Rente:Gleiches Recht für alle

Spaziergänger in Allee

Spaziergänger in einem Park in Stuttgart: Viele Erwerbsminderungsrentner können auf höhere Rentenzahlungen hoffen.

(Foto: Sebastian Gollnow/picture alliance/dpa)

Die Bundesregierung hat die Erwerbsminderungsrenten schon zweimal verbessert. Doch davon profitierten nur die Neurentner. Jetzt entscheidet das Bundessozialgericht.

Von Thomas Öchsner, München

Sie haben eine schwere Krankheit, hatten einen Unfall oder leiden unter Depressionen: In Deutschland beziehen etwa 1,8 Millionen Menschen eine Rente wegen einer Erwerbsminderung (EM), weil sie zu krank zum Arbeiten sind. Für diese Gruppe von Rentnern ist das Risiko, in die Armut abzurutschen, besonders hoch. Die Bundesregierung hat deshalb mehrmals die EM-Renten nachgebessert - davon profitierten jedoch nur die Neurentner. Nun können auch diejenigen, die die Leistung bereits bezogen, zumindest hoffen, dass sie ebenfalls mehr Geld bekommen.

Der VdK und der Sozialverband Deutschland meldeten jetzt einen unerwarteten Erfolg: Das Bundessozialgericht wird in einem Musterverfahren darüber befinden, ob es legitim ist, die neuen EM-Rentner besser zu stellen als die alten. Dies kam so: Ein Betroffener bezog bereits seit 16 Jahren Erwerbsminderungsrente. Von der gesetzlichen Verbesserung, die für die Renten-Neuzugänge von 2018 an gilt, hatte er aber nichts, da er ja schon vor dem Stichtag seine EM-Rente beantragt hatte. Dem Rentner kostet das jeden Monat viel Geld - würde er von der neuen Regel profitieren, bekäme er den Sozialverbänden zufolge etwa 100 Euro mehr monatlich.

Der Rentner klagte, verlor aber in den ersten beiden Instanzen. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hatte zunächst eine Revision vor dem Bundessozialgericht (BSG) nicht zugelassen. Dagegen legten der VdK und der Sozialverband Deutschlands Nichtzulassungsbeschwerde ein - und hatten Erfolg. Das BSG nahm die Beschwerde an, was selten passiert. 2019 wurden nur etwa acht Prozent dieser Beschwerden vom höchsten deutschen Sozialgericht akzeptiert.

Diese zeige, dass das BSG dem Fall grundsätzliche Bedeutung beimesse, sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele. "Ich bin sehr froh, dass wir das enge Nadelöhr für unseren Kläger beim Bundessozialgericht durchschritten haben". 1,8 Millionen EM-Rentner könnten nun auf höhere Renten hoffen, wenn die Stichtagsregelung fallen sollte. "Für uns ist klar: Es muss gleiches Recht für alle geben", so Bentele.

Adolf Bauer, Chef des Sozialverbands Deutschland, sprach von "einem Fehler der Bundesregierung. Der Staat benachteiligt erwerbsgeminderte Bestandsrentner und bevorzugt Neurentner". Sollte das Bundessozialgericht anderer Meinung sein, "legen wir den Fall dem Bundesverfassungsgericht vor". Die Sozialverbände rechnen damit, dass das höchste deutsche Sozialgericht bereits im kommenden Jahr über die Revision entscheiden wird.

Mit gut 800 Euro im Monat lässt sich allein nicht über die Runden kommen

Menschen, die erstmals eine Erwerbsminderungsrente bekommen, waren 2019 laut Deutscher Rentenversicherung (DRV) im Durchschnitt 52,7 Jahre alt. Knapp 42 Prozent litten an "psychischen Störungen", so die DRV. Bei jedem Achten wurden Erkrankungen an Skelett/Muskeln/Bindegewerbe diagnostiziert. Die EM-Renten fallen allerdings schmal aus: Im bundesweitem Durchschnitt betrug diese Leistung bei den Bestandsrentnern 835 Euro im Monat vor Steuern, aber nach Abzug des Beitrags für die Kranken- und Pflegeversicherung. Bei den Neurentnern lag die entsprechende EM-Rente bei 806 Euro (Männer im Westen: 845 Euro, Frauen: 761 Euro). Die Bundesregierung hatte die EM-Renten zweimal aufgestockt, mit dem Rentenpaket 2014 und mit einer Reform 2017. Dabei wurden die für die Berechnung der Rente maßgeblichen Zurechnungszeiten verbessert, mit denen unterstellt wird, wie lange ein Betroffener gearbeitet hätte, wäre er nicht arbeitsunfähig geworden.

Trotzdem dürfte es vielen EM-Rentnern schwer fallen, mit ihrem Geld über die Runden zu kommen, zumindest wenn sie keinen Zusatzverdienst haben oder einen Partner/eine Partnerin, die sie unterstützt. Nach früheren Angaben der Deutschen Rentenversicherung haben fast 15 Prozent der Erwerbsminderungsrentner ein so niedriges Einkommen, dass sie auf die staatliche Grundsicherung angewiesen sind. Wegen der hohen Abschläge auf die EM-Rente "landen viele Erwerbsminderungsrentner in der Armutsfalle", sagte VdK-Präsidentin Bentele.

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