land nach einem langen Bürgerkrieg wieder auf die Beine zu bringen, mit gemischten Erfolgen. Jetzt sollen radikale Lösungen helfen. "Die staatlichen Schulen versagen", sagt der Chef der staatlichen Schulen, Bildungsminister George Werner. Er hat ein Pilotprojekt aufgelegt, bei dem der Staat die Schulen fast komplett in die Hände privater Betreiber gibt.

Die Eltern zahlen nichts, die Regierung gibt 50 Dollar im Jahr pro Schüler, internationale Geber zahlen noch einmal so viel. Bridge betreibt bald 68 solcher Pilotschulen in Liberia. Ende Juni stellte die Regierung die ersten Testergebnisse vor. "Sie zeigen, dass Bridge-Schüler in fast allen Rechen- und Sprachtests besser abschnitten als ihre Mitschüler in staatlichen Schulen", sagte Bildungsminister Werner. Es sieht gut aus für Bridge und das Tablet.

In der Academy in Kampala sitzen 30 Jungen und Mädchen im Klassenraum, der Regen trommelt auf das Wellblechdach. Es ist höllisch laut. Und doch sehr friedlich. Muslime und Christen in einem Klassenraum, sie lernen die eine Hälfte der Stunde etwas über den Islam und die andere Hälfte über das Christentum. Es geht um die Patriarchen in der Bibel. "Es ist großartig", sagt Michael Mark Kasibante, 62. Er steht auf dem Schulhof, hinter ihm werden in der Küche gerade Bohnen gekocht, auf einem kleinen Holzfeuer. Kasibante hat zwei Enkel auf der Bridge-School, er selbst sitzt im Elternbeirat. "Es kommen Kinder, die sich sonst keine Schule leisten könnten. Die Ärmsten der Armen. Sie bekommen eine Chance."

Alles gut also? Na ja, sagt der Mann, die Lehrer wirkten auf ihn manchmal sehr erschöpft. "Sie sind nicht immer motiviert", sagt er. Etwa 200 000 Schilling bekommt ein Lehrer bei Bridge im Monat, etwa 50 Euro. Die staatlichen Schulen haben die Gehälter gerade auf 400 000 Schilling erhöht, zahlen dafür aber nicht oder viel zu spät. "Dann lieber Bridge", sagt der Elternbeirat. "Sie sind nicht perfekt, aber besser als alles andere, was wir haben."

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Quelle:
SZ vom 22.07.2017
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