Süddeutsche Zeitung

Forum:Höchste Zeit für Renten-Kompromisse

Lesezeit: 4 min

SPD, Grüne und FDP sollten sich auf einen öffentlichen Zusatz-Fonds einigen, der Arbeitnehmern, Verbrauchern und sogar dem Mittelstand hilft.

Von Klaus Müller

Neuanfang. Aufbruch. Es sind große Worte, welche die Ampel-Verhandler in Berlin seit Wochen bemühen, um einer möglichen rot-grün-gelb gefärbten Bundesregierung eine erzählerische Unterfütterung zu geben. Ein guter Gradmesser, wieviel Wirklichkeit diese Worte tatsächlich entfalten, ist die Rentenpolitik.

Es gibt wenige Politikfelder, die derart reformbedürftig sind. Die Alterssicherung in Deutschland geht auf Krücken. Obwohl Deutschland ein reiches Land ist, sind immer mehr Rentner von Altersarmut betroffen. Die Zahl der Senioren, die ein Leben am Limit führen und Grundsicherung im Alter beziehen, steigt kontinuierlich an, von 767 000 Menschen im Jahr 2008 auf mehr als 1,1 Millionen in 2020.

Und das sind nur die offiziellen Zahlen. Tatsächlich, so Experten, beantragen rund zwei Drittel der Anspruchsberechtigten überhaupt keine Grundsicherung. Aus Scham oder Sorge, dass dann ihre Angehörigen zur Kasse gebeten werden. Kein Wunder, dass die Vereinigung der Industrieländer, die OECD, die Rentenpolitik der Bundesregierung als "völlig unzureichend" bezeichnet und seit Jahren grundlegende Reformen anmahnt. Doch das wird schwierig. Bei der Altersvorsorge geht es schlicht um richtig viel Geld - und das Feld ist besetzt von zahlreichen Interessenvertretern.

Die letzte große Rentenreform hatte Rot-Grün mit der Riester-Rente eingeführt. Ziel war die Absenkung der Sozialabgaben. Herausgekommen ist ein gigantisches Geschenk an die Finanz- und Versicherungswirtschaft. Mit rund 50 Milliarden Euro hat der Staat die Riester-Verträge seit 2002 in Form von Zulagen oder Steuerentlastungen subventioniert.

Von der Riesterrente hat vor allem die Finanzwirtschaft profitiert

Verbraucher haben von dieser Art der privaten Vorsorge zu wenig profitiert. Zu teuer und ineffizient sind viele Finanzprodukte. So gehen bei einer typischen Riester-Versicherung laut der Bürgerbewegung Finanzwende 24 Prozent der Einzahlungen für Gebühren und Verwaltungskosten drauf. Eingestrichen hat dagegen die Finanz- und Versicherungswirtschaft, in deren Taschen ein Großteil der Milliardenförderung geflossen ist.

Die Ampel hätte die Chance, diesen Fehler zu korrigieren. Die Lösung könnte ein zentral und öffentlich organisierter Vorsorgefonds sein, der breit gestreut und mit starken Renditen in Aktien anlegt. Länder wie Schweden oder Großbritannien zeigen seit Langem, wie viel besser Altersvorsorge am Kapitalmarkt funktionieren kann - wenn es ein öffentliches Angebot gibt und nicht jeder Einzelne seinen Weg durchs Kleingedruckte seiner Finanzverträge finden muss.

Das Problem ist, dass der große Wurf bisher nicht in Sicht ist. Zu dünn sind die Absichtserklärungen des Sondierungspapiers. Konkret soll lediglich geprüft werden, ob Riester in die zweite Runde gehen oder durch einen öffentlich organisierten Vorsorgefonds ersetzt werden soll. Das ist zu wenig.

Mehr geht gerade nicht, weil sich die Koalitionäre verhakt haben: Die FDP will eine Aktienrente in der gesetzlichen Rentenversicherung. So soll die Rente langfristig auf dem heutigen Niveau stabilisiert werden. Die Grünen setzen auf einen Neustart bei der privaten Altersvorsorge durch einen Bürgerfonds. Die SPD präferiert dagegen die Zusatzvorsorge im Gewand der betrieblichen Altersvorsorge.

Die betriebliche Vorsorge führt Arbeitnehmer in eine Abhängigkeit

Die liberalen Vorstellungen beantworten noch nicht, wo das Geld für ihre Aktienrente herkommen soll. Aus den laufenden Rentenbeiträgen dürfte es nicht kommen, da sonst weniger Geld für den wichtigen Sozialausgleich in Form von Erwerbsminderungs-, Witwen- und Waisenrenten da wäre. Und der angedachte Steuerzuschuss von zehn Milliarden Euro wird nicht reichen, um eine ernsthafte Kapitaldeckung aufzubauen, selbst wenn er jedes Jahr käme.

Die Befürworter der betrieblichen Vorsorge ignorieren die Mängel der zweiten Säule. Erstens schwächt die sozialabgabenfreie Entgeltumwandlung die gesetzliche Rente, weil Arbeitnehmer und Arbeitgeber weniger Rentenbeiträge zahlen. Zweitens zahlen Verbraucher ihre betriebliche Vorsorge ohnehin oft alleine und ohne Arbeitgeberzuschüsse. Drittens führt die betriebliche Vorsorge Arbeitnehmer in eine Abhängigkeit.

Da der Vertrag dem Arbeitgeber gehört, können sie ihn bei einem Jobwechsel nicht einfach mitnehmen. Wenn es schlecht läuft, müssen sie neue Verträge abschließen - zur Freude der Versicherer und Versicherungsvermittler, die so neues Geschäft machen und ordentlich Provisionen kassieren. Das alles wirft die Frage auf, ob künftige Rentner nicht besser privat sparen sollten. Angesichts dieser politischen Ausgangslage ist guter Rat teuer. Deutschland bräuchte dringend einen zentralen und öffentlichen Vorsorgefonds, der die gescheiterte Riester-Renten ablöst.

Ob die Ampel das angesichts ihrer Antagonisten schafft, ist leider unklar. Weitere Jahre des Stillstands wie in der Großen Koalition wären für Verbraucher aber fatal. Schließlich wird seit Jahren gutes privates Geld und Steuergeld schlecht angelegt und die Potenziale einer klugen Aktienanlage nicht genutzt.

Koalitionsverhandlungen sind die Zeit der Kompromisse. SPD, Grüne und FDP sollten sich einigen. Ausgelotet werden sollte, wie ein öffentlicher Vorsorgefonds aussehen müsste, der Arbeitnehmern, Verbrauchern und sogar dem Mittelstand unmittelbar hilft und gleichzeitig die unterschiedlichen Positionen zusammen bringt.

Ein Szenario könnte die Einführung eines säulenübergreifenden öffentlichen Vorsorgefonds sein, der direkt bei der Deutschen Rentenversicherung angesiedelt wäre. Verbraucher würden neben ihrem bisherigen Rentenkonto ein weiteres Konto erhalten, über das direkt am Kapitalmarkt gespart wird. Breit gestreut mit Aktien und zu geringen Kosten. Die Einzahlungen könnten dann aus unterschiedlichen Richtungen kommen. Zusätzliche Steuerzuschüsse der Bundesregierung könnten in dem Fonds rentierlich angelegt werden, um wie im Sondierungspapier vorgesehen, die gesetzliche Rente zu stabilisieren.

Unternehmen wie der Bäcker oder der Friseurmeister ums Eck wiederum könnten den Fonds nutzen, um für ihre Mitarbeiter einfach und kostengünstig betrieblich vorzusorgen, allerdings voll sozialabgabenpflichtig. Und Verbraucher könnten zusätzlich selber einzahlen, am besten über eine automatische Einbeziehung über den Arbeitgeber, solange sie nicht widersprechen. Geld, das heute in Riester-Verträgen liegt, sollte samt Förderung auf den Fonds übertragen werden können. Bei Renteneintritt würde der Kapitalstock ausgezahlt oder verrentet werden und so eine Zusatzrente zur gesetzlichen Rente liefern. Das wäre ein Ampel-gerechter Kompromiss, auf dem sich aufbauen ließe.

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